Brüssel. Die EU-Kommission will mehr Einfluss als bisher auf die Sozialsysteme und die Arbeitswelt in den Mitgliedstaaten nehmen. Das Kollegium beschließt am Dienstag in Straßburg eine Initiative zur Verankerung eines Rahmens von „sozialen Rechten“, mit dem die Arbeitsbedingungen insbesondere in der Eurozone stärker als bisher angenähert werden sollen. Gleichzeitig legt die Kommission einen Vorschlag zur Überarbeitung der Entsenderichtlinie vor.
Die „sozialen Rechte“ sollen das bisher Erreichte soweit ergänzen, dass „die nationalen Arbeitsmärkte und Sozialsysteme besser funktionieren“. Sie sollen einen „besseren Zugang“ zum und „Chancengleichheit“ am Arbeitsmarkt gewährleisten sowie „faire, flexible und sichere Arbeitsbedingungen“ und sie sollen einen „adäquaten und nachhaltigen sozialen Schutz“ gewährleisten. Mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern will die Kommission bis Ende des Jahres darüber diskutieren, wie die „sozialen Rechte“ genau aussehen könnten. Sie sind aufgefordert, zu der Initiative Stellung zu nehmen.
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Sozialkommissarin Marianne Thyssen schwebt ein allgemein verbindlicher Bezugsrahmen vor, an dem die Mitgliedsstaaten ihre Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ausrichten sollen. Damit soll erreicht werden, dass die Mitgliedsstaaten so auf neue Trends in der Arbeitswelt reagieren, dass die Eurozone nicht noch weiter auseinander driftet. Als neue Trends in der Arbeitswelt hat die Kommission das Verhältnis zwischen Familie und Beruf, mehr Gleichberechtigung der Geschlechter am Arbeitsplatz, ein längeres und variationsreicheres Arbeitsleben, neue Arbeitsformen und Technologien, ein differenzierteres Arbeitskräftepotential und eine veränderte Demographie ausgemacht. „Wir müssen uns fragen, ob unsere Union und die Sozialpolitik unserer Mitgliedsstaaten den absehbaren Entwicklungen des 21. Jahrhunderts gewachsen sind“, sagt die Sozialkommissarin.
Unabhängig vom Ausgang dieser Debatte soll die Entsenderichtlinie grundsätzlich überarbeitet werden. Statt des bisher geltenden Grundsatzes, dass entsandte Arbeitnehmer den ortsüblichen Mindestlohn erhalten, sollen ihnen ihre Arbeitgeber in Zukunft den am Arbeitsort vorgeschriebenen Tariflohn bezahlen. Vor allem qualifiziertere Kräfte müssten dann wesentlich besser bezahlt werden. Ziel ist es, Sozialdumping zu vermeiden. Nach spätestens zwei Jahren sollen direkt entsandte Arbeitnehmer und entsandte Zeitarbeiter den lokalen Kräften vollkommen gleichgestellt werden, etwa im Hinblick auf den Kündigungsschutz. Die europäischen Sozialpartner kritisieren, dass die Kommission den Vorschlag vorlegt, ohne sie konsultiert zu haben. In einem gemeinsamen Brief warnen der Europäischen Gewerkschaftsbundes und die europäischen Arbeitgeberverbände davor, ein „unkalkulierbare und spalterische Debatte“ loszutreten. (tw)