Gesucht: Lösungen für die City-Logistik

Die Ausgangslage ist klar: Immer mehr Menschen wollen immer mehr Waren direkt zu sich nach Hause geliefert bekommen. Anders als früher gibt es dafür nicht nur einen nationalen Monopolisten wie in Deutschland die gute alte Bundespost, sondern viele Anbieter im freien Wettbewerb. Sprich: viele Fahrzeuge für den gleichen Dienst. Gleichzeitig sind die Anforderungen an die Umweltverträglichkeit gestiegen. Verkehr soll leise und schadstoffarm sein und am besten immer dort stattfinden, wo man selbst gerade nicht ist. Die Frage ist: Wie sollen all diese Anforderungen gerade in Stadtzentren erfüllt werden, wo von Natur aus die Konzentration von Menschen, Waren und Verkehr überdurchschnittlich hoch ist? Kaum "Best-Practice"-Modelle Spätestens seit Anfang der 2000er-Jahre beschäftigen sich Politiker, Wissenschaftler und natürlich Vertreter der Transport- und Speditionsbranche mit diesen Fragen. Endgültige Antworten sind noch nicht gefunden. "Keine Stadt hat bislang ein Modell umgesetzt, das man als "Best Practice" bezeichnen kann", sagt Christiane Auffermann, Gruppenleiterin Handelslogistik am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund (siehe auch Interview). Viele Städte seien auf dem Weg, einige auch schon relativ weit. Aber das eine und auf alle anderen Städte übertragbare System gebe es noch nicht. Auffermann glaubt auch nicht, dass es das überhaupt geben kann. Die lokalen Voraussetzungen und damit Bedürfnisse jeder Stadt seien unterschiedlich. Recht gibt sie allerdings der Behauptung, dass das Grundprinzip der City-Logistik immer so aussieht: An einer Stelle werden Waren zunächst gesammelt, um diese dann auf der sogenannten "letzten Meile" über alternative Transportmöglichkeiten zum Endkunden zu bringen. Größere und kleinere Elektro-Lkw, E-Bikes und normale Fahrräder, Austräger zu Fuß, Drohnen, Roboter und in Städten mit Wasser auch Schiffe sind auf dieser letzten Meile schon im Einsatz. Große Lagerhallen an den Stadträndern, Mini-Depots, Micro-Hubs oder Selbstabholungsstationen in den City-Zentren selbst, die in verkehrsarmen Zeiten bestückt werden können, gibt es auch. Durch Schadstoffzonen werden immer öfter alte, schadstoffreiche Fahrzeuge aus den Innenstädten verbannt. Doch auch hier ist festzustellen: Das eine, zur Nachahmung für alle sich anbietende Vorzeigebeispiel gibt es noch nicht. Dort, wo kein einzelner Betrieb seine eigene Lieferkette bis ins letzte Glied organisiert, scheint der Grund dafür klar: "Sobald keine Fördermittel mehr fließen, wird es schwierig", sagt Birgit Hendriks von der niederländischen Initiative "Binnenstadservice". Das zeigten zumindest Erfahrungen mit den Warendepots, die "Binnenstadservice" zum Beispiel am Stadtrand von Nijmegen betreibt. Fallen die Fördermittel weg, sei es schwierig, jemanden zu finden, der für die Sammeldepot-Dienstleistung Geld zahlen wolle. Funktioniert City-Logistik außerhalb von Großkonzernen also nur mit öffentlicher Unterstützung? Die Antwort dazu ist bislang ebenso wenig gefunden wie die auf die Frage, wie die City-Logistik der Zukunft aussieht. Auch Wissenschaftler sind unterschiedlicher Meinung. An große Logistikzentren an Stadträndern glauben laut einer IMF-Umfrage immerhin 68 Prozent der Forscher. Dass Diesel-Lkw in Innenstädten auf lange Sicht ein Auslaufmodell sind, scheint unausweichlich. Als Ersatz auf der "letzten Meile" gilt zurzeit alles, was sich ohne Schadstoffausstoß bewegt. Bei den unbemannten Möglichkeiten sehen die meisten den Roboter vor der Drohne. Gleichzeitig geht die Forschung nach neuen Alternativen weiter. Das amerikanische Unternehmen Hyperloop One will in der Schweiz das Projekt Cargo sous terrain (CST) starten: ein Warenanlieferungssystem unter der Erde, bei dem nur noch auf der letzten Meile die Ware überirdisch zum Kunden gebracht werden muss. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Grüne Logistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Praxisbeispiel Yokohama Motomachi: Der Name hilft beim Businessmodell Die Motomachi-Einkaufsstraße ist in Japan so etwas wie die Kö in Düsseldorf, die Champs Elysée in Paris, die Fifth Avenue in New York: Jeder Japaner kennt sie, jeder würde auf der fünf Häuserblock langen Einkaufsmeile in Japans Millionen-Metropole Yokohama gerne mal bummeln gehen. Ein Geschäft dort zu betreiben ist der Traum vieler Händler. Diese Bekanntheit wird dem Einzelhandelsverband der Motomachi-Einkaufsstraße dabei geholfen haben, das Modell der Sammeldepot-Anlieferung zu einem sich selbst tragenden System zu machen - anders als bisher in Europa, wo es ohne Subventionen (noch) nicht zu klappen scheint.Auf den Geschmack einer fast autofreien Geschäftsstraße waren die Geschäfteinhaber durch ein Pilotprojekt der Stadt Yokohama zwischen 1999 und 2001 gekommen. In dem Pilot wurde die Anlieferung der Waren an eine zentrale Sammelstelle getestet, von der aus die Waren zunächst in einem umweltfreundlichen Lkw gesammelt und dann nacheinander zu den einzelnen Geschäften gebracht wurden.Drei Jahre nach Ende des Pilots entschlossen sich die Händler, das Projekt selbst zu betreiben. Ein"neutrales" Lieferunternehmen ohne Privatlogo wurde ausgewählt, um die Waren vom Depot in einem Erdgas-betriebenen Lkw zu den Geschäften zu bringen - und von dort Restwaren und Abfälle abzuholen. Die Händler unterstützen das Lieferunternehmen mit Einnahmen, die sie aus Parkhäusern erhalten. Außerdem muss jeder Lieferbetrieb, der das Depot nutzt, pro Paket eine Gebühr von 150 Yen (aktuell gut 1,20 Euro) zahlen. Die Stadt stellt lediglich Parkplätze für das Lieferfahrzeug zur Verfügung.Mittlerweile werden rund 85 Prozent der Waren, die in der Einkaufsstraße verkauft werden, über das Depot geliefert. Ausgenommen sind Möbel und frische Lebensmittel. 500 Geschäfte sind dem System angeschlossen und selbst 850 Privathaushalte im Umfeld der Einkaufsstraße lassen sich über das neue System beliefern.Die Lösung der Motomachi-Straße scheint so gut gelungen zu sein, dass Eiichi Taniguchi, Professor für urbane Logistik an der Universität Kyoto und Präsident des internationalen Instituts für City-Logistik, sie regelmäßig in seinen Ausführungen als Musterbeispiel anführt. kw Praxisbeispiel Paris Eine Charta mit vielen Alternativen Beim Thema City-Logistik hat Paris einen anderen Weg eingeschlagen als die meisten Städte in Europa."Paris hat lange damit gewartet, Schadstoffzonen für alte Lkw und Lieferfahrzeuge einzuführen", sagt Laetitia Dablanc, Professorin am Wissenschafts- und Technologieinstitut für Verkehr, Entwicklung und Netzwerke (IFSTTAR) an der Universität Paris-Est. Erst seit September 2015 habe die Stadt damit begonnen, den ältesten Modellen die Zufahrt ins Stadtzentrum zu verbieten.Wenig konsequent:"Die Verbote werden kaum beachtet oder überprüft", stellt Dablanc fest. Vorreiter sei Paris allerdings bei innovativen Logistikmodellen zur Belieferung der Innenstadt. Früh waren in Paris schon Fahrräder zur Auslieferung von Paketen und anderen Waren unterwegs. Und selbst die Flussanbindung wird genutzt. Auf der Seine transportiert der Lebensmittelkonzern Franprix über Binnenschiffe Waren bis ins Herz der französischen Hauptstadt. Seit Mitte der 2000er-Jahre gibt es erste Übereinkünfte zwischen Politik und Privatwirtschaft. 2007 wurden eingeschränkte Lieferzeiten für schwere Lkw und spezielle Anlieferungsparkplätze eingeführt. 2013 wurde die heute maßgebliche Charta mit 16 Strategien für die kommenden Jahre unterschrieben.Eine dieser Strategien ist der Bau sogenannter "Logistik-Hotels". Eins davon ist Chapelle International, ein vierstöckiges Warendepot wenige hundert Meter vom Gare du Nord entfernt, das im November 2017 eröffnet werden soll. Realisiert wird das Projekt von der öffentlichen Immobilienfirma Sogaris, dem französischen Schieneninfrastrukturbetreiber SNCF Réseau und den Privatunternehmen Eurorail und XPO Logistics.Die Idee: Ein Zug von Eurorail, der im 40 Kilometer nördlich von Paris gelegenen Bruyèressur-Oise startet, wird mit in zuvor in Depots gesammelten Waren beladen. Der Zug fährt über mehrere Zuladestationen bis nach Chapelle International und wird dort entladen. Die Endauslieferung übernehmen umweltfreundliche Fahrzeuge von XPO Logistics. Das als vierstöckig angelegte Gebäude Chapelle International soll aber kein reines Depot werden, sondern sich als Baustein in die Innenstadt einfügen: Büros, ein Park und sogar Tennisplätze auf dem Dach des Logistik-Hotels sollen das Güterterminal auch attraktiv für die Bürger der französischen Hauptstadt machen. kw