Flexibilität ist gefragt

Wer Logistiklösungen für Handelsunternehmen mit Multichannel-Ambitionen realisiert, muss an vielen Stellen umdisponieren - also auch beim Personal. "Wichtig sind flexible Teilzeitkräfte, die im Zwei- oder sogar Drei-Schicht-Betrieb arbeiten können und vor allem am Montag zur Verfügung stehen", sagt Johannes Söllner, Geschäftsführer der Geis Holding in Bad Neustadt. Enorme Auftragsschwankungen Die Gründe liegen auf der Hand: Viele Endkunden kaufen am Wochenende im Internet ein und erwarten, dass ihre Bestellungen am Montag abgearbeitet werden. "Wir haben nach jedem Wochenende Spitzenbelastungen", bestätigt Söllner. Auch an jedem weiteren Werktag nehmen die Disponenten Aufträge von Endkunden parallel zu denen von Filialen und anderen Handelskunden auf. Weil viele Anbieter für B-to-C-Sendungen mit Overnight- oder gar Same-Day-Zustellungen werben, müssen Endkundenaufträge gegebenenfalls auch nach 18 Uhr kommissioniert, verpackt und ausgeliefert werden. "Die Auftragsschwankungen zwischen Dienstag und Freitag können erheblich sein", sagt Söllner. Wenn unter der Woche ein Feiertag ist, schnellen die Bestelleingänge sofort in die Höhe. Söllner weiß, wovon er spricht. Für regionale Medienhäuser hat Geis bereits Multi-Channel-Logistik realisiert. Außerdem ist der Logistikdienstleister über seine Mitgliedschaft in der Kooperation IDS sowie über die tschechische Paketdiensttochter Geis Parcel CZ in die Mehr-Kanal-Strategien mehrerer großer Handelshäuser und Markenartikler eingebunden. Die Herausforderung ist immer die gleiche. Als "Multichannel-Anbieter" wollen diese Unternehmen ihre Produkte nicht nur im stationären Einzelhandel, sondern auch über das Internet direkt an Endverbraucher absetzen. Außer bekannten Namen wie Adidas, Conrad Electronic, Douglas, Ernsting's Family oder Media Markt haben in den letzten Monaten auch zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen in solche Lösungen investiert. Jetzt stehen sie vor neuen logistischen Herausforderungen. Für Online-Kunden sollen sie das gleiche Sortiment anbieten wie für Offline-Kunden. Außerdem müssen sie Retouren in den Gesamtprozess integrieren, was für viele Häuser Neuland ist. Allenfalls Unternehmen, die Modeartikel oder solche mit Mindesthaltbarkeitsdatum verkaufen, haben hier Lösungen auf Sortimentsbasis entwickelt. Für Michael Boos, Direktor von Miebach Consulting, sind Retouren der unvermeidliche Preis dafür, dass der Online-Kunde die Ware nicht persönlich ausprobieren kann. Allerdings sind die Rückläuferquoten sehr unterschiedlich. Für Textilien und Schuhe liegen sie bei über 50 Prozent, für Parfüms und Möbel hingegen machen sie nicht einmal zehn Prozent aus. Ansonsten empfiehlt Boos Händlern wie Logistikern, sich auf veränderte Verbraucherbedürfnisse einzustellen. "Viele Endkunden kaufen nicht ausschließlich über einen Vertriebskanal ein", argumentiert der Experte. "Sie suchen sich vielmehr den jeweils passenden Kanal aus und möchten möglichst auch festlegen, ob die Ware nach Hause, in ihren bevorzugten Shop, an den Arbeitsplatz oder an einem anderen Ort gebracht werden soll." Das stellt nicht nur hohe Anforderungen an die Zustellung, welche die Sendung möglichst während der ersten Tour ausliefern soll und deshalb flexibel auf jeden Endkundenwunsch reagieren muss. Weil die meisten Endkunden weiterhin Heim-Lieferungen möglichst am Abend oder am Samstag bevorzugen, muss der voraussichtliche Zustellzeitraum per E-Mail oder SMS angekündigt werden. Logistiker zunehmend gefragt Auch Kommissionierung und Verpackung sind in der Multi-Channel-Logistik neu gefordert. Sie müssen zusätzlich zu Großmengen einzelne Produkte versandfertig machen und diese - wenn sie als Retouren zurückkommen - wieder dem Warenkreislauf zuführen. Die Einschaltung eines Logistikunternehmens, welches bereits für E-Commerce-Anbieter arbeitet und alle Lager- und Transportabläufe vom Wareneingang bis zum Retourenmanagement übernehmen kann, ist naheliegend. An Kandidaten im Markt herrscht kein Mangel. Außer bekannten Branchennamen wie Arvato, Fiege, Group 7 oder ITG ist auch mancher regionale Dienstleister in die Multi-Channel-Logistik eingestiegen. "Ab täglich 100 Online-Bestellungen sollte ein Handelsunternehmen den Einsatz eines professionellen Dienstleisters prüfen", rät Dominik Haupt, Geschäftsführer des Münchner Beratungsunternehmens Norisk. Vor allem Kommissionierung und Verpackung können dann erfahrungsgemäß nicht mehr mit dem angestammten Personal bewältigt werden. Für viele Handelsunternehmen ist dies allerdings ein Einschnitt. Vom Transport einmal abgesehen haben sie ihre Logistik bislang inhouse gemanagt und an ein Outsourcing nie gedacht. Ohnehin stehen sie vor größeren Investitionen. Außer dem Umbau beziehungsweise Ausbau des Lagers - so muss Platz für Retouren geschaffen werden - ist häufig auch ein neues Warenwirtschaftssystem fällig. "Viele Lösungen im Markt sind nicht auf die Fullfilment-Prozesse ausgerichtet, welche ein E-Business-Konzept erfordert", weiß Haupt. Ansonsten stehen Händler wie Logistiker vor der Herausforderung, die Kundennachfrage für den Online-Kanal realistisch einzuschätzen. Vor allem mittelständische Unternehmen, welche sich auf online bislang wenig nachgefragte Produkte mit hohem Beratungsbedarf spezialisiert haben, tun sich hier schwer. Viele Verbraucher besuchen erst die Homepage und kaufen dann doch in einer stationären Filiale. Ein Beispiel ist das Fachgeschäft Betten Rid in Frankfurt/Main und München. "Der Anteil dieser Kunden kann in den kommenden Jahren auf 50 bis 70 Prozent steigen", schätzte Geschäftsführer Robert Waloßek unlängst im Interview. Das heißt im Umkehrschluss, dass lediglich 30 bis 50 Prozent der Homepage-Besucher auch online einkaufen. Der Bettenhändler sieht sich für jedes Szenario gerüstet: Er hat sein Lager in der Nähe von München umgebaut, ein neues Warenwirtschaftssystem mit zentraler Steuerung eingekauft und DHL als Dienstleister engagiert. Wenn die Lagervolumina knapp werden sollten, kann die Post-Tochter jederzeit mit eigenen Kapazitäten einspringen. Bei anderen Multi-Channel-Händlern kaufen die Endkunden vom Start weg kräftig online ein. "Grundsätzlich muss bei neuen Anbietern mit extremen Steigerungen vor allem in der Hochlaufphase gerechnet werden", weiß Logistiker Söllner aus eigener Erfahrung. Ab dem dritten bis sechsten Monat stabilisieren sich dann die Wachstumsraten bei etwa zehn Prozent. Für die Logistik sind deshalb standardisierte Kommissionierlösungen von Beginn an wichtig. Aufträge von Online-Kunden sollten in besonderen Behältern gesammelt und konsolidiert werden, empfehlen Berater und Praktiker einhellig. "Die hohe Anzahl von Klein- und Kleinstaufträgen wird so handelbar gemacht", gibt Boos zu bedenken. Vor allem Ein-Artikel-Aufträge können so unabhängig von Tagesschwankungen effektiv gebündelt werden. Bei großen Multichannel-Anbietern wie Adidas machen diese weit über 50 Prozent der B-to-C-Sendungen aus. Im neuen Logistikzentrum Osnabrück des Sportartikelherstellers (siehe Kasten oben) werden Sendungen für Großhandels- und Einzelhandelskunden vor allem tagsüber, für Endkunden zwischen 18 und 20 Uhr konsolidiert. "Jede Bestellung kann so möglichst zeitnah bearbeitet werden", versichert Carina Tyralla, Director Warehousing Projects von Adidas. Neuer Vorschlag für die Retourenlogistik Bleibt das leidige Thema Retouren. Vom Endkunden aufgegebene Pakete machen vielen Logistikern zu schaffen. Häufig wird die Ware schlecht verpackt, kann nicht einwandfrei identifiziert werden und ist erst nach Reinigung und Instandsetzung wieder verkaufsfähig. Für Multi-Channel-Händler eröffnen sich hier neue Optionen. Sie können Retouren auch an stationären Verkaufsstellen entgegennehmen, die weitere Rückführung ins Lager übernimmt dann der Logistikdienstleister. In Großbritannien konnten Handelsketten die Rückläuferquote so auf unter 10 Prozent drücken. In Deutschland schrecken derzeit viele Händler vor solchen Lösungen noch zurück. Sie wollen Endkunden, die sich an die kostenlose Rücksendung per Paket gewöhnt haben, nicht vor den Kopf stoßen. Jetzt plädieren Logistiker für eine Zäsur. "Die Handelsbranche kann erhebliche Einsparungen realisieren", macht sich Söllner für ein Retourenmanagement in stationären Verkaufsstellen stark. Das neue Logistikzentrum von Adidas Weltweite Belieferung von Händlern und Online-Kunden 58.000 Quadratmeter Lagerfläche für 170.000 Artikel hat das neue Adidas-Logistikzentrum in Osnabrück. Von hier aus beliefert der Sportartikelkonzern Großhändler, Einzelhändler und Online-Kunden in aller Welt. Während Letztere vor allem Ein-Artikel-Sendungen mit zeitnaher Zustellung in Auftrag geben, kann der Großhandel mit Lieferzeiten von mehr als einer Woche gut leben. Zwischen beiden Polen bewegt sich der Einzelhandel, der mehrmals in der Woche kleinere Volumina ordert. Die Adidas-Logistiker fassen Aufträge der unterschiedlichen Zielgruppen zu sogenannten Waves zusammen, die entsprechend ihrer Priorität abgearbeitet werden. Für Groß- und Einzelhändler wird vorzugsweise tagsüber, für Online-Kunden nach 18.00 Uhr in Sortern kommissioniert. Ein-Artikel-Aufträge werden nach Artikelnummern gebündelt. Die Sorter setzt Adidas auch für Retouren ein, die Rückläuferquote soll 20 Prozent betragen. bot

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