Interview

Interview „Ich bleibe kritisch“ Der Staatssekretär im Verkehrsministerium Enak Ferlemann (CDU) sagt im Interview, welche Infrastrukturprojekte im Norden Priorität haben, wie die Einbeziehung des Bürgers in die Planung von Großprojekten funktionieren soll und was er persönlich von der Fahrrinnenanpassung der Elbe hält. Herr Ferlemann, im nächsten Jahr sind Bundestagswahlen. Wenn Sie die Chance hätten, noch ein Thema in Sachen Infrastrukturausbau im Norden komplett umsetzen zu können, welches Thema wäre das? Ich würde den Ausbau der Strecke Uelzen-Stendal sofort beginnen und abschließen wollen und die Mittelelbe schiffbarer machen. Da kommen wir zwar schon recht gut voran, aber ich bin ungeduldig und würde in diesen Fällen das Tempo gerne forcieren. Was steht noch auf der Agenda bis zur Wahl in Sachen norddeutsche Infrastruktur? Beim Thema Wasserstraße sind wir mit dem Projekt Vertiefung von Außen- und Unterweser befasst, da erwarten wir die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts. Wir hoffen auf eine positive Entscheidung, sodass wir mit den Maßnahmen beginnen können. Gleiches gilt für die Vertiefung von Unter- und Außenelbe – auch hier haben wir unsere Arbeit getan und warten die gerichtliche Auseinandersetzung ab, bevor wir beginnen können. Und es gibt noch viele andere Projekte, den Ausbau der Mittelweser etwa oder die Baustellen am Mittellandkanal. Auf der Schiene haben wir das Problem der zulaufenden Knoten, das wir dringend lösen müssen, indem wir diese Knoten weiten. Zusätzlich brauchen wir den Ausbau bestimmter Strecken, die Ertüchtigung der bestehenden Strecken, die Mitbenutzung privater Eisenbahninfrastrukturen – und natürlich auch einen Neubau. Und auf der Straße? Auf der Straße müssen wir die A 1 und die A 7 auf sechs Streifen erweitern, hier sind wir schon sehr weit. Wenn das erledigt ist, müssen wir klären, ob wir auf acht oder zehn Streifen gehen wollen – oder ob ein alternativer Bau von Autobahnen um die Zentren herum Sinn macht. Sie meinen die A 20? Genau. Es geht um die Westumfahrung von Hamburg, dann die A 39 mit dem Autobahnlückenschluss zwischen Lüneburg und Wolfsburg sowie die A 14 zwischen Schwerin und Magdeburg. Viele sinnvolle Projekte – aber wie realistisch ist es, dass in den kommenden Jahren für den Ausbau im Norden auch immer genügend Geld zur Verfügung steht? Das ist absolut realistisch. Das große Wachstum des Verkehrs kommt aus den Häfen, deswegen kommen wir um den Ausbau rund um die Häfen und im Hafenhinterland nicht herum. Wir sind schon jetzt sehr erfolgreich bei zahlreichen Projekten. Den nächsten Schritt werden wir mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan gehen. Um es klar auf den Punkt zu bringen: Bis 2025 werden wir es schaffen, alle Dinge umzusetzen, die wir uns vorgenommen haben. Nicht immer geht´s nur ums Geld, bei vielen der Projekte gibt es oft auch Widerstand aus der Bevölkerung. Mittlerweile ist es ja Konsens zwischen den Parteien, dass der Bürger früher in die Planung einbezogen werden muss. Führt das nicht zu einer Verzögerung zahlreicher Projekte? Es ist am sinnvollsten, die Bürger dann zu beteiligen, wenn sich die Frage des „Ob“ noch stellt. Bisher gehen unsere Planverfahren noch davon aus, dass darüber letztlich die Politik entscheidet, im Bund, im Land oder in der Kommune. Und erst beim „Wie“ wird dann mit dem Bürger diskutiert. Im Grunde genommen ist es aber viel sinnvoller, die Bürger schon bei der Frage nach dem „Ob“ zu beteiligen. Dann kommen auch Alternativen früher auf den Tisch. Also mehr direkte Partizipation, etwa über Volksentscheide? Nein, nicht unbedingt. Es geht auch um die frühzeitige Einbindung kommunaler Parlamente. Wenn Sie die Bürger befragen, stellt sich immer die schwierige Frage: Wen wollen Sie überhaupt fragen? Etwa beim Fall Stuttgart 21: die Bürger der Stadt, des Landes oder vielleicht sogar Süddeutschlands? Was klar ist: Sie müssen die wichtigsten Dokumente früh ins Internet stellen, gegebenenfalls auch die Varianten, damit jeder nachvollziehen kann, warum eine Abwägung so oder so getroffen wurde. Eine tolle Idee sind auch die Projektbeiräte, wie wir sie jetzt etwa bei der Fehmarnbelt-Querung nutzen. Auf dieses Instrument werden wir auch in Sachen Y-Trasse setzen. Da werden dann alle Parameter vorgestellt, Umweltschutz- oder Lärmschutzbelange etwa, auch mit Kosten versehen, sodass die Abwägung und Entscheidung transparent ist und nicht willkürlich erscheint. Das bedeutet aber doch, dass es teuer wird: Lärmschutz und Umweltschutz gibt es nicht umsonst. Natürlich kosten Lärmschutzvorrichtungen und Artenschutzprogramme. Aber ich würde es andersrum sehen: Viele Bürger haben auch sehr gute Vorschläge. Das ganze Know-how Deutschlands liegt ja nicht nur in den Verwaltungen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sehr viele Bürgervorschläge gibt, die dazu geführt haben, dass es im Endeffekt sogar günstiger geworden ist. Nicht nur eine Budgetüberschreitung ist ja typisch für Großprojekte, sondern oft auch die nicht pünktliche Fertigstellung. Ein aktuelles Beispiel dafür könnte der Jade-Weser-Port werden … In diesem Fall ist es ja ein ganz klarer Baufehler. Zu den Details, etwa wie das Ganze nun gelöst werden soll, möchte ich nichts sagen, das ist schließlich kein Projekt des Bundes. Die Geschichte verdeutlicht allerdings auch die Problematik der Ausschreibungsverfahren. Wenn es nur darum geht, möglichst günstig zu sein, kommt nicht immer das beste Ergebnis raus. Man muss im Vergabeverfahren aus solchen Fehlern lernen und bestimmte Bauverfahren einfach vorgeben, selbst wenn diese vielleicht etwas aufwendiger und damit teurer sind. Eines der größten Infrastrukturprojekte im Norden ist die Fahrrinnenanpassung der Elbe: Wie lange schätzen Sie, könnte die Auseinandersetzung dauern? Wir haben ja Erfahrungen mit der Weser, zwar eine kleinere Maßnahme, aber eine ähnliche Problematik. Deswegen rechnen wir ungefähr mit einer Verzögerung von einem Jahr. Bei diesem Thema gab es ja auch um Ihre Person schon heiße Diskussionen: Als Staatssekretär kümmern Sie sich um die Umsetzung des Projekts, auf der anderen Seite haben Sie als Abgeordneter im Cuxhavener Kreistag gegen die Vertiefung gestimmt. Ein Interessenskonflikt? Nein. Der Kreistag hat damals in seinem Beschluss die folgende Position eingenommen: Wir lehnen die Elbvertiefung ab, es sei denn, bestimmte Punkte werden erfüllt. Diese Haltung, die an der Unterelbe 90 Prozent der Bevölkerung teilen, habe ich ins Planverfahren einbringen können. Auf mein Bestreben sind die Interessen der Unterelbe-Region explizit berücksichtigt worden. Deswegen hat es zwei ergänzende Planauslegungen gegeben, die Natur- und Umweltschutzbelange sowie Fragen des Deichschutzes sind überarbeitet und weiterentwickelt worden. Dadurch hat das Verfahren zwar länger gedauert, das Ergebnis ist jedoch deutlich besser geworden. Und dass ich als Vertreter der Region auch die Interessen meiner Region vertrete, halte ich für gut und richtig. Befürworten Sie also nun den auf dem Tisch liegenden Planfeststellungsbeschluss? Das Verfahren ist korrekt gelaufen. Jeder hatte die Möglichkeit, seine Bedenken und Anregungen einzubringen. Aus meiner Sicht ist es gut und richtig, dass der Planfeststellungsbeschluss nun so ergangen ist. Das Ergebnis können wir vorzeigen und sagen: Da hat es einen fairen Ausgleich der Interessen gegeben. Wer sich damit nicht abfinden will, der muss das Ganze nun gerichtlich überprüfen lassen. Also keine Kritik mehr? Einen einzigen Punkt gibt es, bei dem ich als Abgeordneter aus der Region weiterhin kritisch bleibe, das ist die Frage der Strömungsgeschwindigkeit. Zwar gibt es eine Menge Maßnahmen, um das Thema in den Griff zu bekommen, aber es gibt an der Küste beachtliche Bedenken, ob diese Maßnahmen wirklich greifen. Falls nicht, haben wir es mit einem reißenden Strom zu tun, und dann stellt sich die Frage: Kommen Schiffe noch in die Häfen der Unterelbe hinein und heraus? Schon mit der letzten Elbvertiefung haben diese Strömungen deutlich zugenommen. Mir bleibt da nur, der Ingenieurskunst zu vertrauen und zu hoffen, dass das klappt. Aber ich bleibe kritisch. ❙❚■ Tobias Rauser Vita Enak Ferlemann Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium wurde am 12. Juli 1963 in Bad Rothenfelde geboren. Nach Abitur, Banklehre, Wehrdienst und einem Studium der Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Philosophie begann er seine politische Karriere in der CDU als Mitglied im Stadtrat der Stadt Cuxhaven. Seit 2002 ist der zweifache Familienvater Mitglied des Bundestages und war von 2005 bis 2009 Mitglied des Verkehrsausschusses. Seit Oktober 2009 ist er einer von fünf Staatssekretären im Ramsauer-Ressort mit den Schwerpunkten Eisenbahnen, Wasserstraßen, Schifffahrt, Bundesbauten, Bau-, Planungs- und Vergaberecht. tr Ferlemann ist unter anderem für die Schifffahrt und die Wasserstraßen zuständig Interview

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