Euro 6 und CO2-Grenzwerte

Euro 6 und CO2-GrenzwerteGegenwart und ZukunftDer Druck auf die Politik, für Euro 6 eine eigene Mautklasse einzuführen, und EU-Pläne für einen CO2-Grenzwert für schwere LKW verunsichern das Transportgewerbe. Was die führenden NFZ-Hersteller planen. Manfred Schuckert ist sich sicher: „2014 regt sich niemand mehr darüber auf.“ Der Konzernstratege der Daimler AG für den Bereich Nutzfahrzeuge spielt auf die aktuell recht verfahrene Situation bei der Markteinführung von Euro 6 an. Schuckert dürfte recht behalten, da in drei Jahren die neue, strenge Schadstoffnorm für alle Hersteller Pflicht ist. Aktuell ist sie Kür und entwickelte sich zum Zankapfel zwischen Mercedes-Benz LKW – wo der New Actros bereits in Euro 6 lieferbar ist – und den anderen Herstellern, die eine andere Einführungsstrategie fahren. Scania, zwar lieferfähig was Euro 6 betrifft, hält sich dabei vornehm zurück. „Wenn der Kunde bestellt, gut! Wenn nicht, liefern wir auch gerne Euro 5“, heißt es aus der Zentrale in Koblenz. Wobei bis zum Redaktionsschluss keine Bestellungen von Euro-6-Fahrzeugen der VW-Tochter zu verzeichnen waren …Splitten als StrategieManfred Schuckert hingegen spricht von „ermutigenden Verkaufszahlen“ bei Euro 6. „Wenn ich Kunde wäre und unsicher, was Euro 6 angeht, würde ich momentan splitten“, rät er New-Actros-Interessenten. Wobei er zugibt, dass Fahrzeuge in der künftigen Schadstoffnorm teurer sind. „Schon aus eigenem Interesse darf es keine Entwertung des vorhandenen Fuhrparks geben“, resümiert er. „Euro 6 kann aufgrund der aufwendigen Technik nicht billiger als Euro 5 werden. Damit halten wir bei angemessener Incentivierung über die Maut eine Entwertung der Euro-5-Fahrzeuge für ausgeschlossen“, so Schuckert. Im direkten Vergleich des New Actros in Euro 5 und Euro 6 glänzt erstgenannter sowohl mit einem niedrigeren Verbrauch als auch mit weniger Wartungskosten, weil er unter anderem ohne Dieselpartikelfilter auskommt. Kein Wunder also, warum Daimler Euro 6 durch eine neue Mautklasse (s. Kasten) attraktiver machen möchte. Doch da haben die Stuttgarter die Rechnung ohne MAN, Iveco und Co., vor allem aber ohne Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer gemacht. „Die Nutzfahrzeugindustrie sowie das Gewerbe sind sich darin einig, dass eine separate Mautkategorie für Euro-6-Fahrzeuge unterhalb der bisherigen Euro-5-Regelung notwendig ist“, räumt MAN-Unternehmenssprecher Detlef Hug ein. „Nur so können Unternehmen die Investitionsmehrkosten in einem überschaubaren Zeitraum amortisieren.“ Von einer aktuellen Mautanpassung wollen die Münchener aber ebenso wenig wie die anderen Wettbewerber etwas wissen. „Eine entsprechende Anpassung der Mauthöheverordnung gegen Ende der Legislaturperiode, bei rechtzeitiger Ankündigung durch den Gesetzgeber, erachten wir als zielführend“, so das klare Statement von Hug.Die Angst von Herstellern und Transporteuren ist berechtigt. Bereits die Einführung von Euro 5 hat gezeigt, dass die Verlader recht schnell sind, nur noch Maut für die beste Schadstoffklasse zu vergüten. Eine zu schnelle Einführung einer eigenen Straßengebühren-Klasse für Euro 6 könnte den gleichen Effekt verursachen. Schon deshalb sind die deutschen Kunden sehr reserviert – kaum verwunderlich also, dass der erste New Actros in Euro 6 nach Frankreich geht. Scania verkauft die supersauberen Laster aktuell vorwiegend in der Schweiz.Iveco-Magirus-Unternehmenssprecher Manfred Kuchlmayr bekräftigt die Einschätzung des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL), „der die Stimme der Kunden spricht“. Nach Kuchlmayrs Ansicht will niemand die vorfristige Einführung von Euro 6 oder einer eigenen Mautklasse. „Wir werden als Hersteller nicht gegen den Markt versuchen, vorzeitig eine eigene Mautklasse für Euro 6 herbeizureden. Die im Raum stehenden Mittel aus dem Innovationsprogramm alleine rechnen eine ‚Lex-Euro-6‘ nicht schön, wir betrachten diesen Punkt nicht als entscheidend.“All diejenigen, die sich bereits im Stillen für den Erwerb von Euro-6-Fahrzeugen entschieden haben, sehen sich bereits mit dem nächsten Problem konfrontiert: Was kommt nach Euro 6? Setzt sich die EU mit einem CO2-optimierten LKW durch und wird es dadurch zu einem Werteverfall der jungen Euro-6-LKW kommen?„CO2-optimiert“ wohl erst 2020Da kann zumindest Manfred Schuckert Entwarnung geben: „Die EU Kommission hat zwar längst erkannt, dass die CO2-Emissionen wichtig werden, es fehlt aber an den Berechnungsgrundlagen.“ Die EU-Klimaschutz-Kommissarin Connie Hede-gaard möchte zwar bis 2013 eine Strategie veröffentlichen, „das heißt aber noch lange nicht, dass bis dahin schon Grenzwerte vorliegen“. Der Daimler-Stratege erklärt, dass aktuell die TU Graz ein Messverfahren erarbeitet, das bis Ende 2012 veröffentlicht werden soll. „Sollte dies mit Grenzwerten verknüpft werden, muss die Sache vors Europäische Parlament“, erklärt Schuckert. „Parallel müssen verschiedenste Testzyklen für diverse Einsatzfälle und unterschiedlichste LKW-Kategorien erarbeitet werden. Die üblichen Bearbeitungszeiten zugrunde gelegt, gibt es vor Ende 2014, Anfang 2015 keine konkreten Ergebnisse.“ Dann aber beginnt laut Schuckert erst die richtige Arbeit: „Die Hersteller testen dann 2015/2016 alle Produktreihen und erarbeiten für alle Anwendungsfälle Verbrauchswerte. Damit haben wir zum ersten Mal konkrete CO2-Emissionen für alle Nutzfahrzeuge. Aber glauben Sie mir, vor 2020 tut sich da nichts Konkretes. Das heißt: Mindestens ein Investitionszyklus, in dem man Euro 6 nach aktueller Maßgabe bedenkenlos kaufen kann.“Euro 7 eher unwahrscheinlichSchuckert gibt zudem Entwarnung, was Euro 7 betrifft: „Die EU-Kommission weiß, dass weiteres Drehen an der NOx-Schraube Nachteile bei den CO2-Emissionen bedeutet. Für uns Fahrzeughersteller ist deshalb Euro 6 das Ende im Rennen um noch geringere Schadstoffemissionen.“ Ausnahmsweise ist man sich bei dieser Aussage auch mit Iveco und MAN einig. „Mit Euro 6 haben wir mittlerweile einen Schadstoffausstoß, der bei etlichen Komponenten an der Nachweisgrenze angelangt ist“, argumentiert Manfred Kuchlmayr von Iveco. „Jetzt noch CO2- oder Verbrauchs-Reduktionen zu erreichen, ist bei gleichbleibenden Schadstoffen zumindest motorisch nicht möglich. Für den Fernverkehrs-LKW muss auf jeden Fall ein dann schon sehr intelligenter Ansatz erst noch gefunden werden.“Kuchlmayr verweist auf Lösungsansätze, wie etwa den „Glider“, den Iveco zur IAA 2010 gezeigt hat. Die aerodynamisch optimierte Sattelzugmaschine verfügt über eine Reihe von Lösungen, die durch Aggregateoptimierungen und neue Technik den Kraftstoffverbrauch reduzieren – ohne den Motor in seinen Grundfesten zu verändern. Wie aufwendig und vermutlich teuer das wird, zeigen einige Details am Glider. So verfügt der „Nach-Euro-6-LKW“ über hocheffiziente Solarzellen am Dach, die rund zwei Kilowattstunden Strom erzeugen und elektrische Verbraucher, wie die dann per E-Motor angetriebene Klimaanlage oder Wasserpumpe antreiben. Ein weiteres teures Gimmick, das man bislang nur aus der Formel 1 kennt, ist mit „Kers“ an Bord. Das Kinetic Energy Recovery System gewinnt beim Betrieb so viel Energie zurück, dass etwa Luftpresser und Lenkung damit versorgt werden können. Last, but not least wird die Wärme der Abgase über ein thermodynamisches System, ähnlich einer Dampfmaschine, nutzbar gemacht. So soll sich der Kraftstoffverbrauch um bis zu 30 Prozent senken lassen. Was die aufwendige Technik kostet und ob sie bis 2020 praxistauglich ist, darüber schweigt sich Iveco aus. ❙❚■ Gerhard GrünigDer CO2-optimierte LKW wird kommen – wohl aber nicht vor dem Jahr 2018Ivecos eigener Weg Die Kombination aller „Reinigungstechniken“ stand sicher auf der Wunschliste der Eurokraten. Bedeutete doch zumindest in der Theorie, dass mehr Technik auch sauberere Abgase bringt. Dennoch wurde nie formuliert, dass nur eine Kombination aus Abgasrückführung (AGR), Harnstoffeinblasung (SCR) und geschlossenem Dieselpartikelfilter statthaft ist. Im Gegensatz zu Mercedes und Scania verzichtet Iveco auf die Abgasrückführung und erhofft sich Vorteile im Hinblick auf Gewicht und Verbrauch. Stralis, Trakker und Co. benötigen deshalb weder größere Kühler noch durchsatzfreudigere Wasserpumpen. Zudem gibt Iveco an, dass der Partikelfilter weniger belastet wird, da die Rußentstehung durch den effizienten Verbrennungsvorgang im Gegensatz zu Lösungen mit hohem AGR-Anteil sehr gering ist. „Da sind wir bei einem anderen Teilaspekt: Wenn der Wirkungsgrad der Verbrennungsmaschine nicht durch eine hohe Abgasrückführrate reduziert wird, stimmt auch der Verbrauch“, ist sich Unternehmenssprecher Manfred Kuchlmayr sicher. Dafür mussten die Motorenentwickler in Arbon beträchtliche Entwicklungsarbeit leisten. Sie konnten aber durch ähnlich gelagerte Konzernprojekte erhebliches Know-how in der Thermo- und Fluiddynamik sammeln und meldeten auf der Abgasseite deshalb auch mehrere Patente auf die neue „SCR-only“-Technologie an. Im Schnitt haben alle Euro-6-Motoren rund zehn Prozent mehr Hubraum, die Leistungen verschieben sich nach oben. Preislich zeichnen sich nach aktuellen Angaben dennoch keine Vorteile gegenüber dem Wettbewerb ab. Den Grund, warum aus einfacherer Reinigungstechnik kein Preisvorteil für den Kunden resultiert, bleibt Iveco – mit Ausnahme auf einen Hinweis zu den gravierend überarbeiteten Motoren – aber schuldig. Man geht jedoch davon aus, dass sich 12.000 Euro, wie von Scania oder Mercedes propagiert, sowieso nicht durchsetzen lassen … ggManfred Kuchlmayr, Iveco Magirus AGSCR-only – ivecos weg zu weniger emissionenEuro 6 und CO2-GrenzwerteDer Vorschlag aus StuttgartUm dem Verkauf des New Actros in Euro 6 unter die Räder zu greifen, hat Daimlers LKW-Chef Andreas Renschler mehrfach eine Maut-Incentivierung gefordert. Der Vorschlag des Daimler-Vorstandes sieht folgendermaßen aus:Euro 1/2/3 20,4 Cent/kmEuro 4 18,3 Cent/kmEuro 5/EEV 15,5 Cent/kmEuro 6 10,4 Cent/kmDie festgelegte Spreizung der Maut würde eine Vergünstigung von Euro 6 nach Daimler-Vorstellung allerdings nur hergeben, wenn Euro 1 und 2 gegenüber der aktuellen Bemautung deutlich günstiger werden (20,4 statt 28,8 Cent pro Kilometer. Euro 2 mit nachgerüstetem Partikelfilter liegt bereits jetzt bei 20,4 Cent, Euro 3 mit DPF bei 18,3 Cent). Eine Senkung der Euro-1/2-Tarife wäre hinnehmbar, weil nach aktueller Statistik des BAG kaum noch solche Fahrzeuge gefahren werden. Entgegen dem Daimler-Vorstoß hat sich Verkehrsminister Peter Ramsauer jüngst beim DSLV-Unternehmertag ablehnend geäußert und pocht auf die Einhaltung des Mautmoratoriums, das vorerst keine eigene Mautklasse für Euro 6 vorsieht. ggEuro 6 und CO2-GrenzwerteIst 2013 nicht schon zu spät? Auf die Frage, warum Daimler Euro 6 deutlich vor der Notwendigkeit einführt, hat Manfred Schuckert eine klare Antwort: „Es geht nicht um einen Technologieträger, sondern um eine Produktpalette von 4000 Varianten.“ Er hätte einen Höllenrespekt vor den anderen Herstellern, meint der Vordenker der Daimler AG, die später kommen, dann aber gleich die komplette Palette umstellen müssten. „Nach meiner Ansicht ist es ein Risiko, zu spät zu kommen. Was Daimler mit der frühen Einführung des New Actros in Euro 6 macht, ist nicht die billigste, aber die industriell sinnvollste Variante.“ Schuckert hat aber auch ein Szenario, das ihm schlaflose Nächte bereitet: „Meine große Sorge ist, dass es 2013 noch mal einen großen Euro-5-Boom geben wird und 2014 steht dann alles still. Das wäre nicht gut fürs Gewerbe.“ Schon aus diesem Grund hält er eine rechtzeitige Mautanpassung für sinnvoll. „Aus unserer Sicht wäre der 1. Januar 2012 gut. Aber wenn sich dieser Wunsch nicht erfüllt, sollte es nicht erst am 1. Januar 2014 so weit sein.“ ggEuro 6 zwei Jahre vor NotwendigkeitEuro 6 und CO2-GrenzwerteKeine Verquickung von Euro 6 und CO2Kay Lindemann, Mitglied der Geschäftsführung des Verbands der Automobilindustrie (VDA), zur Position der NFZ-Hersteller. Wie bringt der VDA die unterschiedlichen Positionen seiner Mitglieder unter einen Hut?Kay Lindemann: Die Truck-Hersteller, die Trailer-Hersteller und die Zulieferer ziehen an einem Strang. Die Industrie ist sich in allen wichtigen Punkten einig. Die Frage ist eher, was Brüssel will. Allein die Messung von CO2-Werten für schwere Nutzfahrzeuge ist hochkomplex. Die Wissenschaftler brauchen dafür noch einige Zeit. Eine konkrete Regelung dürfte nicht vor 2018 in Kraft treten. Völlig offen ist darüber hinaus, wie sie inhaltlich aussehen wird.Welchen Einfluss nimmt der VDA auf Brüssel?Wir stellen unsere Expertise in jeder Hinsicht zur Verfügung. Die Ingenieure unserer Firmen stehen in einem regen Austausch mit den von der EU-Kommission beauftragten Wissenschaftlern. Ein wichtiger Schritt ist, dass ab kommendem Jahr mit dem Projekt LOT3 Anhänger und Aufbauten noch besser in die Untersuchungen integriert werden. Das zeigt aber auch, dass noch zahlreiche Aufgaben vor uns liegen.Welche Position nimmt der VDA bei dem Thema ein?Entscheidend ist, dass man bei schweren LKW nicht einfach dem Muster der CO2-Regulierung für PKW folgen kann. Es gibt grundlegende Unterschiede, etwa die Vielfalt an Fahrzeugen und Aufbauten. Schwere Nutzfahrzeuge sind anders als PKW-Investitionsgüter. Wirtschaftliche Notwendigkeit und ökologische Ziele hängen noch enger zusammen. Schließlich will jeder Transporteur den Kraftstoffverbrauch senken. Am sinnvollsten wären daher aussagekräftige Verbrauchs- und CO2-Werte, damit die Käufer noch besser vergleichen können. Das würde mehr Transparenz und Wettbewerb um effiziente und klimaschonende Fahrzeuge schaffen.Wie hängt eine CO2-Regulierung mit Euro 6 zusammen?Eine Verquickung ist höchst irreführend. Das CO2-Thema wird erst viele Jahre nach der Einführung von Euro 6 tatsächlich für die Kunden relevant werden. Alle Konzepte und Untersuchungen stehen noch am Anfang. Die Kommission sollte deutlich klarstellen, dass Euro 6 und CO2 nicht vermischt werden. bbInterviewKay LindemannLKW und Fuhrpark – Euro 6 in der PraxisWann und für wen rechnen sich Anschaffung und Betrieb von Lastkraftwagen mit der neuen Abgasnorm Euro 6? Diese Frage steht am 7. Dezember in Düsseldorf im Mittelpunkt der Fachkonferenz „LKW und Fuhrpark“, die jedes Jahr von der VerkehrsRundschau und vom Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL) veranstaltet wird. Experten aus der Logistik- und Nutzfahrzeugbranche erörtern die betriebswirtschaftlichen, technischen und politischen Rahmenbedingungen, die derzeit und künftig auf den Betrieb von LKW-Flotten einwirken. Informationen gibt es unter www.verkehrsrundschau.de/events oder unter der Telefonnummer 089/20 30 43-12 85. ak

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