Brüssel. EU-Verkehrskommissar Siim Kallas hat die Sondierungsgespräche zur Bildung einer neuen Regierung in Estland mit ihm als neuen Premierminister beendet. Damit ist klar, dass er vorerst weiter bei der EU-Kommission arbeiten wird. Der vorgesehene Ämtertausch mit dem Anfang des Monats zurückgetretenen Parteifreund Kallas’ und Estlands bisherigem Ministerpräsidenten Andrus Ansip wird demnach nicht stattfinden.
Als Grund nannte Kallas selbst eine Medienkampagne gegen seine Person. Estnische Medien hatten über angebliche Unregelmäßigkeiten während Kallas’ Zeit als Chef der Zentralbank in den 1990er Jahren berichtet. Kallas bestreitet die Vorwürfe, will aber nach eigenen Aussagen die neue Regierung mit diesen Anschuldigungen gegen seine Person nicht belasten. Auch estnische Politiker hatten Kritik geäußert, dass Kallas als EU-Kommissar aktiv in die laufenden politischen Geschäfte seines Heimatlandes eingreift.
Heftige Kritik aus dem EU-Parlament
Den gleichen Vorwurf erhob eine Gruppe von EU-Abgeordneten aus dem Europaparlament. Sie schrieben einen Brief an EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso mit der Bitte, Kallas wegen seiner politischen Aktivität in Estland als Kommissar zu entlassen. Noch gestern polterte der deutsche Abgeordnete Gerald Häfner (Grüne) in einer Pressemitteilung gegen das Verhalten von Kallas. Wörtlich heißt es: „Der estnische EU-Kommissar Kallas und der estnische Premierminister erklären, sie hätten einen Ämtertausch verabredet. Sie pfeifen höhnisch auf die demokratische Kultur und glauben ernsthaft, sie könnten höchste, ihnen verliehene Ämter in Gutsherrenart einfach unter sich verteilen. Damit verstoßen sie gegen mehrere wichtige demokratische Grundsätze. Erstens verpflichten die Verträge und der Verhaltenskodex jeden EU-Kommissar zu parteipolitischer Neutralität.“ Häfner weist darauf hin, dass beide Ämter von demokratischen Institutionen verliehen wurden und dass sowohl das estnische als auch das europäische Parlament einer Neubesetzung der Posten zustimmen müssten. (kw)