Grundlagenlektüre für WMS-Projekte

Grundlagenlektüre für WMS-Projekte Projekte mit den Partnern "auf Augenhöhe" realisieren - vor allem für kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) ein geflügeltes Wort. Man erwartet Verständnis von und füreinander: Branchen- und Prozesskenntnisse, Fachwissen, Terminologie. Das gilt insbesondere bei IT-Projekten. Denn einerseits bildet eine angemessene Softwareunterstützung die Basis für schnelle Prozesssteuerung und Informationsverarbeitung in der kompletten Supply Chain. Andererseits gleicht der Anbietermarkt einem unübersichtlichen Dschungel. In seinem jüngsten "WMS Marktreport kompakt 2016" listet das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) für die DACH-Region rund 170 Anbieter von Warehouse Management Systeme (WMS) und Lagerverwaltungssysteme (LVS). Lagertechnik-Unternehmen, reine WMS-Entwickler und Anbieter von Logistik-Suiten stehen im Wettbewerb. Vor diesem Hintergrund hat der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) vor rund vier Jahren damit begonnen zu hinterfragen und zu definieren, was ein IT-System für die Intralogistik ausmacht. Herausgekommen ist die "VDI-Richtlinie 3601 Warehouse Management Systeme". "Es fehlte eine Definition des zentral führenden IT-Systems für die Intralogistik, von Begriffen und Abkürzungen, von Hierarchieebenen, Funktionen und deren Zusammenspiel", erläutert Jean Haeffs, Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik (GPL). "Kein Lehrbuch, keine technischen Empfehlungen, sondern eine an der Praxis orientierte Grundlagenlektüre für WMS-Projekte, die den Anwendern die wichtigsten Informationen und Entscheidungskriterien für einen konstruktiven Dialog mit Anbietern und Beratern auf Augenhöhe zur Verfügung stellt", so die Zielvorgabe. Erste offizielle Orientierungsgrundlage Fast drei Jahre arbeiteten die Experten des IML gemeinsam mit IT-Entwicklern an dem "Meilenstein auf dem Weg zur Standardisierung der Logistik". Denn für Planer und Anlagenbetreiber ist es bei den meisten Intralogistikprojekten ein Muss, DIN-Normen und VDI-Richtlinien zu kennen. Vor gut einem Jahr wurde die neue Richtlinie 3601 veröffentlicht. Damit liege erstmals eine offizielle Orientierungsgrundlage für Anwender vor, die "die Forderung von Anbietern und Markt nach definierten Strukturen erfüllt", sagt Jörn Krämer, Leiter Team Warehouse Logistics des IML. Für die Web-Plattform des Teams, auf der Anwender ihre Anforderungen mit den Angeboten der Softwareanbieter abgleichen können, gilt für die Entwickler seit Veröffentlichung der Richtlinie "eine 3601-konforme Angabe der Funktionen", so Krämer. Auch Matthias Thurm, Projektleiter bei dem Logistikberater IWL, der auf der Logimat eine aktuelle Studie zur WMS-Auswahl vorstellen wird, ist voll des Lobes: "ein absolut nützliches Mittel in der Vorbereitung von WMS-Projekten". Richtlinie noch weitgehend unbekannt Die Zielgruppe der kleinen und mittleren Unternehmen erreicht die Richtlinie offenbar aber noch nicht. Eine stichprobenartige Umfrage der VerkehrsRundschau unter veröffentlichten WMS-Implementierungen des vergangenen Jahres ergab, dass viele die VDI-Richtlinie 3601 nicht kennen. "Nicht gehört, nicht genutzt", formuliert beispielsweise Jens Meyer, Logistikleiter bei Sostmeier Transport und Logistics. "Wir haben unsere Prozesse definiert und uns über Messegespräche für ein WMS entschieden, das unsere komplexen Lagerprozesse abdeckt." Das Informationsdefizit bezüglich der Richtlinie mag dem geschuldet sein, dass sie noch relativ neu ist. Dass kann sich bald ändern. Der mit dem Vertrieb befasste Beuth Verlag spricht davon, dass sich die "VDI-Richtlinie 3601 sehr gut verkauft". Mitunter wählen gerade Mittelständler eine angemessene IT-Unterstützung aber auch nach ganz anderen Kriterien aus. "Ein umfassendes Warehouse-Management-System ist für unsere Anforderungen viel zu umfangreich", erläutert Matthias Rüttel, Geschäftsführer von National Transport Service (NTS). Am Standort Rodgau-Jügesheim bewirtschaftet der Mittelständler mit 13 eigenen Sattelzügen rund 10.000 Quadratmeter Lagerfläche mit 17.000 Stellplätzen in Hochregal- und funkgesteuerten Verschieberegalanlagen. NTS übernimmt für Kunden unter anderem Kommissionierung und Verpackung von Waren sowie Value Added Services wie Paletten- und Displaybau, Sortimentserstellung, Warenreinigung und Preisauszeichnung. Gleichwohl ließ Rüttel das bis 2016 installierte WMS eines größeren Marktplayers ablösen und entschied sich für eine kompaktere Lagerverwaltungssoftware. "Wir brauchen kein großes Betriebssystem mit Datenbank, sondern eine Lagersoftware, die unsere Prozesse abbildet", so der NTS-Geschäftsführer, der als weitere Expertise für den neuen Anbieter auch das Speditions-Know-how des Firmeninhabers anführt, sowie "Verständnis für unseren Bedarf und eine Projektabwicklung auf Augenhöhe." Aktualisierung alle fünf Jahre Angesichts der sich rasch wandelnden Geschäftsprozesse mag diese Einstellung mit Blick auf eine zukunftsfähige Ausrichtung der Geschäftsprozesse vielleicht etwas wenig weitsichtig erscheinen. "Individuelle Lagerprozesse können zum Teil mithilfe eines Standard-Lagerverwaltungssystems vereinheitlicht werden", urteilt IWL-Projektleiter Thurm. "Besonders wertschöpfende Prozesse oder spezielle Kundenanforderungen erfordern allerdings immer auch eine Anpassung des unterstützenden IT-Systems." Die Möglichkeiten dafür könnten kompaktere Systeme nicht immer bieten. Auch der VDI muss sich fragen lassen, welchen Zeitrahmen die Richtlinie 3601 denn angesichts der rasanten Technologieentwicklungen, die von den Anlagenbauern der Intralogistik eingebunden werden, abzudecken vermag. "Bei Betrachtung der vergangenen Entwicklung im Bereich der Logistik ändern sich die grundlegenden Lager-Prozesse nicht ständig", beruhigt Thurm. "Im Bereich der unterstützenden Zusatzfunktionen finden aber immer wieder technisch interessante Ansätze den Weg in das Lager, die enormes Optimierungspotenzial mit sich bringen. Um damit hinsichtlich einer Norm Schritt zu halten, ist aus unserer Sicht eine Aktualisierung alle fünf Jahre sinnvoll." Richtlinie soll Zusammenhänge klären Tatsächlich ist dies der Standard-Zeitraum, nach dem überprüft wird, ob VDI-Richtlinien in der vorliegenden Fassung Bestand haben, in Teilen zu ergänzen, erneuern oder zu korrigieren sind oder eine gänzliche Neufassung erfolgen muss. "Grundsätzlich sind die VDI-Richtlinien jedoch nicht so abgefasst, dass sie schnell veränderliche Komponenten einbinden, sondern grundlegende Zusammenhänge darstellen und Perspektiven aufzeigen", fasst Jean Haeffs zusammen. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier "WMS" www.verkehrsrundschau.de/dossiers VDI-Richtlinie 3601 Das steht drinDie VDI-Richtlinie 3601 sorgt laut Jean Haeffs, Geschäftsführer VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik (GPL) für "Transparenz und Orientierung, um Betriebsanforderungen und WMS-Funktionen in Einklang zu bringen". Damit soll die Richtlinie insbesondere auch KMU, die über keine eigene IT-Abteilung verfügen, eine solide Basis etwa für die Erstellung eines Pflichten- beziehungsweise Lastenheftes bieten.Die VDI-Richtlinie 3601- definiert notwendige Begriffe und Abkürzungen- beschreibt Aufgaben- und Leistungsbereiche, die für die Bezeichnung eines IT-Systems als Warehouse Management System (WMS) prägend sind- zeigt unterstützt von Fließdiagrammen und Grafiken das administrative und funktionale Umfeld auf- erläutert übliche Formen der Integration eines WMS in über- und untergeordnete IT-Systeme.Zu den WMS-Kernfunktionen zählen- Lagerstruktur, Bestands-, Stammdaten und Transportverwaltung- Steuerung und Organisation von Fördermitteln, Wareneingangs-, -ausgangs- und internen Prozessen, wie etwa Umlagerungen, Nachschuborganisation und InventurZusatzfunktionen sind beispielsweise- ein Staplerleitsystem für innerbetriebliche Transporte- Funktionen zur Chargenverwaltung, zu Cross Docking, Ressourcenplanung und Retourenbearbeitung oder der Einrichtung von Value Added Services rbbDie VDI-Richtlinie 3601 ist beim Beuth Verlag erhältlich (auch als E-Book). Der Preis beträgt 100,70 Euro.www.beuth.de