Fortschritte beim Mobilitätspaket

Es gleicht der Quadratur des Kreises, was die aktuelle österreichische EU-Ratspräsidentschaft mit dem Beschluss der EU-Verkehrsminister erreicht hat. Denn die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten und die schier unüberwindbare Blockbildung in Befürworter und Gegner der Neuregelungen, die die EU-Kommission unter dem Schlagwort "Mobilitätspaket 1" vorgeschlagen hatte, sind immer noch groß. Der jetzt gefundene Kompromiss wird dann auch längst nicht von allen Mitgliedstaaten mitgetragen: Lettland, Litauen, Bulgarien, Polen, Ungarn, Kroatien, Malta, Irland und überraschend auch Belgien stimmten dagegen. Rumänien enthielt sich nur deshalb, weil es ab Januar die Ratspräsidentschaft von den Österreichern übernimmt und ab dann die Beschlüsse federführend weiter betreuen muss. "Es gehört zum guten Ton, dass man sich in so einer Situation dann bei einer so umstrittenen Abstimmung enthält", sagt ein Mitarbeiter von Ismail Ertug (SPD), verkehrspolitischer Sprecher der Sozialdemokraten im Europaparlament und dort Berichterstatter von einem der drei Kapitel des Mobilitätspakets 1. Ohne diese Zurückhaltung hätte auch Rumänien gegen den Beschluss gestimmt. Die Minister einigten sich unter anderem auf folgende Regelungen: - Grundsätzlich sollen für alle Lkw-Fahrer, die nicht in ihrem (vertraglichen) Heimatland arbeiten, die Sozialbestimmungen des Gastlandes gelten, in dem der Fahrer tatsächlich arbeitet (Prinzip der Entsenderichtlinie) - Ausgenommen davon sind reine Transitfahrten durch ein anderes Land und sogenannte bilaterale Transporte, wo nur von Land A nach Land B und wieder zurück gefahren wird. Auf diesen Fahrten darf bei Hin- und Rückfahrt jeweils eine zusätzliche Ladeaktivität durchgeführt werden oder zwei auf der Rückfahrt, ohne dass der Fahrer dadurch unter die Sozialgesetzgebung des Auslandes fällt - Bei den Kabotageregeln ändert sich grundsätzlich nichts - anders als von der EU-Kommission vorgeschlagen: Innerhalb von sieben Tagen dürfen drei Kabotage-Operationen durchgeführt werden. Neu ist, dass danach das Fahrzeug mindestens fünf Tage im Heimatland bleiben muss, bevor eine neue Kabotagefahrt ausgeführt werden darf - Auch die Fahrer von Kabotagetransporten fallen für die Zeit der Kabotage-Aktivitäten unter die Sozialgesetzgebung des Gastlandes - Die wöchentlichen Ruhezeiten dürfen Fahrer grundsätzlich nicht mehr in der Fahrerkabine verbringen; alle anderen Ruhezeiten hingegen schon. Kosten für die Übernachtung des Fahrers muss der Arbeitgeber zahlen - Mindestens alle drei oder vier Wochen - je nach Anwendung der verkürzten wöchentlichen Ruhezeit - muss ein Fahrer in sein Heimatland zurückkehren, um dort seine Ruhezeit zu verbringen - Der sogenannte intelligente Fahrtenschreiber der zweiten Generation soll ab 2024 verpflichtend in allen Lkw eingebaut sein, die im internationalen Verkehr eingesetzt werden - Die Regeln sollen für alle Transportfahrzeuge ab einem zulässigen Gesamtgewicht von 2,5 Tonnen statt bislang 3,5 Tonnen gelten Die neuen EU-Regeln sollen eingeführt werden, um die Wettbewerbsbedingungen im internationalen Straßengütertransport fairer zu gestalten. Lkw-Fahrer zum Beispiel aus Bulgarien, die monatelang mit bulgarischen Löhnen in Westeuropa herumfahren und auf Parkplätzen in ihren Fahrerkabinen campen, soll es künftig nicht mehr geben. Viele westeuropäische Länder - allen voran Deutschland, Frankreich und auch Österreich - sehen darin unlauteren Wettbewerb zum Nachteil ihrer eigenen Transportunternehmen. Deutsche Verbände eher zufrieden Verständlich also, dass deutsche Transportverbände die Ratsbeschlüsse grundsätzlich begrüßen. Von einem "wichtigen Schritt" spricht man sowohl beim Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) als auch beim Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL). Beim deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) freut sich Hauptgeschäftsführer Frank Huster, dass "ein Scheitern des Mobilitätpakets" verhindert werden konnte. Jetzt komme es auf das an, was letztlich bei den Verhandlungen mit dem Europaparlament herauskomme. Was das sein kann, ist zurzeit noch offen. Denn die EU-Abgeordneten haben ihren Standpunkt noch nicht gefunden. Zwar hatte sich der Verkehrsausschuss des Europaparlaments bereits im Frühsommer über neue Regeln geeinigt - wenn auch nur mit knapper Mehrheit - doch das Plenum lehnte das Ergebnis ab. Deshalb ist der Verkehrsausschuss jetzt dabei, neue Vorschläge vorzubereiten. "Mitte Januar könnte es zur Abstimmung im Ausschuss und vielleicht auch schon im Plenum kommen", heißt es aus dem Büro von Ertug. Sprich: Frühestens Ende Januar könnten dann die Verhandlungen zwischen Rat und Parlament über die endgültigen neuen Regeln beginnen. Wie lange diese Verhandlungen dauern könnten und ab wann die Beschlüsse gelten, wird sich dann entscheiden. Die aktuellen Reaktionen auf den Ratsbeschluss zeigen bereits auf, an welchen Punkten sich sehr wahrscheinlich noch etwas ändern könnte. Dem deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) zum Beispiel gehen die Beschlüsse bei der Angleichung der Sozialleistungen nicht weit genug. "Weiter bleiben Nebentransporte im Rahmen einer Transportoperation von A nach B aus der Entsenderichtlinie ausgeklammert. Das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit wird so mit Füßen getreten und dem rollenden Prekariat der Weg geebnet", kommentiert DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Der Einfluss der Gewerkschaften auf die linken Fraktionen im Parlament ist angeblich groß. Aus dem Ausland kommt Gegenwind Niederländische Medien kritisieren das Verbot, die wöchentlichen Ruhezeiten nicht mehr in den Fahrerkabinen verbringen zu dürfen. Auf gesicherten Parkplätzen mit ausreichendem Komfort sollte das weiter möglich sein, geben sie damit auch den Standpunkt des niederländischen Berichterstatters zu diesem Punkt, des konservativen Wim van der Camp, wieder. Belgiens Verkehrsminister François Bellot begründete das Nein seines Landes mit dem Plan, Fahrzeuge nach Kabotagefahrten fünf Tage im Heimatland stehen zu lassen. Das Geschäftsmodell belgischer Transportunternehmer, die in Frankreich aktiv seien, würde dadurch nachhaltig geschädigt. Die Verkehrsminister aus Polen und Ungarn kritisierten die Beschlüsse kurz nach der Abstimmung grundsätzlich als "unverhältnismäßig", "diskriminierend" und "protektionistisch". Bulgarische Medien berichteten, dass die bulgarische Regierung alles tun wolle, um die neuen Regeln nicht wirksam werden zu lassen. Bei aller Vorsicht in Hinsicht auf die jetzt gefassten Ratsbeschlüsse heben die deutschen Transportverbände allerdings einen Punkt als besonders erfreulich hervor, der auch im Europaparlament gute Chancen auf Unterstützung hat: die Einführung des intelligenten Tachographen schon ab 2024 - und nicht, wie bislang von der EU-Kommission vorgesehen, erst ab 2034. Denn dadurch könnten die Kontrollen verbessert werden. Kontrollen seien grundsätzlich das A und O, um die Regeln im internationalen Straßengüterverkehr tatsächlich durchzusetzen. Der neue Tachograph soll es Kontrolleuren ermöglichen, durch Fernabfrage der Tachographendaten während der Fahrt des Lkw zu erkennen, ob Verdachtsmomente vorliegen. Die Zahl der effizient kontrollierten Lkw könne sich dadurch erhöhen, so die Hoffnung. Neuerungen auf der Schiene Beschlüsse für Kombinierten Verkehr stoßen auf KritikDie EU-Verkehrsminister haben neben dem Mobilitätspaket auch ihren Standpunkt zu Neuerungen beim Kombinierten Verkehr (KV) gefunden. Die Regeln für den KV sollen demnach künftig flexibler von den einzelnen Mitgliedstaaten definiert werden können. Lkw-Fahrten sollen als Kabotagefahrten gewertet werden können, sodass für die Lkw-Fahrer dann auch die Sozial- und Gehaltsvorschriften des Gastlandes gelten würden. Wie ein"geeigneter KV-Terminal" definiert wird, soll künftig ebenso von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden dürfen wie die Art und Weise des Monitorings von KV-Aktivitäten. Beim europäischen KV-Dachverband UIRR zeigt man sich entsetzt über diese Beschlüsse."Wenn die bisher europaweit einheitlichen Regeln für den KV zerfallen in einen Flickenteppich von einzelstaatlichen Regelungen, wird das die Attraktivität des KV deutlich schmälern", so UIRR-Experte Akos Ersek gegenüber der VR. Bei UIRR hofft man nun auf deutliche Änderungen des Ministerbeschlusses in den Verhandlungen mit dem Europaparlament, bei denen ab Januar die neuen Regeln endgültig definiert werden sollen. kw

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