"Ich gucke Scheuer auf die Finger"

Wie gelingt es Ihnen, grüne Programminhalte bei Ihrer Aufgabe als Vermittler im Bundestagsausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur hintanzustellen? Das muss ich gar nicht. Mittlerweile sind viele Ideen der Grünen nicht mehr umstritten. Niemand würde mehr sagen, dass eine Digitalisierung des Güterverkehrs falsch ist, dass mehr Bundesmittel für die Stärkung der Schiene nicht richtig sind oder wir keine emissionsfreie Mobilität brauchen. Würden wir eine Copyright-Abgabe auf Grünen-Ideen erheben, wären wir inzwischen die reichste aller Parteien. Gerade der Verkehrssektor hat angesichts der Klimakrise einen erheblichen Nachholbedarf, wenn es um die Senkung der CO2-Emissionen geht. Wenn die Kollegen der anderen Fraktionen das auch so sehen, ist das umso besser. Ich bin zunächst Vertreter des Parlaments, also aller Abgeordneten im Verkehrsausschuss. Dort herrschen sehr kollegiale Umgangsformen. Über den Ex-Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt haben Sie gesagt, er sei eine krasse Fehlbesetzung. Was erwarten Sie vom Nachfolger Andreas Scheuer? Jeder hat zunächst einmal eine faire Chance verdient, sich im Amt zu beweisen. Andreas Scheuer kennt das Haus, ist durch seine frühere Tätigkeit als parlamentarischer Staatssekretär vom Fach und hebt sich im Umgang bisher angenehm ab von seinem Vorgänger. Ich würde seine Art als bayerisch robust bezeichnen. Damit kann ich, als jemand der auch aus dem Süden Deutschlands kommt, gut umgehen. Ich hoffe, dass Scheuer aus den Fehlern von Dobrindt gelernt hat, der vier Jahre das Bundesverkehrsministerium mit einer unsinnigen Pkw-Maut lahmgelegt hat, die den Steuerzahler schon jetzt jeden Tag Geld kostet, obwohl sie erst Mitte 2020 scharf gestellt werden soll. Ich werde den neuen Ressortchef an dem messen, was im Koalitionsvertrag steht. Darin stehen einige Dinge, die in die richtige Richtung gehen. Entscheidend ist die Umsetzung. Der nun vorgelegte Verkehrshaushalt lässt allerdings kein Umdenken erkennen. Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot in Bezug auf das Zusammenspiel von Verkehrs- und Klimapolitik? Ohne eine Verkehrswende geht es nicht. Der Verkehrssektor ist der einzige Bereich, in dem der CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 sogar angestiegen sind. Wenn die Bundesregierung so weitermacht, wird Deutschland die Ziele der Pariser Klimakonferenz krachend verfehlen. Ende 2014 hatten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sich verpflichtet, bis 2030 die CO2-Emissionen um mindestens 40 Prozent zu senken. Es braucht drastische Maßnahmen: Der fossile Verbrennungsmotor hat zum Beispiel ein Verfallsdatum. Es ist dabei egal, was der Bundesverkehrsminister sagt und was die große Koalition macht: Die Entscheidung über die Verkehrswende wird am Markt getroffen. Es geht meiner Meinung nach nur noch um die Frage: Kommen die emissionsfreien Fahrzeuge von morgen aus Deutschland oder zum Beispiel aus Asien? Für die Zukunft unserer Wirtschaft ist es elementar wichtig, dass auch das emissionsfreie Auto zu einem deutschen Exportschlager wird. Die Realität sieht bisher so aus, dass die Luft in vielen Städten zu schmutzig ist und die Hersteller sich gegen die Hardware-Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen auf eigene Kosten wehren. Glauben Sie, dass sich generelle Diesel-Fahrverbote noch verhindern lassen? Inzwischen wissen wir dank einem vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebenen Expertengutachten, dass der finanzielle Aufwand für technische Diesel-Nachrüstungen geringer ist als bisher vom Staat angegeben. Georg Wachtmeister von der Technischen Universität München nennt Kosten von rund 3000 Euro pro Fahrzeug. Dieses Anfang Januar erstellte Gutachten wurde lange Zeit vom Verkehrsministerium zurückgehalten, weil ihm das Ergebnis nicht passt. In den USA drohen Ex-VW-Chef Winterkorn wegen der Abgasaffäre 25 Jahre Haft und in Deutschland passiert nichts. Das darf so nicht weitergehen. Die Politik muss die Hersteller auch hierzulande nach dem Verursacherprinzip in die Pflicht nehmen. In diesem Zusammenhang machen wir Grüne uns für die Einführung eines gemeinsamen Klagerechtes stark, um Betroffenen zu ermöglichen, ihre Ansprüche in Form von Gruppenklagen einzufordern. Das Instrument der Musterfeststellungsklage, wie es die Bundesregierung jetzt angekündigt hat, ist ein Schritt in die richtige Richtung, geht aber nicht weit genug. Rechnen Sie damit, dass die Bundesregierung noch eine blaue Plakette einführt, obwohl sie sich bisher dagegen wehrt? Der Bund lässt die Kommunen mit der dreckigen Luft alleine. Die Kommunen können dieses Problem mit den Maßnahmen, die ihnen bisher zur Verfügung stehen, gar nicht lösen. Wir brauchen die blaue Plakette als bundeseinheitliche Regelung, damit überall Rechtssicherheit herrscht. Es darf keinen Flickenteppich von lokalen Regelungen und Fahrverboten geben. Welche Veränderungen sind nötig, damit sich ein Dieselskandal nicht wiederholt? Die unheilige Kumpanei, die es in der Vergangenheit zwischen Autobossen und Politikern der CSU gegeben hat, hat nicht nur Umwelt und Fahrzeugkäufern geschadet, sondern auch dem Label "Made in Germany" und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Hersteller. Jetzt müssen wir aufräumen. Die Regierung Merkel darf nicht länger für die Hersteller in Brüssel gegen ambitionierte Umweltstandards agitieren. Viel zu lange standen CDU/CSU und SPD auf der Innovationsbremse. Bundesverkehrsminister Scheuer sendet bisher leider keine deutlichen Zeichen, etwas ändern zu wollen. Nicht nur wegen drohender Fahrverbote fordern die Transporteure und Spediteure Planungssicherheit, sondern auch bei der Lkw-Maut. Halten Sie die geplante Erhöhung bis zu 60 Prozent für gerechtfertigt? Die Verkehrsinfrastruktur muss irgendwie finanziert werden. Bei den neuen Lkw-Maut-Sätzen, die das Verkehrsministerium plant, muss man im Kopf behalten, dass es da bisher ein großes Ungleichverhältnis zur Schiene gab. So haben beispielsweise die Trassenpreise in den letzten Jahren um 18 Prozent zugenommen, während die Lkw-Maut in der Tendenz gesunken ist. Das Preisgefüge im Verkehrsmarkt ist extrem verzerrt. Ein fairer Wettbewerb ist nicht in Sicht, zumal auch die bereits von Dobrindt großspurig angekündigte Absenkung der Trassenpreise nicht im diesjährigen Haushaltsentwurf auftaucht. Die Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene wird damit weiter konterkariert. So bleiben Transporte auf der Straße im Vergleich zur Schiene zu billig und das schadet dem Klima. Leichte Lkw zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen und Busse sollen weiter keine Maut zahlen. Ist das auch in Ihrem Sinne? Das ist aus grüner Sicht nicht nachvollziehbar. Das führt ebenso zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten der Schiene und außerdem zu mehr kleinen Lkw auf den Fernstraßen. Zudem entgehen dem Bundeshaushalt Einnahmen von mehreren Hundert Millionen Euro jährlich. Mitte Mai hat das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf gebilligt. Wie stehen die Chancen, dass sich an Scheuers Mautplänen noch etwas ändert? Wir Grüne setzen uns für einen fairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern ein. Ich sehe allerdings nicht, dass die große Koalition sich diesbezüglich umstimmen lassen will. Die Branchenverbände bezeichnen die Ausnahme von Elektro-Lkw von der Maut als Symbolpolitik, weil diese Fahrzeuge nicht mal in Kleinserienmengen zur Verfügung stehen würden und auch vereinzelt kaum wirtschaftlich zu betreiben seien. Wie sehen Sie das? Ähnliches gilt auch für den Pkw-Bereich. Ich habe dieses Dilemma selbst bemerkt, als ich vor dem Wahlkampf im vergangenen Jahr gern ein wahlkampftaugliches Elektroauto von einem deutschen Hersteller verwendet hätte, mit dem man bundesweit unterwegs sein kann. Das gab es aber einfach nicht. Am Ende mussten wir ein Hybridfahrzeug nehmen. Daran sieht man, dass die deutsche Automobilindustrie hier schleunigst mehr machen muss. Ich habe es restlos satt, immer bloß Machbarkeitsstudien präsentiert zu bekommen - ich will marktreife abgasfreie Fahrzeuge auf den Straßen sehen. Wofür die Einnahmen aus der Lkw-Maut verwendet werden sollen, wird oft und gern diskutiert. Ist die im Bundesverkehrswegeplan 2030 vorgenommene Priorisierung nach Ihrer Meinung passend? Die Einnahmen aus der Lkw-Maut sollten eins zu eins in das Verkehrsnetz fließen - nach den Maßgaben: Verkehr finanziert Verkehrswende und Erhalt vor Neubau. Die staatliche Infrastruktur muss in diesem Sektor in einem vernünftigen Zustand sein, damit unsere Wirtschaft im internationalen Vergleich konkurrenzfähig bleibt. Nicht nur manche Straßen, sondern auch viele Eisenbahnbrücken befinden sich allerdings in einem sehr schlechten Zustand. Was kann der Bund tun, damit mehr Lkw-Parkplätze entstehen, wodurch sich die Verkehrssicherheit und die Sozialbedingungen der Fahrer verbessern würden? Hier besteht Handlungsbedarf. Zum Teil herrschen skandalöse Zustände entlang der Autobahnen. Wir haben das Thema kürzlich im Verkehrsausschuss behandelt und dem Bundesverkehrsminister parteiübergreifend aufgegeben, sich für bessere Arbeitsbedingungen von Lkw-Fahrern einzusetzen. Und zwar europaweit, denn es macht bei einem internationalen Straßengüterverkehr keinen Sinn, diese Probleme nur national lösen zu wollen. Für deutsche Transportunternehmen ist es sonst ein Wettbewerbsnachteil, wenn die Konkurrenz aus dem Ausland die Sozialstandards gnadenlos unterläuft. Das Bundesverkehrsministerium will in dieser Legislaturperiode an dem Investitionshochlauf der letzten Jahre festhalten. Reicht das aus? Der Staat hat über viele Jahre hinweg zu wenig in die Verkehrsinfrastruktur investiert. Das rächt sich jetzt, wie wir an den vielen Baustellen in Deutschland sehen. Allein die Eisenbahnbrücken sind in Deutschland durchschnittlich 65 Jahre alt. In 1100 Fällen lohnen eigentlich nur noch Abriss oder Neubau. Der Staat muss den Investitionsschwerpunkt dringend Richtung Schiene verschieben. Nach wie vor schrumpft das Bahnnetz nämlich, die Investitionen in diesem Bereich stocken seit Jahrzehnten. Als Grünen-Politiker haben Sie sich mehrfach für die Stärkung des Schienengüterverkehrs und eine Güterverlagerung weg von der Straße ausgesprochen. Macht Ihnen der Koalitionsvertrag Hoffnung? Die Verschiebung der Trassenpreis-Absenkung spricht eine andere Sprache. Die Ungleichbehandlung der Verkehrsträger finden wir auch in der Infrastrukturpolitik. Seit Beschluss des Bundesverkehrswegeplans 2030 ist nur ein Bruchteil der über 40 Schienenprojekte im potenziellen Bedarf bewertet worden. Auch das zeigt, wie stiefmütterlich die Bundesregierung die Schiene bislang behandelt hat. Die Engpässe sind bekannt. Zuletzt hat die Rheintalbahnsperrung sie vor Augen geführt. Der Koalitionsvertrag verspricht nun Besserung und hat die Vorhaben des Masterplans Schienengüterverkehr aufgenommen. Daran werde ich die Koalition immer wieder erinnern. Nun lassen sich nicht alle Güter auf der Schiene transportieren. Was erwarten Sie in dieser Legislaturperiode deshalb von der großen Koalition mit Blick auf Innovationen im Straßengüterverkehr? Ich wünsche mir, dass so viele Güter wie möglich auf der Schiene transportiert werden, weil das am besten für die Umwelt ist. Aber ich weiß auch, dass wir eine 100-prozentige Elektrifizierung der Bahnstrecken in Deutschland auf absehbare Zeit nicht schaffen. Das bedeutet, dass sich die Politik parallel darüber Gedanken machen muss, wie sich der Straßengütertransport besser, effizienter und klimafreundlicher gestalten lässt. Es geht darum, die Umwelt und die Bürger möglichst wenig zu belasten. Innovationen wie das automatisierte Fahren muss man sich frei von jeglicher Ideologie anschauen. Aus meiner Sicht bietet diese Technologie großes Potenzial, weil sich damit die Effizienz und die Sicherheit des Lkw-Verkehrs deutlich steigern lassen. Voraussetzung hierfür sind entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen, damit wir die Vorteile mit Blick auf Verkehrssicherheit und Klima voll ausnutzen. Automatisiertes Fahren und die Digitalisierung des Verkehrssektors generell brauchen vor allem schnelles Internet. Was muss passieren, damit der Logistikweltmeister Deutschland im internationalen Vergleich nicht mehr hinterherhinkt? Die Bundesregierung hat das Netz in den vergangenen Jahren leider nicht in dem notwendigen Maß ausgebaut. Vielleicht hat es sich nicht bis nach Berlin herumgesprochen, dass es auch auf dem Land mittelständische Unternehmen gibt, die große Datenmengen senden und empfangen müssen. Wir brauchen so schnell wie möglich bundesweit den G5-Mobilfunkstandard und Breitbandinternet muss überall verfügbar sein. Auch das entscheidet über die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung versucht hat, die Kompetenzen im Bereich der Digitalisierung zu bündeln. Jetzt gibt es mit Dorothee Bär und Helge Braun jedoch gleich zwei Koordinatoren im Kanzleramt und auch das Ministerium von Andreas Scheuer will ja sicherlich mitmischen. Auf jeden Fall werde ich als Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur den Verantwortlichen auf die Finger schauen. Mehr zum Thema finden Sie unter Verkehrspolitik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Vita Cem Özdemirgeboren am 21. Dezember 1965 in Bad Urach (Kreis Reutlingen), ist Mitglied des Deutschen Bundestages und leitet seit Januar dort als Vorsitzender den Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur Politik kam der gelernte Erzieher und studierte Sozialpädagoge schon während seiner Schulzeit. 1981 trat der Sohn türkischer Eltern der Partei "Die Grünen" bei (heute: Bündnis 90/Die Grünen). Ökologie und Nachhaltigkeit waren die Themen, die ihn als Jugendlicher politisiert haben, ob bei der Schülerzeitung an seiner Realschule, beim Verkauf von Dritte-Welt-Waren oder beim Einsatz für ein Recyclingkonzept in seiner Geburtsstadt. Eine wichtige Wegmarke war der Erhalt der Ermstalbahn in Baden-Württemberg. Als man die Gleise der stillgelegten Strecke rausreißen wollte, hat er mit Gleichgesinnten Mitte der 1980er Jahre dagegen protestiert und Sonderfahrten organisiert.Zwischen 1989 und 1994 war Özdemir Mitglied im Landesvorstand der Grünen in Baden-Württemberg, wo er heute im Kreisverband Stuttgart beheimatet ist. 1994 wurde er als erster Abgeordneter türkischer Herkunft in den Bundestag gewählt, dem er zwei Legislaturperioden lang bis 2002 angehörte. Nach politischen Stationen in Washington DC und Brüssel war er von November 2008 bis Januar 2018 Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Seit 2013 ist der Schwabe erneut Mitglied des Deutschen Bundestages. 2017 war er Spitzenkandidat seiner Partei zur zurückliegenden Bundestagswahl.Özdemir ist verheiratet, hat zwei Kinder und feuert als Fußballfan den VfB Stuttgart an, wenn es der Terminkalender zulässt. ag

DKV Mobility und MFG: Neue Partnerschaft für ultraschnelles Laden in Großbritannien

KEYOU bringt schweren Wasserstoff-Lkw auf den Markt

Transformation des Straßengüterverkehrs: Aiwangers Plan für eine grüne Logistikzukunft

Umstrittenes Personal für neue EU-Kommission

Neue Auto-Strafen in Italien wegen verschärfter Straßenverkehrsordnung

Alle Schlagzeilen

"Ich gucke Scheuer auf die Finger"

HASHTAG

#Landverkehr

Neue Info-Plattform für Transporte nach und durch Weißrussland

Militzer & Münch eröffnet neuen Standort in NRW

Maut-Befreiung für E-Lkw kann Spediteuren 5000 Euro pro Jahr ersparen

MEISTGELESEN

Emons Spedition siedelt sich am c-Port an

Bund und Länder fördern Brennstoffzellen-Lkw von Daimler Truck

E-Rechnungspflicht in Deutschland: Was Unternehmen wissen müssen

STELLENANGEBOTE

Koordinator (m/w/d) Intralogistik mit Teamleitungsfunktion

Schichtleiter (w/m/d) Logistik - Warenausgang

Area HR Business Partner

Leiter (w/m/d) Logistik Teilbereich Warenausgang

Head of Logistics (w/m/d) mit fundierter Erfahrung im internationalen Versand

WEITERLESEN

NEWSLETTER