Berlin/Brüssel. Minus 55 Prozent: Beim Klimaschutz steht die Europäische Union vor einer Weichenstellung, die in den nächsten zehn Jahren das Leben fast aller Europäer berühren wird. Die EU-Kommission plädiert in einem am Wochenende bekannt gewordenen „Klimazielplan“ dafür, die Treibhausgase bis 2030 nicht nur um 40 Prozent unter den Wert von 1990 zu drücken - sondern um 55 Prozent.
Nicht jeder ist davon überzeugt. In Deutschland warnten am Wochenende Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und die Autoindustrie vor „überzogenen Werten“. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) befürchtet ebenfalls, dass Deutschlands Unternehmen überfordert werden.
55-Prozent-Ziel noch nicht offiziell
Noch ist der Vorschlag für das 55-Prozent-Ziel nicht offiziell. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen wird ihre Zielmarke am Mittwoch in der „Rede zur Lage der Europäischen Union“ im Europaparlament nennen. Den „Klimazielplan“, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, wollte die Kommission deshalb nicht kommentieren.
In dem 24-seitigen Papier erklärt die Kommission ausführlich, warum die Marke auf 55 Prozent hochgesetzt werden sollte. „Die Ambition der EU zur Senkung der Treibhausgase bis 2030 auf 55 Prozent zu erhöhen, ist machbar und günstig für die Gesundheit, den Wohlstand und das Wohlergehen unserer Bürger“, heißt es darin.
Die unausweichliche Klimawende müsse so schnell wie möglich vorangehen, zumal sich die EU bereits festgelegt hat, bis 2050 „klimaneutral“ zu werden und dann gar keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre zu blasen. Der 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbauplan nach der Corona-Krise bietet nach Einschätzung der EU-Kommission auch das Geld dafür. Die Modernisierung der Wirtschaft werde Jobs auf Jahrzehnte erhalten und sei auch sozial gerecht zu gestalten.
Emissionshandel auch im Verkehr
In Aussicht gestellt wird aber schon jetzt unter anderem eine Verschärfung der Flottengrenzwerte für Autos, die 2030 in der Summe um 50 Prozent weniger CO2 pro Kilometer ausstoßen sollen als 2021. Der europäische Emissionshandelssystems ETS, das bisher nur Kraftwerke und Fabriken einschließt, soll auf Gebäude und Verkehr ausgedehnt werden.
Der Emissionshandel gilt als eines der wirksamsten Instrumente im Klimaschutz. Im Prinzip wird damit die Gesamtmenge von zulässigen Emissionen gedeckelt und entsprechend der Klimaziele jährlich verringert. Damit werden die Verschmutzungsrechte immer knapper und teurer - und der Anreiz zur Vermeidung der Klimagase steigt.
DIHK und Scheuer warnen vor überzogenen Zielen
Dass dies wirkt, beschreibt der DIHK in einer Analyse zur geplanten Anhebung der Klimaziele. Der Verband warnt allerdings für den Fall eines 55-Prozent-Ziels vor Preissteigerungen für Verschmutzungsrechte um bis zu 171 Prozent auf 55 Euro pro Tonne.
Verkehrsminister Scheuer sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Es muss die Balance gehalten werden zwischen Vernunft und Verschärfung.“ Es brauche ehrgeizige Ziele, weil sie Innovation brächten, aber: „Ich glaube, wenn man jetzt mit überzogenen Werten die falschen Signale in die Welt setzt, würde man Verunsicherung bei der Wirtschaft auslösen.“ Der CSU-Politiker fügte hinzu: „Es bringt nichts, wenn ein Unternehmen die Werkstore schließen und Tausende von Arbeitsplätzen streichen muss.“ (dpa/sn)