Ich weiß, wie die Welt tickt

Sie sind seit Februar 2015 bei Volkswagen für die Nutzfahrzeuge verantwortlich. Es scheint, dass Sie bei Ihrem alten Arbeitgeber mehr in der Öffentlichkeit standen. Wirken Sie bei VW im Verborgenen? (lacht herzlich!) Da müssen sie mal meine Kollegen fragen, ob sie das so empfinden. Wenn man sich ansieht, was wir hier in den letzten eineinhalb Jahren gemacht haben, ist es schon richtig, dass ich momentan vor allem nach innen wirke. Nicht zu vergessen, wir haben drei Marken im Portfolio. Da können Sie nicht immer überall gleichzeitig sichtbar sein. Wie lebt es sich denn jetzt in der Holding, weit weg von der Lkw-Fertigung? Volkswagen Truck & Bus ist ja keine Finanz-Holding. Sondern wir stellen die Truck-Organisation in einer Matrix auf. Diese hat auf einer Seite die Marken, auf der anderen Seite starke Querschnittsfunktionen. Deshalb ist es etwas irreführend, von einer Holding zu sprechen. Stattdessen sind wir eine Organisation, die sich über intensive Zusammenarbeit, klare Verantwortung und Vertrauen definiert und deshalb bin ich nahe dran - oder auch weit weg - wie immer man das definieren mag. Wie oft sind Sie an den Standorten? Ich bin doch gerade hier in München bei MAN ... Aber Sie haben natürlich Recht. Ich bin immer unterwegs und bräuchte im Prinzip gar kein Büro. Ich bin dort, wo die Dinge passieren - egal ob in der Produktion oder woanders im Unternehmen. Wer viel unterwegs ist, nimmt viel mit. Was haben Sie vom alten Arbeitgeber Daimler zu Volkswagen mitgenommen? Vor allem, dieselben Fehler nicht noch einmal zu wiederholen. Fragen sie nicht welche, da würde ich eisern schweigen. Wie kam es, dass sich MAN beim Lkw-Kartell als Kronzeuge aus der Verantwortung zieht, Scania dagegen weiter prozessiert? Das ist alles lange vor meiner Zeit passiert, deshalb würde ich Sie bitten, diese Frage an MAN oder Scania zu richten. Deren rechtliche Einschätzung ist, wie sie ist. Was sagen Sie Kunden, die aufgrund des Kartells zu viel bezahlt haben und etwas zurück haben wollen? Das sind Forderungen, die beurteilt und dann entschieden werden müssen. Eine Kulanzregelung wird es nicht geben? Solche Themen müssen im Einzelfall nachgewiesen und bewertet werden, damit es nicht zum Missbrauch kommt. Scania hat die einzig echte Fahrzeugneuheit der IAA vorgestellt. Um ehrlich zu sein, sind wir ein wenig enttäuscht. Fehlte da der Mut für etwas wirklich Innovatives? Finde ich spannend, dass sie das so empfinden. Wir meinen, es ist ein komplett neuer Truck geworden. Er hat vielleicht Stilelemente des alten Modells - aber das kann so falsch nicht sein, denn die R-Reihe war einer der erfolgreichsten europäischen Trucks. Sie müssen aber an die inneren Werte gehen. Da gibt es eine komplett neue Gewichtsverteilung. Die Kabine hat sich nach vorne verschoben, die Motoren wurden überarbeitet. Wir haben eine fünfprozentige Verbrauchsreduzierung erreicht - mindestens. Auch in der Kabine haben wir kunden- und fahrerorientiert noch einmal sehr viel verbessert. Herausgekommen ist dabei ein Truck in der Tradition der typischen Scania-Werte. Sie haben Scania und MAN einmal als verschiedene Welten bezeichnet. Wie verschieden sind diese noch? Wenn ich das heute betrachte, sind es weniger unterschiedliche Welten als unterschiedliche Startpunkte. MAN ist mit einem breiten Produktspektrum unterwegs und hat sich in den vergangenen Jahren, zum Beispiel was das Thema Effizienz betrifft, sicher nicht so entwickelt, wie ich mir das vorstelle. Scania ist dagegen der Inbegriff der Marke für einen Fern-Lkw und nach wie vor der King of the Road. Das sind ganz andere Ausgangssituationen und damit sind beide Marken so nicht vergleichbar. Wir sind aber dabei, die MAN-Hausaufgaben zu machen. Wir werden auf der IAA einiges zeigen, was das unterstreicht. Nicht nur andere können alternative Antriebe - sondern wir auch. Ein Fahrzeug mit Elektroantrieb? Da muss ich jetzt geschwind nachdenken ... nur eines? Aber eigentlich zählt doch vielmehr als die Selbstdarstellung unserer Kompetenz, dass die Produkte in den Augen der Kunden gut sind. Uptime, Dauerhaltbarkeit, Qualität, Effizienz - das sind die Themen, an denen wir genauso arbeiten. Ich glaube, da gibt es noch vieles, was wir noch besser machen können. Hinzu kommen die ganzen Möglichkeiten aus der Digitalisierung, die wir für unsere Kunden öffnen wollen. Ich spreche dabei nicht allein von Connectivity. Was genau meinen Sie? Konnektivität ist nur ein kleiner Ausschnitt. Wir haben schon heute rund 200.000 Lastwagen auf der Straße, die connected sind und von denen die Kunden schon ihre Effekte haben. Ab 2017 wird jeder Lkw von uns - egal von welcher Marke - voll connected sein. Mit den Fahrzeugdaten können wir schon viele Funktionen und Dienste abbilden und dem Kunden zugänglich machen. Aber für die Erschließung der unbegrenzten Möglichkeiten aus den Daten und der Digitalisierung brauchen wir eine offene Plattform, also eine Art Betriebssystem wie Android oder I-OS. Heute steht eine neue Generation von Anwendungen an. Wir müssen handfeste Lösungen finden - und das nicht mit Big Data und derart abstrakten Begrifflichkeiten zerreden. Können Sie das konkretisieren? Wir haben beispielsweise bei Scania schon den Vorteil, dass die Lkw mit der Werkstatt vernetzt sind. Das bringt viel Effizienz. Wenn die Werkstatt weiß, der Lkw kommt und das Teil x ist defekt, liegt alles schon bereit. Wenn wir als Nächstes so weit gehen, dass das Navigationssystem zusammen mit der Ruhezeit des Fahrers die Werkstatt so aussucht, dass man hinkommt und der Fahrer dort Pause machen kann - perfekt! Klingt, als sei connected nur ein anderes Wort für Telematik? Nein. Konnektivität ist die Fähigkeit, die vorhandene Datenvielfalt irgendwo hinzuschicken. Digitalisierung heißt, mit dieser Datenvielfalt das Richtige zu tun, um die Effizienz des Kunden zu verbessern. Das, was der Truck digital kann, wird immer mehr. Wird diese Datenflut nicht zum Overkill für mittelständische Unternehmer? Nein, genau darum geht es uns. Wenn wir eine bedarfsgerechte Digitalisierungslösung anbieten, dann eröffnen wir mittelständischen Kunden Chancen. Der Unternehmer darf damit nicht alleine gelassen werden. Sonst wird es nicht funktionieren. Wir verstehen uns nicht mehr nur als Anbieter der Hardware, sondern zunehmend als Logistik-Unterstützer. Der Kunde kann die Daten nicht auf sich allein gestellt nutzen, das Betriebssystem dazu müssen wir ihm anbieten. Für Dienste auf Ihrem Betriebssystem sprechen Sie mit externen Dienstleistern? So ist es. Und wir haben am Ende des Tages einen großen Vorteil: Mit verschiedenen Dienstleistern können wir mehr Themen abbilden. Etwa eine Verbesserung des schlechten Kartenmaterials für Lkw, eine optimierte Tourenplanung und Parkplatzsuche oder auch die angesprochene Werkstattsuche. Das hat alles nichts mit unserer Kernkompetenz zu tun. Unsere Aufgabe ist die Schaffung einer Plattform, eines Betriebssystems. Wie bei Android, da arbeiten auch verschiedene Anbieter auf einer gemeinsamen Plattform. Wie weit ist ein Standard für die Vernetzung der Fahrzeuge? Daran arbeiten aktuell wohl alle Hersteller. Wie beim PC werden sich die besten ein oder zwei Systeme durchsetzen. Eine Situation wie beim autonomen Fahren, wo es auch an Standards mangelt? Richtig. Trotzdem ist das ein anderes Thema. Denn wenn wir vielleicht ab 2020 zumindest teilautonom fahren wollen, müssen einige Rechtsvorschriften geändert werden. Und dabei geht es nicht nur um ethische Fragestellungen, sondern um die Anpassung von Regeln an die Realität. Welchen Sinn macht ein 50-Meter-Abstand, wenn damit alle Vorteile des Platoonings dahin sind? Zudem müssen wir überlegen, was macht der Fahrer in der Platooning-Phase. Unser Kunde fragt sich, wo sind die positiven Aspekte, wenn das Auto alleine fährt, aber ein Fahrer drin sitzt. Ein Geschäft ist es für ihn erst, wenn er auf den Fahrer komplett verzichten kann - so zumindest wird es mir kommuniziert. Zurück zur Gegenwart. Wäre es nicht sinnvoll, für ein dichtes Netz den Service von MAN, Scania und VW zusammenzulegen? Fakt ist, der Vertrieb von Scania oder MAN wird immer separat bleiben. Das gilt auch für den Service. Wir haben keine Intention, gegenseitig den Service zu übernehmen. Warum? Weil eben genau dies nach meinem Verständnis eine starke Markenidentität unterstreicht. Das ist meine Marke, das ist mein Partner. Alles, was sie tun können, um das Fahrzeug besser und effizienter zu gestalten, etwa gemeinsame Komponenten, das ist beim Thema Vereinheitlichung denkbar. Aber wenn es um den Kern einer Marke geht, funktioniert das meines Erachtens nicht. Wir sehen das doch beim Wettbewerb, der genau diese Grenze überschritten hat. Was den MAN TGE und VW Crafter betrifft, sind wir gerade in der Finalisierung des Konzeptes. Aber auch da gilt, dass MAN TGE-Kunden ein ganz anders Anforderungsprofil haben als VW-Kunden. Trotzdem kann es wegen des Fahrzeugkonzepts im Aftersales-Bereich zwangsweise einen Austausch geben. Ist die Kundenstruktur der Grund für unterschiedliche Varianten bei MAN und VW? Exakt. Spezifische Nutzfahrzeuganwendungen wird der Crafter nicht abdecken. Da setzen wir auf zwei Vertriebswege. Mit dem TGE gibt es einen kleinen MAN. Sie könnten auch einen leichten MAN als Scania anbieten. Ein interessanter Gedanke, aber da haben wir keine Absicht. Wir haben einen Fullline-Anbieter in unserem Portfolio, das genügt. Scania bleibt der Spezialist für den Fernverkehr und die großen Tonnagen. Sie wollen die MAN wieder dahin bringen, wo die Marke Ihrer Ansicht nach hingehört. Wo steht MAN in zwei Jahren? Auf jeden Fall mit viel Erfolg im Markt. Mit innovativen Produkten, einem führenden Service und einer Kundenzufriedenheit, die deutlich höher ist als jetzt. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Menschen hier bisher einen schlechten Job gemacht hätten. Es geht um den Kurs, die klare Ausrichtung der Marke und die Verunsicherung vieler Mitarbeiter, die zusehends verschwindet. Jetzt haben wir definiert, was wir wollen und umsetzen werden. War es dafür wichtig, dass Sie kamen? Das Selbstbewusstsein von MAN schien lange Zeit verloren. Es gibt ja den Satz, dass nichts erfolgreicher macht als Erfolg. Und natürlich war es schwierig in der vergangenen Situation, Selbstbewusstsein aufzubauen. Das ist jetzt anders. Aktuell ist die Mannschaft unter Joachim Drees auf einem guten Weg. Dass Impulse von außen hilfreich sein können, ist klar. Sie haben mich vorher gefragt, was ich mitgebracht habe. Die Leute kennen mich als Trucker. Die wissen, dass ich weiß, wie diese Welt tickt. Es wird wenig geben, womit man mich überraschen kann, wo ich nicht weiß, was passiert oder keine Antwort geben kann. Wenn ein CO2-Grenzwert kommt, wie werden Sie die nötigen Kraftstoffeinsparungen realisieren? Im Antriebsstrang liegt noch etwas Potenzial. Aber hier einen Sprung von fünf Prozent zu erreichen, ist sehr teuer. Es wird alternative Antriebskonzepte geben. Im Fernverkehr kann ich mir Hybridantriebe vorstellen. Im Verteilerverkehr, ob schwere oder mittlere Klasse, sind die Elektrischen eine Alternative. Die Fahrleistungen sind hier nicht so hoch, aber es gibt noch Hausaufgaben bei der Batterietechnologie. Auch Gas dürfen wir nicht vergessen. Daneben steht das Thema Aerodynamik. Hier stellt sich die Frage, wann beziehen wir den Gesamt-Truck in das Thema ein? Und natürlich spielt das Längen-Thema eine Rolle. Warum haben dann die Hersteller auf die Bremse getreten, als es um die längeren Fahrerhäuser mit der Haube ging? Das Fahrerhaus an sich bringt ja erst einmal mehr Gewicht. Platooning bringt deutlich größere aerodynamische Effekte. DHL baut den elektrischen Streetscooter mit einem Partner selbst. Haben die Nutzfahrzeughersteller das Thema verschlafen? Ich glaube nicht, dass uns hier irgendjemand den Rang ablaufen wird. Unser großer Vorteil ist, dass wir den Markt genau kennen und dieser ist volumenmäßig sehr begrenzt. Auch hier geht es um Effizienz und um Kunden, die schnell sagen, was sie haben wollen. Ein Treiber für uns ist das Stadtbusgeschäft, das sicher in absehbarer Zeit vollelektrisch werden wird. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Renschler www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Andreas Renschler Seit Februar 2015 ist Andreas Renschler Vorstandsmitglied von Volkswagen. Er verantwortet das Nutzfahrzeuggeschäft mit den Marken MAN, Scania und Volkswagen Nutzfahrzeuge, die in einer von ihm geleiteten Holding gebündelt sind. Renschler wurde am 29. März 1958 in Stuttgart geboren. Nach einer Banklehre studierte er Wirtschaftsingenieurwesen und Betriebswirtschaft. Seine berufliche Laufbahn begann 1988 bei der heutigen Daimler AG. Über mehrere Stationen im In- und Ausland stieg er 2004 zum Vorstandsmitglied auf und verantwortete das Lkw-Geschäft der Schwaben. Bis dahin drehte sich seine Welt vor allem um Pkw. Von 2013 bis Januar 2014 übernahm Renschler die Verantwortung für Produktion und Beschaffung Pkw sowie Mercedes Vans. Es folgte der Wechsel zur Konkurrenz nach Norddeutschland, für den er wegen einer Wettbewerbsausschlussklausel ein Jahr pausieren musste. Renschler, der sich selbst als Trucker sieht, spielt in seiner Freizeit Golf. sv Daten & Fakten Volkswagen Gut 213 Milliarden Euro hat der Volkswagen-Konzern 2015 erlöst. 34,5 Milliarden davon erbrachte der Verkauf von Lkw und Transportern der Marken MAN (13,7), Scania (10,5) und Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) (10,3). Bis auf MAN legten alle Marken im Vergleich zu 2014 im Umsatz zu. Zum operativen Ergebnis von 2015 steuerte Scania eine Milliarde Euro bei. MAN kam auf 280 Millionen Euro und VWN auf 380 Millionen. sv

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