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Frachterstau am Nord-Ostsee-Kanal

08.08.2011 10:03 Uhr
Frachterstau am Nord-Ostsee-Kanal
12.700 Schiffe haben im ersten Halbjahr 2011 den Nord-Ostsee-Kanal durchfahren
© Foto: ddp/Axel Heimken

Experten schlagen Alarm: Die uralten Schleusen von Brunsbüttel sind am Ende und verstopfen die Einfahrt

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Brunsbüttel/Kiel. Als die „neuen" Schleusen von Brunsbüttel tatsächlich neu waren, herrschte in Deutschland Kaiser Wilhelm II. 1914 fertiggestellt, verschaffen sie bis heute Schiffen aus aller Welt die Zufahrt zum Nord-Ostsee-Kanal - wenn sie nicht mal wieder aus Altersschwäche passen müssen. Stundenlang warten dann Frachter und verlieren wertvolle Zeit, die sie mit der Kanalpassage eigentlich einsparen wollten. Der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt droht aus Expertensicht ein „Infarkt", wenn nicht schnellstens eine fünfte Schleusenkammer gebaut wird. „Die Schleuse ist kurz vor dem Zusammenbruch; wir stehen vor einem GAU - für Schleswig-Holstein, Hamburg und Deutschland insgesamt", sagt der Ältermann der Lotsenbrüderschaft NOK II, Stefan Borowski.

Rund 270 Millionen Euro wird der Schleusenbau kosten - Geld, das Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) zügig freigeben soll. „Der technische Zustand ist ein Desaster", sagt der Vorsitzende des Nautischen Vereins Kiel, Jürgen Rohweder. „Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern viertel nach." Die beiden „alten", viel zu kleinen Schleusen, die auch noch in Betrieb sind, wurden übrigens in den Jahren 1887 bis 1895 errichtet.

Schon Anfang 2007 entschied das Bundesverkehrsministerium, eine neue Schleuse zu bauen. Wann es tatsächlich losgehen soll, kann es derzeit nicht sagen - das Geld ist knapp. „Die notwendigen Investitionsmaßnahmen zum Erhalt und zum Ausbau der Wasserstraßeninfrastruktur werden zurzeit priorisiert", hieß es auf Anfrage. Vorrang hätten Investitionen, ohne die Ausfälle oder Verhinderungen im bestehenden Schiffsverkehr drohen können. Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) hatte vor einiger Zeit der Vertiefung von Elbe und Weser Vorrang zugesprochen.

Rohweder fordert, die Schleusenerneuerung abzukoppeln von den bisher immer damit verbundenen Großprojekten Elbvertiefung und Kanalausbau, der sich wegen Geldknappheit um unbestimmte Zeit verzögert. „Wenn wir die Schleuse nicht sofort anfassen, droht dem Kanal die Schließung." Kaum vorstellbar angesichts der Bedeutung der 98,637 Kilometer langen Wasserstraße für den boomenden Schiffsverkehr.

12.700 Schiffe haben im ersten Halbjahr den Kanal durchfahren und 45,4 Millionen Tonnen Güter transportiert, 17,3 Prozent mehr als vor Jahresfrist. Inklusive Teilstreckenverkehr waren 16.600 Schiffe im Kanal. Die Reedereien müssen Gebühren zahlen, verkürzen aber den Weg zwischen Hamburg und St. Petersburg gegenüber der Route durch Skagerrak und Kattegat um 250 Seemeilen. Das spart Zeit und umweltschädigenden Treibstoff, sofern die Schleusen mitmachen.

„Die Wartezeiten haben sich 2010 verdoppelt", sagt Lotse Borowski. Peter Messer von der Kanalagentur UCA berichtet von einer Reederei, deren Liegezeiten in Brunsbüttel allein von Mai bis Juli mit 100.000 Euro zu Buche schlugen. Im Mai kamen 256 Stunden zusammen.

Die Tide und aus der Elbe eingespülter Sand haben der Anlage so zugesetzt, dass sich die Schienen, auf denen die Schleusentore laufen sollen, faktisch aufgelöst haben, schildert Borowski. Eine Notkonstruktion mit einem Schlitten wurde gebaut. „Aber das schmirgelt und schleift", berichtet Borowski. „Der Kanal braucht einen Bypass, damit er keinen Herzinfarkt erleidet."

Zum Baubeginn fehlt nur die Mittelfreigabe aus Berlin. Die Planung steht, Bäume wurden gefällt, Häuser abgerissen, das Gelände ist baureif. Der Düker - ein Versorgungstunnel unter den alten Schleusen - ist auch fertig. „Man könnte sofort loslegen", sagt Rohweder. Der Bau könnte drei, vier Jahre dauern.

Am Kiel Canal, so heißt er international, hängen direkt und indirekt mehrere tausend Jobs. Darunter sind die von 320 Lotsen und 150 Kanalsteuerern, die während einer Passage das Ruder bedienen. Doch die Bedeutung reicht viel weiter. Ein Drittel des Umschlags aus dem Hamburger Hafen für den baltischen Raum geht über die „Nasse Autobahn". Reedereien verteilen die Ladung großer Containerfrachter in Hamburg auf kleinere Feederschiffe (to feed: füttern, versorgen), die sie dann via Kanal gen Osten bringen. Auf der Straße müssten 700 Laster losfahren, um ein Feederschiff zu ersetzen.

Eine andere Vision: Wegen der Probleme in Brunsbüttel könnten Reedereien auf die Idee kommen, ihre großen Schiffe gleich um Skagen herum in die Ostsee nach Gdansk (Danzig) oder St. Petersburg zu beordern. „Das würde den Hamburger Hafen erheblich schwächen, eine ziemlich tödliche Bedrohung", sagt Rohweder. Dabei stehen die Zeichen im Seeverkehr weiter auf Expansion: Das Bundesverkehrsministerium erwartet, dass der Umschlag in den deutschen Seehäfen von 276 Millionen Tonnen im Jahr 2010 bis 2025 auf 759 Millionen steigt.

Politik und Wirtschaft im Land müssen Rohweder und Co. nicht bekehren. Der Landtag ist einmütig für den Kanalausbau einschließlich Schleusenneubau, Wirtschaftsminister Jost de Jager und Regierungschef Peter Harry Carstensen (beide CDU) setzen sich dafür beim Bund ein. „Aber der Bund vertut die Zeit damit, die Prioritäten von Elbvertiefung oder Kanalausbau langwierig zu untersuchen", rügt Rohweder. „Wir müssen die Schleuse Brunsbüttel aber jetzt anpacken, nur damit kann der Kanal überhaupt überleben." (dpa) 

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08.08.2011 - 19:14 Uhr

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