Erfolg im dritten Anlauf?

Marmor, Stahl und Papier: Auf diese Massengüter hat sich der Kiefersfeldener Transportbetrieb Josef Gschwendtner spezialisiert. Jeden Werktag fahren seine 20 Euro-5- und Euro-6-Züge von und nach Italien über den Brenner. Geht es nach der Tiroler Landesregierung, muss Gschwendtner in Zukunft die meisten Lkw auf die Schiene verladen. Für über ein halbes Dutzend Transportgüter, darunter Marmor und Stahl, soll ab Herbst 2016 erneut ein sektorales Fahrverbot gelten. Jetzt fürchtet der Geschäftsführer massive Geschäftseinbrüche. "Allein die Be- und Entladungen auf die Rollende Landstraße können sich jeweils über eine Stunde hinziehen", blickt er auf die vergangenen Fahrverbote zurück. "Oft sind auch Züge ausgefallen, was bis zu sechs Stunden Wartezeit zur Folge hatte." Als Folge erwartet er Nachteile gegenüber österreichischen Transportbetrieben, die als Anbieter von Quell- und Zielverkehren vom Verbot ausgenommen sind. "In Zukunft können diese Firmen von ihren Standorten aus jederzeit preiswertere und pünktlichere Verkehre von und nach Deutschland organisieren", schimpft er. Zweimal haben Tiroler Landesregierungen sektorale Lkw-Fahrverbote erlassen - zwei Mal hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Maßnahmen abgeschmettert. Solche Einschränkungen des freien Warenverkehrs seien nur zulässig, wenn sich alle anderen Maßnahmen zur Senkung der Schadstoffbelastung als wirkungslos erwiesen hätten, argumentierten die Richter 2005 und 2011. Als Gegenmaßnahmen empfahlen sie unter anderem Geschwindigkeitsbegrenzungen und Fahrverbote für Alt-Lkw. Genau diese Voraussetzungen sieht die schwarz-grüne Landesregierung jetzt erfüllt. Ab 1. Juli 2016 will sie deshalb den Transport von Abfällen, Steinen, Erde, Aushub, Rundholz, Kork und Kraftfahrzeugen auf großen Teilen der Inntal-Autobahn ab Kufstein verbieten. Am 1. Oktober 2016 soll dieses Verbot auf Erze, Stahl, Marmor, Travertin und keramische Fliesen ausgeweitet werden. Die Transportwirtschaft kann diese Güter dann nur auf Rollenden Landstraßen (Rola) und im Kombinierten Verkehr (KV) über den Brenner befördern. Oder sie weicht auf die Tauern-Autobahn und andere alpenquerende Straßen aus, was sich nicht rechnet. "Trotz erhöhter Emissionsstandards für Lkw werden die Grenzwerte für Stickoxid im Inntal weiter teilweise massiv überschritten", behauptet die stellvertretende Landeshauptfrau Ingrid Felipe, die als treibende Kraft der sektoralen Fahrverbote gilt (siehe Kasten Seite 27). Auch andere Maßnahmen der Landesregierung wie das im November 2015 eingeführte Tempo 100 auf über 120 Kilometern der Inntal-Autobahn haben angeblich nichts genutzt. Hohe juristische Hürden Über die sektoralen Fahrverbote hinaus plant die Tiroler Landesregierung weitere Restriktionen. So werden die Fahrverbote auf der Inntal-Autobahn für schadstoffreiche Lkw ab 7,5 Tonnen, die schon heute für die Euro-Klassen 0, 1 und 2 gelten, Schritt für Schritt ausgebaut. Ab Anfang 2023 sollen ausschließlich Züge mit Euro-6-Motoren auf der Alpen-Autobahn fahren dürfen. Allerdings gilt diese Erlaubnis nur am Tag. Ab 2021 dürfen Euro-6-Lkw nicht mehr nachts fahren. Für die übrigen Euro-Klassen gilt schon heute ein Nachtfahrverbot. Die Tiroler Landesregierung will mit diesen Maßnahmen den Lkw-Transit um rund 200.000 Fahrten im Jahr verringern. Das sind bei jährlich knapp zwei Millionen Touren über zehn Prozent. Mit rund 103.000 Touren weniger soll das sektorale Fahrverbot dazu den Löwenanteil beisteuern. Wie 2005 zieht auch dieses Mal die Wiedereinführung massive Kritik nach sich. Von einer "grob europarechtswidrigen Maßnahme" spricht die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) in Wien. "Das sektorale Fahrverbot darf laut EuGH erst als letzte Maßnahme zum Tragen kommen", wettert WKO-Geschäftsführer Peter Tropper. "Diese Voraussetzung ist auch 2015 nicht erfüllt." Ähnlich äußert sich der Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL) in Frankfurt/Main. "Auch Industrieunternehmen und Wohnungshäuser sorgen für Emissionen", gibt BGL-Vizepräsident Claus Herzig zu bedenken. "Hier wird der Lkw als Sündenbock aufgebaut." Da Herzigs Spedition im hessischen Eichenzell regelmäßig italienische Keramik über den Brenner transportiert, ist der Vizepräsident auch als Unternehmer vom Fahrverbot betroffen. Auch die schärfsten Kritiker der Tiroler Landesregierung räumen ein, dass dieses Mal die juristischen Hürden für ein Verbot des sektoralen Fahrverbots weit höher als 2005 und 2011 sind. Deshalb hinterfragen sie die von der Tiroler Landesregierung ermittelten Schadstoffwerte und Verlagerungspotenziale. Von "scheinwissenschaftlichen Beweisführungen", spricht Sebastian Lechner, Geschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT): "Viele Schadstoffwerte wurden an einer Autobahnraststätte ermittelt, wo es infolge ständig startender Fahrzeuge ohnehin erhöhte Emissionen gibt." Der BGL hat mit eigenen Berechnungen ermittelt, dass mit sektoralen Fahrverboten nur 0,7 Prozent der gewünschten Emissionssenkungen erreicht werden. "Flottenmodernisierung und Tempo 100 bringen weit mehr ", sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Adolf Zobel. Mit Fahrverboten für schadstoffreiche Lkw könne die Transportbranche leben. Am Ende wird Tirol am sektoralen Fahrverbot nur festhalten können, wenn Ökombi und andere Rola-Anbieter ausreichende Kapazitäten bereitstellen. Auch dies haben die EuGH-Richter 2011 in ihr Urteil hineingeschrieben. Ökombi selbst rechnet mit 60.000 bis 70.000 zusätzlichen Fahrzeugen im Jahr. "Alle anderen Lkw-Züge werden alternative Straßenrouten wählen oder in den unbegleiteten KV wechseln", so Unternehmenssprecherin Sonja Horner. Tatsächlich prüfen Branchenbetriebe mit eigenen Italien-Stützpunkten den Umstieg auf reine Behälterverkehre als preiswerteste Alternative. Für Gschwendtner kommt diese Option vorerst nicht infrage: "Mit einer Fahrerlaubnis ausschließlich für Euro- 6-Lkw wäre ich dagegen einverstanden". Aber genau davon will die Tiroler Landesregierung derzeit nichts wissen. Mehr zum Thema im Dossier Lkw-Fahrverbote www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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