Mehr Mut und mehr Geld

Es ist eine gute Tradition: Zum nunmehr 36. Mal trafen sich am 11. und 12. September 2018 Experten und Branchengrößen aus Wissenschaft und Wirtschaft, um zwei Tage lang im Dortmunder Kongresszentrum unter dem Motto "Alles in Bewegung" über die großen Zukunftsfragen der Logistik zu diskutieren. Wie sehr sich die Branche vor dem Hintergrund der Digitalisierung im Umbruch befindet, machte Professor Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML, in seiner Eröffnungsrede deutlich: "Wir leben in einer Zeit, in der wir das erste Mal in der Menschheitsgeschichte über mehr technische Möglichkeiten verfügen, als wir sinnvoll nutzen", betonte ten Hompel. Die hiesige Innovationskultur habe allerdings noch einigen Nachholbedarf, räumte ten Hompel ein. Sowohl Forschung als auch Anwendung würden den Anforderungen, die die Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen vorantreiben, noch nicht gerecht. "Hier benötigen wir ein grundlegendes Umdenken bei allen Beteiligten von der Politik über die Wissenschaft bis zur Wirtschaft", so der Institutsleiter. Ins gleiche Horn stieß StreetScooter-Erfinder Günther Schuh, der aktuell mit seinem Start-up E.Go Mobile die Elektrofahrzeugszene aufmischt. "Die Digitalisierung hat offensichtlich so viele Nebenwirkungen, dass die Volkswirtschaft aus ihr noch keine schubartige Produktivitätssteigerung ziehen konnte", konstatierte Schuh. E-Mobilität bleibt teurer Vor allem liegt es am lieben Geld, dass bei der Realisierung von neuen Geschäftsmodellen weniger vorangeht, als technisch eigentlich möglich wäre. Insbesondere bei der Elektromobilität bildet die Bezahlbarkeit den großen Hemmschuh: Er kenne keinen Hersteller, der bis dato mit Elektroautos Geld verdient hat, so Schuh. Das werde im Übrigen auch erst einmal so bleiben: "Dass wir morgen unsere Logistik mit rein batteriegetriebenen Fahrzeugen abwickeln und damit genauso weit, schnell und auch noch zu den gleichen Kosten unterwegs sein werden, können Sie sich abschminken", so Schuh. Er halte bei schweren Lkw eine Hybridtechnologie für realistischer, in denen ein zusätzliches Brennstoffzellenaggregat für die dringend notwendige Reichweitenverlängerung sorge. Dem Plenum gab er augenzwinkernd Folgendes mit auf den Weg: "Wenn Sie in Sachen alternative Antriebe gerade jetzt eine echte Innovation zu bieten haben, empfehle ich, auf der Stelle einen Lkw-Hersteller zu gründen. Die Etablierten sind auf jeden Fall so langsam, dass Sie eine Riesenchance haben." Schuh räumte aber ebenso ein, dass momentan ein abgasbereinigter Dieselantrieb immer noch die wirtschaftlich sinnvollste und umweltfreundlichste Antriebsart sei. Dies sieht Dachser-CEO Bernhard Simon, der ebenfalls zu den Referenten des ersten Kongresstages zählte, ähnlich: "Modifizierte Dieselantriebe werden im Schwerlastverkehr auch in den nächsten ein bis zwei Dekaden eine tragende Rolle spielen", so Simon, dessen Unternehmen viel mit alternativen Antrieben experimentiert. Mehr Forschungsmittel in die Elektrifizierung schwerer Lkw zu stecken, sei wünschenswert, stehe seitens der Politik allerdings nicht ganz oben auf der Agenda, so Simon. Eines ist aber auch dem Vorstandschef des führenden Food-Logistikers klar: Die gebrochenen Verkehre werden künftig teurer. Mehr Vernetzung und Zusammenarbeit Henry Puhl, CEO des Intralogistikanbieters Still, rief derweil zu einer besseren Vernetzung der Unternehmen untereinander auf, um Innovationen voranzutreiben: "Die Herausforderungen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, sind so groß, dass wir sie alleine nicht stemmen können. Wir kommen aus der Tradition, möglichst proprietäres Eigenwissen zu erzeugen und im Unternehmen zu halten. Das wird künftig nicht mehr gehen", so Puhl. Für Schuh lautet das Geschäftsmodell der Zukunft Subscription, also die vertraglich festgelegte Nutzung von Gütern beziehungsweise Dienstleistungen. Diese Modelle seien nicht nur für Maschinenparks sinnvoll, sondern eigneten sich im Grunde für viele Branchen. Unternehmen, die es versäumten, durch neue Geschäftsmodelle ihre Gesamtanlageneffektivität zu steigern, würden in kürzester Zeit abgehängt, mahnte der Aachener Professor. Will der Innovationsstandort Deutschland agiler werden, müsse sich zudem dringend an der Finanzierungsphilosophie etwas ändern: Während Deutschland im Bildungswettlauf mit anderen Nationen ganz weit vorne liege, werde aus guten Ideen relativ wenig gemacht, so Schuh. In diesem Zusammenhang prangerte er eine gewisse "Sparkassenmentalität" an. "Wir fangen schon mit zu wenig Geld an und machen dann mit wenig Geld weiter. So etwas wie Amazon hätten wir nie gedacht, weil wir gemerkt hätten, dass man dafür ein paar Milliarden braucht", so Schuh. Die Frage nach der Sicherheit des Ertrags stoppe jede Innovation im Keim. "Ich wünsche mir mehr Ehrgeiz", so Schuh. Deutschland könne auf ein weltweit einzigartiges Know-how zurückgreifen. "Wir sollten die Herausforderungen aber auch beherzt anpacken und uns nicht nur auf Vorbehalte zu stützen." Human Thinking fürs autonome Auto Wie die Mobilität der Zukunft irgendwann aussehen könnte, umriss in seinem Vortrag Johann Jungwirth, der als Chief Digital Officer bei Volkswagen die vollautonome Studie "Sedric" konzipierte. Er gab einen Einblick, wie "Mobility as a Service" als Geschäftsmodell eines Tages aussehen könnte. Dabei ging es nicht nur um selbstfahrende Autos, mit der sich der urbane Bürger fortbewegen soll, sondern um den ganzheitlichen Ansatz "Human Thinking", der den Mensch und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt. Sedric - das steht für "Self-driving Car" - soll seine Passagiere nicht nur auf Knopfdruck überall hinfahren, sondern auch für jede Menge Wohlfühlatmosphäre sorgen. Dass Jungwirth, der bereits bei dem Technologieunternehmen Apple an der Mobilität der Zukunft getüftelt hat, die Integration von Entertainmentservices wie Netflix und Spotify in die autonomen Fahrzeuge gleich mitdenkt, erscheint nur folgerichtig. Gleich acht innovative Geschäftsmodelle konnten die Kongressbesucher derweil im Rahmen eines Start-up-Wettbewerbs kennenlernen. Die beste Idee wurde vom Publikum gewählt und das Siegerteam im Rahmen der Abendveranstaltung des Digital.Hub Logistics ausgezeichnet (siehe Kasten unten). Am zweiten Kongresstag widmete sich das Fraunhofer-Symposium "Social Networked Industry" in Form von parallelen Sequenzen schließlich der konkreten Realisierung der diskutierten Zukunftsthemen - von den Herausforderungen in der urbanen Logistik bis hin zu KI-Anwendungen (Künstliche Intelligenz). Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Elektro-Lkw www.verkehrsrundschau.de/dossiers Start-up-Wettbewerb NautilusLog gewinnt Digital Logistics AwardIm Rahmen des Zukunftskongresses Logistik wurde zum zweiten Mal der von der Duisburger Hafen AG, dem Fraunhofer IML und dem EffizienzCluster Management ausgelobte Digital Logistics Award vergeben. Eine Expertenjury hatte im Vorfeld acht Finalteilnehmer ausgewählt, die ihre digitalen Logistiklösungen in einem fünfminütigen Pitch vorstellen durften. Gekürt wurden die drei Sieger von den über 500 Kongressteilnehmern vor Ort, die Preisverleihung fand im Rahmen einer Abendveranstaltung statt. Platz eins und damit ein Preisgeld von 30.000 Euro heimste das Hamburger Start-up NautilusLog ein. Die gleichnamige App unterstützt sowohl die Besatzung an Bord von Schiffen als auch ihr Management an Land und dient somit als digitales Logbuch. Unter anderem können mit NautilusLog Schiffe getrackt und Ereignisse und Aufgaben automatisch generiert werden. Den mit 15.000 Euro dotierten zweiten Platz belegte Pamyra. Die Leipziger verstehen sich als booking.com für den Transport: pamyra.de will mit einer Kombination aus unabhängiger Preisauskunft und einem einfachen Buchungsprozess bei Spediteuren und Versendern punkten. Über Platz drei freute sich HomyHub aus Madrid. Das spanische Start-up hat eine Plug & Play-Lösung für Garagenöffner entwickelt, die über das Smartphone läuft und nicht zuletzt auch bei der Paketzustellung nützliche Dienste leisten soll. Die Macher von HomyHub nahmen einen Scheck über 5000 Euro mit nach Hause. mh

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