Hintergrund

Hintergrund Vita Karlheinz Schmidt geboren am 6. Januar 1952 in Königstein/Taunus. Der "Professor", wie er auch von seinem Präsidium gerne gerufen wird (Schmidt ist seit 2000 Honorarprofessor an der Fachhochschule Heilbronn), ist seit 31 Jahren für den Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) tätig. 1977 nahm er beim damaligen BDF (später umbenannt in BGL) seine Tätigkeit als Referent in der Grundsatzabteilung auf. Seit 1995 ist der zweifache Vater Hauptgeschäftsführer des BGL. Schmidt gilt in der Branche als streitbare Persönlichkeit. Seine Kompetenz ist unumstritten – wie auch seine Eloquenz. Doch mit seiner Art, die Dinge beim Namen zu nennen, ruft er bei vielen Widerspruch hervor. cd Was haben Sie gegen Frau Merkel? Warum der BGL die Politik von Kanzlerin Angela Merkel attackiert, rechtliche Schritte gegen die Mauterhöhung erwägt und welche Folgen diese Verteuerung für das Gewerbe hat: Ein Interview mit Karlheinz Schmidt, Haupt-geschäftsführer des BGL. In einem Jahr wählt Deutschland. Welche neue Regierung wünschen Sie sich? Karlheinz Schmidt: Eine mit Verstand für die Wirtschaft. Wer hat diesen Verstand? Da muss man lange nachdenken. Aber wenn die Weltwirtschaftskrise in Deutschland so richtig aufschlägt, werden sich auch in den Fraktionen wieder diejenigen zu Wort melden, die etwas von Wirtschaft verstehen. Im Augenblick sind diese Vertreter dort in der absoluten Defensive. Wenn man der Kampagne des BGL glauben darf, gehört die Bundesregierung nicht zu denjenigen, die etwas von Wirtschaft verstehen. Die Regierung ist sich nicht bewusst, welchen Schaden sie mit der geplanten Mauterhöhung anrichtet. Wir haben deren Folgewirkungen ausführlich dargelegt, und zwar nicht nur im Verkehrsministerium, sondern auch im Wirtschaftsministerium und Kanzleramt, sodass allen die Folgen bekannt sind. Trotzdem hat man sich für ein Szenario entschieden, das Tausende von Mittelständlern die Existenz kosten wird. In der BGL-Kampagne greifen Sie die Kanzlerin an. Was haben Sie gegen Frau Merkel? Nichts, wir haben uns nur an diejenige gewandt, die in Deutschland die Richtlinienkompetenz der Politik hat: die Bundeskanzlerin. Mit ihrem ausdrücklichen Einverständnis wurden die Mauterhöhungspläne vorangetrieben. Nach unseren Informationen kam entscheidender Einigungsdruck auf den Bundesrat und die beteiligten Ressorts über das Kanzleramt. Täuscht also der Eindruck, dass der Bundesverkehrsminister der Strippenzieher ist, weil er den Ländern mit der Kürzung von Geldern gedroht hat, sollten sie sich einer Erhöhung verweigern? Nach unserer Erkenntnis laufen die Schnüre bei der Bundeskanzlerin zusammen: Frau Merkel hat es in der Hand, etwas zu ändern – wenn sie will. Aber den Eindruck haben wir nicht. Verscherzt sich das Gewerbe mit dieser Kampagne nicht die Sympathien, die es noch hat? Welche Sympathien? Die Sympathie, die eine Milchkuh hat? Gemolken werden die Firmen so oder so. Die Frage ist, ob die Regierung anlässlich einer solchen Kampagne die Melkmaschine noch stärker anwirft und die Kampagne sogar kontraproduktiv ist? Nein, das ist ganz und gar nicht zu erwarten. Erstens ist Regierungsmacht immer nur auf Zeit gegeben. Zweitens meldet sich die Wirtschaft noch zu selten zu Wort. Schauen Sie sich die Auftragsbücher der Neubestellungen für Nutzfahrzeuge an: die sind fast blank. Angesichts dieser tristen Absatzlage würde es vielleicht auch den Lieferanten und Dienstleistern des Gewerbes gut anstehen, sich stärker einzubringen. Von wem erwarten Sie Hilfe, wenn nicht von der CDU, die der BGL ja gerade mit der Kampagne massiv attackiert? Wir prangern die Politik der Großen Koalition an, für die die Kanzlerin die Richtlinienkompetenz hat. Das mit einem Angriff auf die CDU zu verwechseln, ist übertrieben. Die Kanzlerin als Spitze der Regierung ist jedoch maßgeblich mitverantwortlich für die Inflation. Etwa ein Drittel der allgemeinen Preissteigerungen beruht auf Abgaben und Steuern. Damit ist der Staat einer der Hauptpreistreiber in Deutschland. Wer da nochmal nachlegt, wie jetzt bei der Maut, darf sich über ein Echo nicht wundern. Was erhoffen Sie sich als Reaktion? Ziel der Kampagne ist es, den "Normalbürger" nachdenklich zu machen, wenn er wieder einmal im Supermarkt steht und merkt, das Geld reicht nicht aus. Dann weiß er, welcher Politik er das verdankt, nicht unbedingt, welcher Partei. Könnte es nicht auch sein, dass der Otto Normalverbraucher denkt: "Wunderbar, wenn die LKW-Maut erhöht wird, dann muss ich jedenfalls nicht noch eine PKW-Maut zahlen?" Die Menschen sind nicht dumm. Sie verstehen schon, dass 1,4 Milliarden Euro Belastung durch die Mauterhöhung über kurz oder lang an die Verbraucher weitergegeben werden. Dann ist die Maut ja kein Problem der Fuhrbetriebe mehr. Schön wär's. Dass die Maut weitergereicht wird, schreibt auch die Bundesregierung. Wir befürchten hingegen, dass dies in der desolaten Marktlage nicht zeitnah und umfassend – Stichwort Mautspreizung – geschehen kann und deshalb viele Betriebe vor dem Aus stehen. Aber völlig klar ist für uns, dass die Mauterhöhung nach einer kurzen Zeitspanne letztendlich beim Verbraucher landen muss, allerdings nicht, ohne eine "breite Blutspur" im Gewerbe zu hinterlassen. Wie lautet die Alternative zu Frau Merkel? Herr Steinmeier? Wir wollen keine Wahl beeinflussen, wir wollen eine andere Politik, eine stärker am Mittelstand orientierte Politik. Einigen Wirtschaftsverbänden wie dem VDA passt die Kampagne überhaupt nicht. Diese Töne sind zu uns nicht vorgedrungen. Wir haben positive Rückmeldungen nach dem Motto "Endlich traut sich einer". Haben Sie noch Hoffnungen, dass die Kanzlerin und mit ihr die Bundesregierung von ihren Mauterhöhungsplänen abrücken? Nein. Die Länder haben die Mogelpackung der Bundesregierung zwar erkannt, und sie wissen, dass sie nicht mehr Geld bekommen als vorher. Aber sie wollten das Budget wenigstens halten und haben einem Vorschlag zugestimmt, der unserem Gewerbe schweren Schaden zufügt. Haben Sie mit Tiefensee über ein Entgegenkommen verhandelt? Herr Tiefensee verhandelt nicht. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen? Herr Tiefensee lässt sprechen. Wenn es Gespräche gibt, dann auf der Ebene der "Staatssekretäre". Da besteht aber auch nicht das beste Verhältnis. Das ist doch nicht verwunderlich bei der Propaganda: Der Minister erklärt, die Maut steigt nur von 15 auf 16,3 Cent. Das wäre ein Plus von unter 10 Prozent. Wie soll das mathematisch hinkommen, wenn die Gebühr in der günstigsten Kategorie um 40 Prozent und in der teuersten um 90 Prozent erhöht wird? Seine Zahlen stimmen nicht. Was wäre eine akzeptable Mautregelung, ein fairer Mautsatz? Wir haben zusammen mit dem ADAC und dem BDI an das DIW den Auftrag gegeben, ein Wegekostengutachten auf anerkannten Grundlagen und im Einklang mit EU-Recht zu erstellen. Daraus könnte ein fairer Mautsatz errechnet werden. Doch das DIW wird bis heute daran gehindert, separate Rechnungen vorzulegen, indem an sich sonst zugängliche Mautdaten durch das BMVBS unter Verschluss genommen wurden. Nennen Sie doch einmal eine Hausnummer. Bis zur Hälfte könnte die berechnete LKW-Maut auf fragwürdigen und unfairen Annahmen beruhen. In der EU-Wegekostenrichtlinie heißt es, es dürfen nur gezahlte Kosten den Wegekosten zu Grunde liegen. Die Gutachter und die Bundesregierung berücksichtigen jedoch fiktive Kosten. Insofern gibt es starke Anzeichen dafür, dass die gesamte Rechnung gravierend gegen europäisches Recht verstößt und die Maut-höhe fragwürdig ist. Wir lassen diese Punkte gerade rechtlich prüfen. Wird der BGL gegen die LKW-Maut klagen, sobald das Gutachten vorliegt? Wir werden mögliche Streitpunkte sorgfältig abwägen und nach Vorliegen der DIW-Berechnung und eines Rechtsgutachtens in den Gewerbegremien entscheiden. Rollt mit der Mauterhöhung eine neue Pleitewelle auf das Gewerbe zu? Die Pleitewelle rollt ja schon. Die höheren Mineralölkosten haben das Gewerbe schon geschwächt, und jetzt trifft die Mauterhöhung auf ein "ausgeblutetes" Gewerbe, das nicht in der Lage sein wird, diese Last auch noch zu stemmen. Was wird passieren? Aus einem Landesverband habe ich gehört, dass sich schon jetzt 30 Betriebe wegen Geschäftsaufgabe zum Jahresende abgemeldet haben. Ich denke, dass die Mautentscheidung bis zu 10 Prozent der Betriebe kosten kann, das sind etwa 4000 Unternehmen. Damit gehen 40.000 bis 50.000 Arbeitsplätze verloren. Wird es auch einen Strukturwandel geben, bei dem die Kleinen kaputtgehen und die Großflotten profitieren? Gerade größere Betriebe, egal ob 10 oder 150 Fahrzeuge, geraten in diesem Szenario unter Druck, weil Preise einfach nicht in angemessener Zeit nach oben gestemmt werden können. Das Ganze geschieht in einem Markt, in dem viele kleine Unternehmen gezwungen sind, zum diktierten Preis zu fahren. Ich gehe daher von einer weiteren Atomisierung der Anbieter am unteren Ende der Firmenskala aus. Am anderen Ende sehe ich die Konzentration der großen Flotten, die sich in Spezialnischen zurückgezogen haben, in denen die großen Dienstleister ohne eigene LKW nichts werden können. Der Rest des Marktes ist hart umkämpft und von Verdrängungswettbewerb geprägt. Hinzu kommen größere Kapazitäten aus dem Ausland, die mit hausgemachten Wettbewerbsvorteilen antreten. Der BGL hat schon bei der Einführung der LKW-Maut 2005 Tausende von Pleiten vorhergesagt, was dann in dem Ausmaß nicht eingetreten ist. Betreibt der BGL Hysterie? Nein, wir betreiben keine Hysterie. Die Mauteinführung hat viele mittelständische Unternehmen gekostet, auch wenn wir damals ganz andere Bedingungen hatten. Wir treffen mit Sicherheit zur Mauterhöhung auf einen Konjunkturabschwung, wenn nicht auf eine Weltwirtschaftskrise. Auch hat sich das Gewerbe von der Dieselpreisexplosion längst nicht erholt. Aber vor allem war die Bereitschaft und Fähigkeit der Verlader, die LKW-Maut zumindest in Teilen zu stemmen, bei der Mauteinführung größer als diesmal. Damals hat der BGL auch gezweifelt, dass die Verlader diese Kosten tragen. Warum sollte das diesmal nicht klappen? Weil die Verlader diesmal selbst mit dem Rücken zur Wand stehen. Häufig sind jetzt schon Aussagen zu hören wie: "Wir können höchstens über Preiserhöhungen bei Euro 5 reden und das sind nach Aussagen aus dem Ministerium nur 1,3 Cent/km bei der Durchschnittsmaut." Dem Markt nahezubringen, dass selbst Euro-5-Fahrzeuge um 40 Prozent teurer werden, wird dabei einfach verdrängt. Was raten Sie einem BGL-Mitglied in Bezug auf Euro-3-Trucks? Verkaufen oder behalten? Die Frage könnte auch lauten, welchen Tod er sterben soll. Normalerweise kann der Nachteil, den Euro-3-Fahrzeuge haben, nicht über den Markt verdient werden. Von daher müsste das Fahrzeug eigentlich abgestoßen werden. Das scheint aber wegen der fälligen Sonderabschreibungen auf die Buchwerte nicht realistisch zu sein. Diese fressen das Eigenkapital auf, mit dem Ergebnis, dass die Bank das Unternehmen schließt. Also muss der Betroffene sich an die buchmäßige Abschreibung halten und das Fahrzeug weiter benutzen. Je nachdem, wie viel Mautkilometer gefahren werden, kostet das bis zu 8000 Euro pro Jahr mehr an Maut gegenüber heute. Die sind am Markt nicht unterzubringen. Mit Euro-3-Fahrzeugen können also nur noch Verluste gemacht werden. Das heißt: Euro 3 verkaufen, Euro 5 kaufen? Wenn jemand keine neuen LKW kaufen kann, wird er im Wettbewerb Probleme bekommen und muss Verluste hinnehmen respektive aufhören. Inwiefern wird die Bankenkrise das Gewerbe belasten? Das tut sie schon. Wir gehen davon aus, dass unser Gewerbe als eines der ersten unter der Bankenkrise leidet. Deswegen bleibe ich dabei: Unsere Prognosen zu den Firmeninsolvenzen sind keine Hysterie, sondern leider ein reales Szenario. Bedeutet das nicht, dass letztlich doch Großflotten überleben, weil sie über das Kapital verfügen, Euro 5 zu finanzieren? So weit würde ich nicht gehen. Es werden diejenigen mit festem Kundenstamm überleben. Das sind auch kleine Subunternehmer, die für mittelständische Kraftwagenspeditionen Dienste erbringen. Ist die Schimpferei über die Politik oder die hohen Dieselpreise nicht der falsche Ansatz? Muss nicht die einzig richtige Konsequenz aus dieser schwierigen Debatte lauten: Der Fuhrunternehmer muss die Kosten an seine Kunden weitergeben, koste es, was es wolle? Dann sieht sich häufig genug der Transportunternehmer ganz schnell dem Wettbewerb in Form von Ausschreibungen ausgesetzt und ruck, zuck stehen Anbieter aus Osteuropa vor der Tür und übernehmen den Auftrag zu günstigeren Konditionen. Und dann geht der Anbieter pleite wie im Falle Ricö bei VW? Das mag sein. Aber bedenken Sie: Bei VW hat kein Band stillgestanden, obwohl die LKW-Kapazitäten gut ausgelastet waren. Und zum Zeitpunkt der Mauterhöhung wird es am Markt wahrscheinlich Überkapazitäten geben. Das wissen die Verlader und werden die Dienstleister mit größtmöglichem Effekt gegeneinander ausspielen. Sehen Sie auch eine positive Entwicklung am Markt? Nein, im Augenblick nicht. … es kann doch nicht alles schlecht sein. Sehen Sie sich zum Beispiel das Thema Umwelt an. Auf der IAA haben alle über Euro 6 geredet, obwohl wir wissen, dass damit nur marginale Fortschritte in der Umweltpolitik erzielt werden können. Aber wir reden nicht davon, wann ein Auto kommt, das deutlich weniger verbraucht. Ich habe keines gesehen. Was erwarten Sie von einem Autohersteller in der jetzigen Situation zur Unterstützung des Fuhrgewerbes? Ich erwarte, dass die Hersteller sich auch in der Politik stärker zu Wort melden und nicht einfach um Euro-6-Standards feilschen, obwohl bekannt ist, dass dieser Standard unter umweltökonomischen Gesichtspunkten ein Krampf ist. Hersteller und Herstellerorganisation sollten sich stärker auf neue Schwerpunkte in der Umweltpolitik besinnen. Hätte man bei Euro 6 nicht die Priorität auf Stickoxidreduktion gesetzt, sondern auf Verbrauchsoptimierung, wäre womöglich die alte Forderung des BGL, einen 26-Liter-Motor zu bringen, in ein paar Jahren in Reichweite. Das ist nicht passiert. Stattdessen verschenken wir Zeit bis 2015, ehe wieder über das Thema nachgedacht wird. Herr Schmidt, wir danken Ihnen für das Gespräch. ❙❚■ Michael Cordes, Anita Würmser Standpunkte

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