"Keiner kann's mehr alleine"

In Zeiten der Beschleunigung kann's keiner mehr alleine." Mit diesen Worten eröffnete Thomas Fell, Geschäftsführer von GS1 Germany, den 19. ECR-Tag in Wiesbaden. Stattdessen müssten Unternehmen im Zeitalter Künstlicher Intelligenz, Internet of Things und Block Chain zusammenrücken und enger zusammenarbeiten, führte Fell auf dem Kongress aus, der in diesem Jahr unter dem Motto "Zusammenwachsen" stand. "Technologische Entwicklungen verlaufen heute nicht nur mehr linear, sondern exponentiell", betonte der GS1-Germany-Geschäftsführer. Das mache das Ganze so schnelllebig und verändere alles so rasant. "Da ist es ganz wichtig, dass wir Dinge zusammen machen, dass wir Plattformen finden, auf denen wir Wissen teilen und Sichtweisen austauschen und auf diesen zusammenwachsen", appellierte der Geschäftsführer an die rund 1000 Teilnehmer der deutschen Konsumgüterwirtschaft auf dem Kongress, der jedes Jahr von GS1 Germany zum Thema Efficient Consumer Response (ECR) veranstaltet wird. Die gute Nachricht: Es gibt laut Fell heute schon gute Beispiele von Unternehmen, die sich auf den Weg gemacht haben, um Dinge gemeinsam und unternehmensübergreifend zu tun - Stichwort "Collaboration" (deutsch: Zusammenarbeit). Da gibt es zum Beispiel die Bünting Unternehmensgruppe, Nestlé Deutschland und Henkel Laundry & Home Care. Deren Kollaborationsprojekt wurde in diesem Jahr mit dem ECR Award 2018 in der Kategorie "Unternehmenskooperation Supply Side" ausgezeichnet. Die drei Unternehmen nahmen die Rampe als logistisches Nadelöhr zwischen Industrie und Handel unter die Lupe. Auf Basis von GS1-Standards gelang es ihnen, die letzte Lücke im digitalen "Order-to-Cash"-Prozess zu schließen und dadurch deutliche Vorteile in der Lieferkette zu generieren. Auf dem Weg zur digitalen Supply Chain Zum Einsatz kam in dem Projekt die Nachrichtenart RECADV, eine elektronische Wareneingangsbestätigung, mit der der Informationsaustausch erheblich beschleunigt werden kann. Das Resultat der unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit: 17 Prozent Zeiteinsparung bei der Warenannahme in Verbindung mit dem DESADV, 99 Prozent "On-Time-Delivery" durch zeitnahe Terminkontrolle auf Basis der übertragenen Zeitstempel und keine mengenbezogenen Rechnungsreklamationen mehr - alles wichtige Schritte in Richtung einer digitalen Supply Chain. Auch Maggi und Rewe überzeugten die Juroren durch eine neue Form der Zusammenarbeit und erhielten dafür den ECR Award 2018 in der Kategorie "Unternehmenskooperation Demand Side". Gemeinsam brachten der Produzent und das Handelsunternehmen eine Cross-Selling-Kampagne zum Fliegen. Ihr Ziel: gemeinsam Menschen zum Kochen bewegen. Maßgeblicher Hebel dafür war es, den Abverkauf von Zutaten durch eine enge Verzahnung von Touchpoints im Supermarkt und auf digitalen Plattformen zu steigern. Rewe und Maggi ließen sich darüber hinaus zahlreiche Maßnahmen zur On- und Offline-Aktivierung der Shopper einfallen, unter anderem eine Produkttest-Kampagne, viral verbreitet über Social-Media-Kanäle, ein Online-Gewinnspiel sowie Rezeptvideos in den sozialen Medien. Der Einsatz hat sich laut den Machern des Projekts gelohnt: So wurden im Kampagnenzeitraum deutlich mehr Maggi-Produkte verkauft. Zusätzlich erschlossen die Partner für die Marke Maggi neue Käufergruppen. Doch diese neue Form der Zusammenarbeit von Firmen birgt auch Risiken, zum Beispiel für den Handel, der dadurch als Glied in der Wertschöpfungskette im Extremfall überflüssig werden könnte - mit möglichen Folgen für Speditions- und Logistikbetriebe, die für den Handel tätig sind. Denn die technologischen Neuerungen machen heute vieles möglich, was vor Jahren undenkbar gewesen wäre. Das Damoklesschwert der Disruption Wohin sich da die Konsumgüterwirtschaft und die Geschäftsmodelle der Unternehmen in diesem Segment in Zukunft entwickeln könnten, zeigten die Ausführungen von Harald Melwisch, Chief Digital Officer DACH & General Manager Austria von Unilever Deutschland : "Warum glauben wir in der Konsumgüterindustrie, dass die Digitalisierung keinen Einfluss auf unser Geschäftsmodell haben wird?", fragte der 49-jährige Manager provokant. Das Gegenteil sei der Fall. "Unsere Industrie wird die nächste sein, die es trifft", warnte er. Natürlich bestehe nicht die Gefahr, dass die Markenprodukte an sich digitalisiert werden. "Aber unsere Schnittstelle zum Kunden wird sich ändern." Genau hier könnten die Hersteller ansetzen, betonte der Unilever-Manager, denn ihre Marke sei das Tor zum Konsumenten. "Und wer den Zugang zum Konsumenten besitzt, etwa über seine Plattform, besitzt die Wertschöpfung." Zu Ende gedacht, heißt das für ihn: Unilever sei letztlich zu klein, um eine Beauty-Plattform für Endkunden im Markt zu platzieren. Gemeinsam aber, im Zusammenspiel mit anderen Konsumgüterherstellern, etwa mit Procter & Gamble und L' Oreal, könnte das funktionieren. Natürlich gebe es da noch aus kartellrechtlichen Gründen Bedenken. "In einer vernetzten Welt von heute müssen wir aber lernen", appellierte er, "viel mehr und anders zusammenzuarbeiten. Das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern sorgt für uns alle letztlich für mehr Wertschöpfung." Eines ist aber auch klar: Wenn Konsumgüter-Größen wie Unilever und Procter & Gamble auf einer Internetplattform ihre Produkte gemeinsam vermarkten und vertreiben, braucht es den Handel und die dafür notwendigen Belieferungsprozesse nur mehr bedingt. Das bliebe nicht ohne Folgen für die Logistikkette und die Unternehmen, die bislang daran beteiligt waren. Alles das sagte Unilever-Manager Melwisch auf dem ECR-Tag in Wiesbaden nicht. Doch sein Signal ist im Markt angekommen. Das Damoklesschwert der Disruption schwebt damit auch über der Konsumgüter-Supply Chain. Mehr im Dossier Trends & Innovationen in der Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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