Grüne Logistik

Ende Februar wird es ungemütlich auf den Höfen der norddeutschen Bauern, die sich auf den Anbau von Speisefrühkartoffeln spezialisiert haben. Dann beginnt die Pflanzzeit. Morgens um fünf Uhr wird bei Dunkelheit und Minustemperaturen gepflügt. Tagsüber wird das Vorgewende gegrubbert, es wird gedüngt, gepflanzt, gehäufelt, Pflanzenschutzmittel ausgebracht und die Anpflanzung mit Folien und Frostschutzrohren geschützt. Schlüsselrolle für die Logistik Bis zu fünf Hektar - das entspricht der Fläche von zehn Fußballfeldern - schaffen Landwirte am Tag - bei Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden. Keine Maschine darf ausfallen, Dünger, Aussaat und Herbizide müssen zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein. Wenn die Logistik versagt, ernten auch die schlauesten Bauern keine dicken Kartoffeln. Der hohe wirtschaftliche Druck und die damit verbundene Technisierung der Landwirtschaft führen dazu, dass die Logistik immer mehr eine Schlüsselrolle einnimmt. Das beginnt bei der Lieferung von Ersatzteilen für die teuren Landmaschinen, die bei Ausfällen überall in Europa innerhalb weniger Stunden instandgesetzt werden müssen. Und es endet noch lange nicht mit Just-in-time-Transporten für Futtermittelwerke. Zudem sind die agrarwirtschaftlichen Verflechtungen mittlerweile globaler Natur. Grundstoffe für Futtermittel werden aus Südamerika importiert. Deutsches Getreide, so der Geschäftsführer des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse, Christof Buchholz, wird nach Afrika, Saudi Arabien, in den Iran und den Irak geliefert. Große saisonale Schwankungen "Die Volatilität in der Agrarwirtschaft ist enorm. Sie ist nicht nur saisonal bedingt, sondern auch von den aktuellen Warenströmen abhängig", sagt Michael Viefers, Vorstandsmitglied bei Rhenus und gelernter Landwirt. Das betrifft auch die Logistikdienstleister. Sie müssen beispielsweise die gesamte Ernte innerhalb von wenigen Wochen einsammeln, transportieren und einlagern. Das Kunststück ist, während der Hochsaison genug Transportkapazitäten bereitzustellen und sie für den Rest des Jahres anderweitig einzusetzen. Weniger hektisch ist dann die zweite Stufe der Logistikkette: Handel und weiterverarbeitende Industrie wollen über das ganze Jahr verteilt beliefert werden. Dabei verzichten immer mehr Futtermittelwerke auf Investitionen in Rohwarenlager. Sie lassen sich von Agrarlogistikspezialisten wie Agravis oder der J. Müller AG, die in Brake an der Unterweser einen eigenen Hafen mit 510.000 Tonnen Gesamtlagerkapazitäten betreibt, "just in time" beliefern. Erst kurz vor Produktionsbeginn trifft die benötige Rohware im Werk ein - ein Logistikkonzept, das bis vor wenigen Jahren High-Tech-Branchen wie der Automobillogistik vorbehalten war. Das Beispiel ist symptomatisch: Aus der scheinbar anspruchslosen Massengutlogistik für landwirtschaftliche Erzeugnisse und Futtermittel ist eine komplexe Branchenlogistik mit hohen Qualitätsansprüchen geworden. "GMP- und QS-Zertifizierungen gehören für jeden Dienstleister dazu, der in dieser Kette aktiv ist", sagt Ralf Depker, bei der Agravis Raiffeisen AG für den Transport von Getreide und Futterrohstoffen zuständig. Die gestiegenen Qualitätsanforderungen haben dazu geführt, dass führende Dienstleister versuchen, möglichst große Teile der Logistikkette zu kontrollieren. "Wir bieten ganzheitliche Lösungen an - beispielsweise von Lieferanten in Südamerika bis ins Werk", betont Jan Müller, CEO der J. Müller AG. Aber auch mittelständische Lkw-Speditionen spielen in der Agrarlogistik eine Rolle. In der Agrarbranche liegen die Transportpreise in aller Regel über dem Niveau des allgemeinen Ladungsverkehrs. "Agrartransporte sind sehr hygieneaffin", sagt Hubertus Kobernuss, Chef der Uelzener Spedition Kobernuss. Sie transportiert unter anderem mit 50 Silofahrzeugen Getreide und Futtermittel. Die Fahrer müssen besonders geschult sein. Außerdem ist ein Silozug um ein Mehrfaches teurer als ein Standard-Fahrzeug. "Die Herausforderung ist, dass man Teil einer Transportkette ist, die hohe Standards setzt", bestätigt Michael Kubenz, Inhaber der Spedition Kube & Kubenz, Hamburg, die Landwirte und den Landhandel mit Chemikalien wie Ameisensäure versorgt. Frachtratenniveau zufriedenstellend Um im Agrarsektor mitzumischen, muss eine Transportfirma in aller Regel GMP-zertifiziert (GMP = Good Manufacturing Practice) sein. Das erschwert den Marktzugang und sorgt für ein nach Ansicht beider Spediteure erträgliches Frachtratenniveau. Ein weiterer Preistreiber: Gerade für Spezialfahrzeuge ist es schwer, ohne zwischenzeitliche Reinigung des Fahrzeugs Rückladungen aufzunehmen. Das senkt die Auslastung - und erhöht den Transportpreis. Immer mehr zum Standard wird der Einsatz von Telematiksystemen. Der Hamburger Futtermittelspezialist Habema setzt in seinen 18 Lkw, die mit Mehrkammersilos unterwegs sind, das Telematik-System und Transportmanagement Ohopeo ein, um die Planung von Produktion und Verladung zu verbessern und den Tourenverlauf zuverlässiger prognostizieren zu können. Das hat zu Zeit- und Produktivitätsgewinnen in der Flotte geführt. Die wachsende Exportorientierung und der Massengutcharakter vieler Agrargüter haben auch der Binnenschifffahrt einen festen Platz in der Agrarlogistikkette beschert. Jens Hohls, Chef des Hafens Braunschweig, kennt den Grund für die Affinität der Agrarwirtschaft zu nassen Lagerstandorten. "Damit haben die Händler immer eine Option beim Verkauf und der Wahl der Verkehrsträger", sagt Hohls. Auch in der Supply Chain der Agravis Raiffeisen AG spielt die Binnenwasserstraße eine wichtige Rolle. "80 Prozent unserer Standorte liegen am Wasser" sagt Markus Menne, Bereichsleiter Logistik der Agravis. Importierte Futterrohstoffe für die 22 Kraftfutterwerke kommen mit dem Seeschiff entweder im niedersächsischen Brake, in Rotterdam oder in Amsterdam an. Sie werden dort - mitunter nach einer Zwischenlagerung - auf das Binnenschiff umgeladen und zu den Werken gebracht. Die Lage an der Wasserstraße sieht Menne als großen Vorteil. Preislich ist ein gut ausgelastetes Binnenschiff weder vom Lkw noch von der Eisenbahn zu schlagen. Darüber hinaus stimmt die CO2-Bilanz. Im Export von Getreide nutzt Agravis das Binnenschiff für den Vorlauf zum Seehafen Hamburg. Die zweite Exportdrehscheibe, Rostock, wird mangels Anbindung mit dem Lkw angefahren. "Wir sind absolut zufrieden mit der Leistung unserer Partner aus der Binnenschifffahrt" sagt Ralf Depker, Teilbereichsleiter Abwicklung Agrarerzeugnisse bei Agravis. Das Binnenschiff sei zwar nicht der schnellste Verkehrsträger, biete aber hohe Zuverlässigkeit und Transportsicherheit. Die Zuverlässigkeit ist wichtig für die Kraftfutterwerke. Grund: Es gibt keine großen Rohwarenlager, so Depker, die benötigten Produkte müssen möglichst kurz vor Verarbeitungsbeginn am Werk eintreffen. Auf dem Transportmarkt sichert sich Agravis 50 Prozent des Schiffsraums durch Jahreskontrakte. Die anderen 50 Prozent kaufen Depkers Mitarbeiter auf dem Spotmarkt ein. Ein guter Kompromiss zwischen sicherer Belieferung und Senkung der Transportkosten, finden Depker und Menne.

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