Inflation: Brenzlige Lage

Transport und Logistik werden teurer, vielleicht sogar zum Luxusgut - das ist die ökonomische Wahrheit in diesem Sommer. "Personal, Logistikflächen, Equipment, Energie: Fast in jedem Bereich steigen im Moment die Preise teilweise im zweistelligen Bereich an", sagt Micha Lege, Geschäftsführer des mittelständischen Speditions- und Logistikunternehmens Wiedmann & Winz in Geislingen an der Steige. Mehrkosten zehren Erlösmargen auf "Die Kostensteigerungen sind so stark", warnt Lege, "dass jedes Logistikunternehmen schnell in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommt, wenn es jetzt nicht die Preise an die inflationäre Entwicklung anpasst." Denn mit zwei bis drei Prozent im Schnitt seien die Erlösmargen im Transportgeschäft nach wie vor viel zu niedrig. "Durch die Kostenexplosion, die wir derzeit erleben, werden die sofort aufgezehrt." Konkret sind bei Wiedmann & Winz, erläutert er, die Einkaufspreise für Diesel in den vergangenen zwölf Monaten um 50 Prozent gestiegen, für Gas um 75 Prozent und für AdBlue um 350 Prozent. Dazu kommen bei ihm im Schnitt acht Prozent höhere Personalkosten. "Alles in allem sind dadurch unsere zeitabhängigen Fahrzeugeinsatzkosten um 13 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen." Und die kilometerabhängigen Kosten des Unternehmens seien in erster Linie durch den teuren Diesel gar um 32 Prozent gestiegen. "Wir bezahlen heute Löhne und Gehälter, die wären vor zwei Jahren undenkbar gewesen", sagt auch Christian Bücheler, geschäftsführender Gesellschafter von Transco Süd International mit Hauptsitz in Singen (700 Mitarbeiter und 105 eigene ziehende Einheiten). "Das fordern unsere Mitarbeiter jetzt ein, die spüren ja jeden Tag auch die Inflation und hohen Kraftstoff- und Energiepreise - für die wird im Moment alles sehr teuer." So seien allein in diesem Jahr die Personalkosten für Lkw-Fahrer im Vergleich zu 2021 um rund 19 Prozent gestiegen, nennt Bücheler Zahlen. Die Mietpreise für Fahrzeuge hätten sich in diesem Vergleichszeitraum um 30 Prozent erhöht, die Dieselpreise um 51,7 Prozent; der Gaspreis habe sich im Vergleich zu 2021 verdoppelt und der LNG-Preis sogar verdreifacht. In Summe dürfte das Unternehmen damit in diesem Jahr rund 15 Prozent höhere Kosten haben als noch 2021. "Alle Kosten steigen im Moment so stark an, dass wir darüber nachdenken, ob wir unsere geplanten Investitionen überhaupt tätigen", so der Transco-Geschäftsführer. "Eigentlich wollten wir unsere Logistikflächen erweitern, weil wir stärker in die Logistik wollen. Insofern überlegen wir uns das jetzt schon." Zumal keiner wisse, wie sich dies mittelfristig weiterentwickelt und in welcher Größenordnung. Um wie viel kostspieliger wird es? Die Lage ist also ernst. Das zeigt auch die Konjunkturanalyse des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) für das erste Quartal 2022. 94,5 Prozent der befragten Unternehmen kämpften mit gestiegenen Gesamtkosten, 72 Prozent mit höheren Personalkosten, 85 Prozent mit gestiegenen Fahrzeugkosten und 98,5 Prozent mit erhöhten Treibstoffkosten. Mehr als jeder siebte Betrieb stellt eine gesunkene Zahlungsmoral seiner Kunden fest. Die Folge war, dass im ersten Quartal 2022 im Vergleich zum Vorquartal 8,5 Prozent der vom BGL befragten Unternehmen ihre Fuhrparkkapazität reduzierten, nur fünf Prozent erhöhten sie. Bei zwölf Prozent der Unternehmen sanken im Berichtszeitraum im Vergleich mit dem Vorquartal die Umsätze, bei 35,5 Prozent stiegen sie. Sprich: Etlichen Firmen gelang es, ihre Mehrkosten an Kunden durchzureichen. Die Mehrumsätze wurden aber offenbar von den steigenden Kosten oft aufgezehrt. Denn 33 Prozent der Transportbetriebe bewerteten laut der BGL-Umfrage im ersten Quartal 2022 ihr Betriebsergebnis als schlecht und nur acht Prozent als gut. Und wie es an der Inflationsfront weitergeht, weiß keiner. Keiner kann sagen, ob die Preise - und damit die Kosten für die Unternehmen - im Verlauf des Jahres weiter steigen oder vielleicht sogar irgendwann sinken. "Die aktuelle Krise wird nicht in wenigen Monaten vorübergehen", kündigte aber Bundeskanzler Olaf Scholz am 4. Juli an - nach dem Auftakt der konzertierten Aktion mit Spitzenvertretern von Arbeitgebern und Gewerkschaften im Kanzleramt in Berlin. Mit anderen Worten: Scholz stimmt die Bürger schon mal auf eine lang anhaltende Krise mit hohen Preisen ein. Zumindest hat sich im Juni die Inflationsrate temporär auf 7,6 Prozent abgeschwächt, nachdem sie im Mai noch bei 7,9 Prozent gelegen war. Darauf verweist Sascha Möhle, Ökonom des Münchener Ifo-Instituts gegenüber der VerkehrsRundschau. Dieser leichte Rückgang sei indes, betont er, hauptsächlich auf die staatlichen Maßnahmen zurückzuführen, also das 9-Euro- Ticket und den Tankrabatt. Diese Maßnahmen hätten für sich genommen die Inflationsrate um rund einen Prozentpunkt gesenkt. Nach Ablauf dieser Maßnahmen dürfte die Inflationsrate allerdings wieder ansteigen, erwartet Möhrle, sodass der Höhepunkt der Preisdynamik im zweiten Halbjahr erreicht werden dürfte. "Wir rechnen damit, dass die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2022 bei rund sieben Prozent liegen wird." Dann droht die Insolvenz Selbst wenn ein Transport- oder Speditionsbetrieb seine Preise jetzt um 7,6 Prozent (Höhe der Inflationsrate im Juni 2022) anheben würde, reiche diese Preiserhöhung aber fallweise nicht aus, um die tatsächlichen Mehrbelastungen zu kompensieren, warnt Kornelia Reifenberg, Partner des Pricing-Spezialisten Simon-Kucher & Partners (siehe Interview unten). Denn fallweise liegen die Kostensteigerungen einzelner Produkte deutlich darüber. Um so erschreckender sei es, dass 54 Prozent der B2B-Unternehmen trotz steigender Inflation bisher keine Preisanpassungen vorgenommen haben und dies auch in den kommenden Jahren nicht planen. Dies habe unlängst eine Studie ihres Hauses mit etwa 300 Firmen aus dem B2B-Sektor gezeigt. Gerade in der Transport- und Logistikbranche sei das sehr gefährlich, in der die Betriebe maximal Gewinnmargen von drei bis fünf Prozent erwirtschaften. "Kontinuierlicher Kostenanstieg ohne Preisanpassung ist nicht machbar. Schlimmstenfalls führt das in die Insolvenz." "Natürlich sprechen wir mit unseren Kunden auch über höhere Preise, um auf unsere Erlöse zu kommen", sagt Transco-Süd-Geschäftsführer Bücheler. "Aber mal ehrlich, wie soll ich diesen seröse Preise nennen, wenn keiner weiß, wohin sich die Kosten entwickeln? Wir haben da ja null Planungssicherheit." Fest steht für ihn aber, Transporte werde Transco nur mehr für Kunden durchführen, die bereit sind, mit ihm durch diese Situation zu gehen, sprich: die höheren Preise akzeptieren. Auftraggeber akzeptieren oft Mehrpreise Die gute Nachricht ist: Bislang können die Unternehmen ihre Mehrkosten offenbar tatsächlich an Kunden durchreichen (siehe Kasten). "Wenn Qualität, Zuverlässigkeit und Verfügbarkeit gegeben sind, ist der Auftraggeber auch zu höheren Preisen bereit", sagt etwa Gerald Penner, Geschäftsführer der Streck Transportgesellschaft in Lörrach. Zumal aktuell alle Firmen mit erheblichen Preissteigerungen konfrontiert seien. Eine gute Nachricht sei auch, dass die Auftragslage bei Streck nach wie vor stabil auf einem guten Niveau ist. Auch in der zweiten Jahreshälfte rechnet er mit einer ähnlichen Entwicklung. "Es besteht zwar die Gefahr einer Rezession. Das muss aber nicht heißen, dass diese tatsächlich kommt. Noch bleiben wir zuversichtlich - auch für die zweite Jahreshälfte." Interview mit Kornelia Reifenberg, Partner beim Pricing-Spezialisten Simon-Kucher & Partners in Bonn Preisgespräche: Wie Unternehmer am besten vorgehen sollten Die Kosten explodieren. Wer nicht pleite gehen will, muss seine Preise anheben. Wie geht ein Unternehmer da am besten vor?Wichtig ist, dass er seine Preise möglichst kundenindividuell anpasst und nicht nach dem Gießkannenprinzip. Natürlich kostet die kundenindividuelle Anpassung mehr Zeit, weil das viel Vorbereitungs- und Kalkulationsarbeit ist. Gerade bei A- und B-Kunden, mit denen eine Firma viel Geschäft macht, lohnt der Mehraufwand aber. Zumal sehr viele Auftraggeber wissen, dass durch die hohen Kosten vielen Transportbetrieben das Wasser bis zum Hals steht. Dienstleister haben daher aktuell gute Chancen, ihre Preiserhöhungen durchzusetzen.Welche Punkte sollte ein Dienstleister in der Vorbereitung klären?Im ersten Schritt sollte der Dienstleister sein „Zielpreisniveau“ definieren, das er mit seiner Preisanpassung erreichen will. Dabei sollte er nicht nur sauber kalkulieren, welche konkreten Mehrkosten sein Betrieb hat, und wie sich das in den kommenden Monaten entwickeln wird, sondern auch das Marktumfeld betrachten: Wie entwickelt sich die Nachfrage, welche Maßnahmen ergreifen Wettbewerber, und wie steht es um die eigene Servicequalität? Bei positiven Indikatoren sollte im Idealfall mehr drin sein als nur die reine Kompensation des Kostenanstiegs. Dann gilt es, die Verträge mit dem Kunden zu prüfen. Denn nicht jeder ist sofort verhandelbar, etwa, wenn mehrjährige Kontrakte gelten. Gleichwohl raten wir, in diesen Zeiten jeden Kunden preislich anzusprechen und mit diesen partnerschaftliche Lösungen zu suchen – auch (und wegen ihrer Umsatzbedeutung insbesondere) die sogenannten strategischen Kunden. Was ist, wenn der Kunde die Preise ablehnt?Das kann passieren. Wichtig ist, dass der Dienstleister dafür einen Plan B vorbereitet hat. Hilfreich ist es zum Beispiel, „Verhandlungsmasse“ ins Preisgespräch zu nehmen. Sprich: Wenn der Kunde den Preis als zu hoch empfindet, kann man ihm diesen etwa mit einem höheren Service verargumentieren. Alternativ kann er seinen Service absenken und dafür dem Kunden günstigere Preise bieten. eh Energiepreise: Zufall Logistics prüft Energie-Floater Alles in allem dürften bei uns die Mehrkosten aufgrund der unerwarteten Kostenexplosion in den ersten sechs Monaten deutlich im Millionen- Bereich liegen – und das allein bei den großen Kostenblöcken Personal, Energie und Frachtführereinkauf inklusive Dieselkosten“, sagt Thomas Köhler, Chief Financial Officer (CFO) der Zufall Logistics Group in Göttingen. Immerhin: „Noch können wir die Mehrkosten preislich in vielen Fällen abfangen – über den Automatismus der Floater, aber auch über Preisanpassungen.“ Sorgen bereiten Köhler die steigenden Gaspreise: Schon jetzt liegen diese 40 Prozent über Vorjahresniveau, und die Stromkosten bewegen sich in die gleiche Richtung. „Das sind zwei Bereiche, die uns wirklich wehtun. Denn noch gibt es da keinen Automatismus wie beim Diesel-Floater.“ Aufgrund der massiven Mehrbelastungen suche Zufall nun auch das Gespräch mit Kunden, und im Warehouse-Bereich würde der Einsatz von Energiepreis-Floatern geprüft: „Eine Floater-Regelung für Energie ist für uns eine realistische Option“, bestätigt Köhler. „Natürlich ist es uns besonders wichtig, die Kosten ganz transparent auszuweisen.“ eh VR plus Online Tipps rund ums Kostenmanagement Tipps und Ideen, in welchen Bereichen sich Kosten sparen lassen, finden VR-Abonennten kostenlos im VerkehrsRundschau plus-Portal. ehwww.verkehrsrundschau.de/plus In Kürze Ukraine-Krieg, explodierende Energiekosten und nun die steigende Inflation. Alles das treibt die Kosten der Transport- und Speditionsbetriebe. Damit stehen die Unternehmen vor bislang nicht dagewesenen Herausforderungen.

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