Endkunden ticken anders

Wohl kaum ein großes KEP-Unternehmen verfolgt derzeit ähnlich ehrgeizige Ziele wie DPD. Der Paketdienst will spätestens 2018 über 15 Prozent seines Umsatzes im B2C-Segment machen, also mit Sendungen für Endkunden, die bei Online-Händlern einkaufen. Derzeit sind es gerade einmal knapp acht Prozent. Um dieses Ziel zu erreichen, baute der Paketdienst seinen Zeitfenster-Service Predict im vergangenen Herbst deutlich aus. Damit teilt der DPD-Zustellfahrer dem Empfänger der Ware bereits am Vortag der Zustellung die Anlieferung mit. Am Morgen des Zustelltags mailt er ihm die voraussichtliche Zustellzeit mit einem Spielraum von 30 Minuten. Und der Endkunde kann ihm jederzeit antworten, ob der Termin ihm zeitlich passt und/oder ob er eine andere Lieferstunde und -adresse bevorzugt. Bis zu einer halben Stunde vor dem Zustelltermin kann er diese Angaben sogar noch kurzfristig ändern. Schnelle Zustellung bindet Kunden An solchen Standards, die die Paketbranche im Privatkundensegment (B2C) gesetzt hat, müssen sich die Transport- und Speditionsunternehmen orientieren, die nun ins B2C-Geschäft streben, wenn sie vom E-Commerce-Boom profitieren wollen. Ingmar Böckmann, Referent für E-Commerce, IT-Sicherheit und Logistik des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (BEVH), konkretisiert die neuen Anforderungen: "Jeder Versender wünscht, dass möglichst der erste Zustellversuch erfolgreich ist. Er möchte damit nicht nur Kosten sparen, sondern auch den Endkunden an sich binden", sagt er. Denn je schneller ein Endverbraucher ein bestelltes Produkt erhalte, desto bereitwilliger werde er erneut auf der Plattform des Versenders einkaufen, haben Experten herausgefunden. Die Krux aus logistischer Sicht: Ein Zusteller darf sich nicht darauf verlassen, dass der Empfänger zu dem Zeitpunkt tatsächlich anwesend ist, zu dem er ausliefern will. An einer Zeitfensterlösung, die den voraussichtlichen Zustelltermin mit einer Genauigkeit von wenigstens zwei Stunden ermittelt und Statusmeldungen per E-Mail oder SMS kommuniziert, führt also auch für Spediteure kein Weg vorbei. Dafür wiederum ist eine präzise Tourenplanung unerlässlich, die den zeitlichen Aufwand für Anfahrt und Zustellung präzise kalkulieren und neue Anschriften und Anfahrten sofort verarbeiten kann. Ein weiteres Muss: Fahrer und Fahrzeug müssen sorgfältig ausgesucht werden. "Beide treten gewissermaßen als Repräsentant des Versenders auf", sagt Böckmann. Nur saubere Fahrzeuge und ein freundliches Auftreten reichen aber nicht. Müssen beispielsweise besonders schwere oder sperrige Sendungen wie Möbel oder Haushaltsgeräte zugestellt werden, braucht es einen zweiten Mann für die Tour. Dies sei meist bei über 80 Kilogramm schweren Packstücken notwendig, weiß Nicolas Rottmann, Geschäftsführer von Rhenus Home Delivery. Stückgutdienste müssen mehr leisten Und diese Zusteller sollten im Idealfall nicht nur während ihrer Tour harmonieren. Denn viele Versender fordern mittlerweile von Zustellfahrern auch logistische Mehrwertdienste (Value Added Services). So sollen diese ihre Produkte nicht nur in die Wohnung transportieren, sondern dort auch aufstellen und montieren. Im Grunde genommen müssen Stückgutspeditionen hier also deutlich mehr leisten als ein klassischer Paketzusteller. "Stückgut kann nicht einfach beim Nachbarn abgegeben, vor der Wohnungstür abgelegt oder beim Paketshop hinterlassen werden", bringt Michael Bargl, Geschäftsführer von IDS Logistik, den Unterschied auf den Punkt. Auch die Lagermitarbeiter müssen B2C-Sendungen deshalb wie ein rohes Ei behandeln. Denn für mögliche Beschädigungen macht der Privatkunde im Zweifelsfall immer das Zustellunternehmen verantwortlich. Schon bei eingerissenen Kartons oder aufgeschlitzten Folien reagiert dieser kritisch, weiß Rhenus-Mann Rottmann. "Bei der Verpackung und Kommissionierung dürfen deshalb auch nur sehr kleine Schäden auf keinen Fall anfallen", mahnt er. "Da die Hersteller ihre Waren nicht immer in einwandfreien Verpackungen liefern, müssen Zustellunternehmen hier einen manuellen Mehraufwand einkalkulieren und ihre Mitarbeiter entsprechend schulen", sagt Rottmann. Dreh- und Angelpunkt im Privatkundensegment sind also entsprechend qualifizierte Fahrer und die passende Tourenplanung: Anders als im B2B-Segment befördert ein Zusteller im B2C-Geschäft hauptsächlich Einzelsendungen und hat im Gegenzug überdurchschnittlich hohe Stopp-Zahlen. Diese Erfahrungen von DPD, DHL oder Hermes machen nun auch Stückgutspeditionen. "Grundsätzlich müssen für Privatkunden längere Anfahrten eingeplant werden", nennt Peter Baumann, Geschäftsführer der Speditionskooperation 24Plus, eine weitere Besonderheit. Viele haben ihren Wohnsitz in reinen Wohnsiedlungen, abseits von Gewerbegebieten und Innenstädten, wo fast ausschließlich Geschäftskunden erreichbar sind. Abgesehen davon müssen die IT-Programme in den Speditionen entsprechend angepasst werden. Sie sollen nicht nur Avismeldungen aufsetzen und verarbeiten, sondern auch auf Basis der Stopp-Zahlen und -Entfernungen die Zeit für Zustellung und logistische Mehrwertdienste kalkulieren und in konkrete Zustellprognosen umsetzen. "Hier droht Stückgutzustellern der größte Aufwand", fürchtet Baumann. "Viele Speditionssysteme können solche Aufgaben nicht darstellen." Im Extremfall muss ein Spediteur sogar eine eigene IT-Lösung entwickeln lassen, wie dies die meisten Paketdienste tun. Ein neue Software oder gar ein eigenes System rechnet sich aber nur, wenn die B2C-Zustellungen eine relevante Größenordnung erreicht haben. Von solchen Zahlen sind jedoch (noch) fast alle Stückgutspeditionen und -netze weit entfernt. Trotzdem müssen sie ihre Routen anders konzipieren. Denn die meisten Versender wünschen gesonderte Endkunden-Touren, weiß Versandhandelsexperte Böckmann. "Bei der Tourenplanung müssen viele Dienstleister noch nachbessern", fordert er. Noch rechnen sich B2C-Touren nicht Solche Wünsche stoßen bei den großen Speditionen und Netzwerken auf wenig Gegenliebe. Denn noch rechnen sich B2C-Touren mangels Volumina nicht, so das immer wiederkehrende Argument vieler Spediteure. Die Kooperation IDS Logistik löst die Anforderung der Kunden auf ihre Weise. "Wir lassen die Zustellungen für Privatkunden in die allgemeine Tourenplanung einfließen und unterscheiden nicht zwischen B2B und B2C", führt Bargl aus. Und wenn ein Zwei-Mann-Service notwendig sei, müssen solche Touren aus Kostengründen so kurz wie möglich sein. Abgesehen davon stehen die Disponenten vor der Herausforderung, B2B-Zustellungen auf die Zeitfenster für die B2C-Zustellungen abzustimmen. "Für Geschäftskunden kann dies ständig wechselnde Zustelltermine zur Folge haben", räumt Baumann ein. Außerdem sollten diese informiert werden, wenn ihre Sendungen außergewöhnlich früh oder kurz vor Feierabend zugestellt werden. Mit einer E-Mail oder SMS ist dies allerdings relativ rasch erledigt und noch ein vergleichsweise geringer Aufwand gegenüber dem Zeitfenster-Management für Endkunden, die während eines Zustellvorganges bis zu einem halben Dutzend Mal kontaktiert werden müssen. "Endkunden ticken eben anders als Geschäftskunden", bringt es Norbert Keimeier, Geschäftsführer von GEL Express, auf den Punkt. Er selbst aber hat im Privatkundensegment positive Erfahrungen gemacht. "Viele Privatleute freuen sich auf den Sendungsempfang und nehmen sich dafür extra frei", erzählt er. Keimeier muss es wissen. Denn das Willicher KEP-Netz hat sich auch auf Stückgutsendungen spezialisiert und liefert schon seit Jahren an Privatkunden, unter anderem weiße Ware, Duschkabinen, Gartenmöbel, Großbildfernseher und Türen. Jeder Empfänger muss per Avis an Fahrer oder Disponenten ein Wunsch-Zustellfenster mitteilen. Auf Kundenbeschwerden reagieren Offenbar hilft das: So kann GEL laut Keimeier 97 Prozent der Auslieferungen im ersten Anlauf zustellen. Und wenn es doch zu Verspätungen und anderen Zwischenfällen kommt, machen die GEL-Zusteller mit ihren Handhelds Fotos an allen Be- und Entladepunkten. "Wir dokumentieren so, dass wir alles für eine einwandfreie Zustellung getan haben", sagt Keimeier. "Mit diesem Service können die Versender schneller auf Kundenbeschwerden reagieren." Qualitätsmanagement Online-Versender fordern Qualitäts-Auditierung Wenn Verlader die Dienstleistungen eines Logistikunternehmens nicht einschätzen können, orientieren sie sich am Qualitätsmanagement. E-Commerce-Anbieter machen hier keine Ausnahme. "Ich empfehle jedem Paket- und Stückgut-Zustellunternehmen, seine Qualität auditieren zu lassen", rät Ingmar Böckmann, Logistikexperte des Bundesverbands E-Commerce und Versandhandel (BEVH). Auch DPD beobachtet eine wachsende Nachfrage von Online-Versendern nach Qualitätsmanagementsystemen. Der Paketdienst begnügt sich vorerst mit DIN ISO 9001-Zertifizierung.Wesentlich weiter geht die Hermes Logistik Gruppe. Seit rund zwei Jahren lässt der B2C-Paketdienst jeden Subunternehmer vom Prüfungsinstitut SGS TÜV Saar auditieren. Einmal im Jahr muss dieser 85 Fragen zur Betriebsund Mitarbeiterführung beantworten. Zwei wichtige Schwerpunkte sind Zustell- und weitere Betriebsabläufe sowie die Außenwahrnehmungen der Sendungsempfänger. Die Auditoren prüfen unter anderem, ob Qualität und Abwicklung der Zustellungen sowie Auftreten und Outfit der Zusteller "stimmen". Da der Fragenkatalog jährlich aktualisiert wird, können auch neuere Verlader-Anforderungen, etwa zu Stückgutsendungen, berücksichtigt werden.Das Audit trifft offenbar ins Schwarze. Hermes zufolge hat bislang kein Versender Anforderungen formuliert, die über die SGS-TÜV-Saar- Zertifizierung hinausgehen. bot Tipps Was bei der Lieferung an Privatkunden wichtig ist - Ohne Speditionssoftware mit Tourenplanungstool geht gar nichts. Das System muss konkrete Zustellprognosen auf Basis von Fahrentfernungen, Stoppzahlen und Zustellaufwand erstellen können, diese bei unerwarteten Zwischenfällen, zum Beispiel Staus und Umleitungen, aktualisieren und in Avismeldungen verarbeiten.- Die Mitarbeiter müssen auf das Thema Privatkundenbelieferung vorbereitet werden. Lagermitarbeiter sollten dafür zu einem besonders sorgsamen Umgang mit der Ware angehalten werden. Zudem sind Fahrer so zu qualifizieren, dass sie einfache Aufbau- und Montagearbeiten erledigen können. Die Schulung sollte im Idealfall mit dem Versender erfolgen.- Möglichst viele B2C-Zustellungen sollten in einer Tour gebündelt werden. Wenn kein Wunschtermin bekannt ist, sollte man dem Empfänger beim ersten Avis mehrere Termine vorschlagen, darunter mindestens einen Abendtermin. Zudem sollte man ihm die beim Einkauf gebuchten Services nochmals aufzählen und ihm Branchenbegriffe wie "frei Bordkante" erklären. eh

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