Einer macht's immer noch billiger

Auf einem Parkplatz in der Nähe des KV-Umschlagterminals Köln-Eifeltor sitzen sie: Sie spielen Karten, bereiten sich auf ihrem Campingkocher Mahlzeiten zu und warten. Warten auf die nächste Ladung, die sie mit dem LKW durch halb Europa fahren werden - oder nur ein paar Kilometer zu einem deutschen oder belgischen Empfänger. Sie sind die neuen Nomaden Europas: LKW-Fahrer aus Rumänien und ein paar aus der Türkei. Auf anderen Parkplätzen in Westeuropa sitzen zur selben Zeit Polen, Litauer, Letten, Bulgaren und Slowaken - und tun das Gleiche. Beispielsweise am Asiadock im Hafen von Antwerpen, wo es kostenlose Parkmöglichkeiten gibt und einige billige Supermärkte, aber nur eine einfache Toilette und darüber hinaus keine sanitären Anlagen. Am Asiadock verbringen die Fahrer aus Osteuropa auch ihre wöchentlichen Ruhezeiten - und von hier werden sie nach zwei- bis dreimonatigem Einsatz in Belgien für zwei Wochen in ihre Heimat gefahren, wie die belgische Gewerkschaft UBOT-FGTB beobachtet hat. Mit Reisebussen - die LKW bleiben in Belgien, um mit anderen osteuropäischen Fahrern auf Frachtreise zu gehen. Der Lohn für das freudlose Dasein: Ein fester Monatslohn von 250 bis 450 Euro plus Tagegelder von 40 bis 45 Euro pro Lenktag. Daraus ergibt sich laut einer Studie der Fachabteilung Struktur- und Kohäsionspolitik des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2013 ein Durchschnittseinkommen von 1200 Euro, wobei allerdings nur das feste Gehalt für die Berechnung der Sozialbeiträge herangezogen wird. Zum Vergleich: Das Gehaltsniveau westeuropäischer Fahrer liegt bei 2500 bis 3000 Euro. EU-Kommission will Markt freigeben In der Europäischen Kommission haben sich die Zustände auf dem Asiadock offenbar nicht herumgesprochen. In ihrem "Bericht zur Lage des EU-Straßengüterverkehrs-Marktes" (siehe VR 15, Seite 16) spricht sich die EU-Kommission für die völlige Freigabe der Kabotage aus. Bisher dürfen gebietsfremde Transportunternehmen maximal drei Kabotagefahrten in einer Woche im Anschluss an einen grenzüberschreitenden Transport durchführen - in Zukunft wären dem Einsatz der Asphaltnomaden auch in den nationalen Verkehren keine Grenzen mehr gesetzt. Die ins Feld geführten Argumente der Gegner einer Kabotagefreigabe - Verlust von Arbeitsplätzen, Gefahr von Lohn- und Sozialdumping und unfairer Wettbewerb durch Nicht-Beachtung der Kabotageregeln - ließen sich statistisch nicht nachweisen, argumentiert die Kommission. Solche Äußerungen lösen nicht nur bei den Gewerkschaften blanke Wut aus und tragen Verkehrskommissar Siim Kallas den Vorwurf ein, gegenüber Sozialdumping gleichgültig zu sein. "Trotz Binnenmarkt bestehen massive Wettbewerbsverzerrungen, die in einen ungeschminkten Lohn- und Sozialdumpingwettbewerb einmünden", sagt auch Adalbert Wandt, Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). "In der Praxis wurden in großem Umfang sozial relativ gut abgesicherte Arbeitsplätze in Westeuropa und Deutschland durch Dumpingpersonal aus den EU-Beitrittsländern ersetzt". Wandt tritt auch der These der Kommission entgegen, die Löhne der alten EU-Länder und der Beitrittsländer hätten sich so signifikant angenähert, dass die Schutzfunktion der Kabotagebestimmungen unnötig geworden sei. Der BGL zieht zum Beweis das Verhältnis von Fahrer- und Treibstoffkosten in der Kostenkalkulation von Transportunternehmen heran. Demnach sind in Polen die Fahrer nur halb so teuer wie der Treibstoff, in Deutschland liegt das Verhältnis von Fahrerkosten zu Treibstoff bei 1,4 und in Dänemark schlägt der Posten Fahrerlöhne doppelt so teuer zu Buche wie der Treibstoff (siehe Grafik). Die Folgen lassen sich statistisch belegen. In der Zeit von 2007 bis 2012 hat sich die Verkehrsleistung deutscher LKW im grenzüberschreitenden Straßengüterverkehr von 39,1 Milliarden auf 25,9 Milliarden Tonnenkilometer reduziert, während die Leistung ausländischer Fahrzeuge von 150,5 Milliarden Tonnenkilometer auf 167,5 Milliarden hochschnellte. Anders ausgedrückt: Der Marktanteil der deutschen LKW ging von 20,6 auf 13,4 Prozent zurück. Gewinner sind die LKW aus den EU-Beitrittsländern seit 2004. Die alten westeuropäischen Transportnationen wie Niederlande und Dänemark erwischte es teilweise noch schlimmer als ihre deutschen Kollegen. Das belegt die deutsche Mautstatistik: Im Jahr 2013 legten die deutschen LKW 0,8 Prozent weniger Mautkilometer zurück als im Vorjahr. Die LKW aus der alten EU verloren sogar 6,3 Prozent, während die LKW aus den Beitrittsstaaten acht Prozent zulegten. Gewerkschaften sehen rot Kein Wunder, dass auch die Gewerkschaften alarmiert sind "Das wollen wir nicht! Nicht, weil wir für eine Abschottung von Märkten sind, sondern weil die Voraussetzungen für eine Freigabe nicht gegeben sind", kommentiert Andrea Kocsis, stellvertretende Vorsitzende von Verdi. "Die Bedingungen in den einzelnen EU-Staaten sind noch viel zu weit auseinander, als dass es einen Wettbewerb um die beste Dienstleistung geben könnte. Vielmehr würde eine komplette Freigabe der Kabotage das Lohn- und Sozialdumping in der Branche weiter vorantreiben." Die Gewerkschaft betont in ihren Positionen zur Europawahl, dass es ihr nicht darum ginge "jemanden aus dem Land zu schmeißen", sondern darum, dass die Menschen für ihre Arbeit würdig entlohnt werden. "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort", lautet der Verdi-Standpunkt. Sowohl BGL-Präsident Wandt als auch Gewerkschaftlerin Kocsis finden Unterstützung für ihren Standpunkt ausgerechnet in der Studie des Europäischen Parlaments (EP), die die Fachabteilung Strukturund Kohäsionspolitik 2013 vorgelegt hat. In ihrer Untersuchung "Die sozialen und Arbeitsbedingungen von Güterverkehrsunternehmen" stießen die Autoren auf alarmierende Zustände. Demnach verloren zahlreiche westeuropäische Fahrer ihren Arbeitsplatz an billigere osteuropäische Kollegen - oder mussten Lohnabschläge von rund 30 Prozent hinnehmen. In einer Fahrerumfrage des EP berichteten alle befragten Lenker von schlechteren oder sogar drastisch schlechteren Löhnen. Überspitzt gesagt: Eine Angleichung des Lohnniveaus findet zwar statt, aber nicht auf dem höheren Niveau der EU-15-Staaten, sondern deutlich darunter. Dazu kommt: Laut einer Studie der Europäischen Transportarbeitergewerkschaft (ETF) werden 60 Prozent der gebietsfremden Fahrer regelmäßig auf Basis der gefahrenen Kilometer bezahlt. Trifft das zu, wäre es ein Skandal: In Deutschland ist diese Entlohnungsform aus Gründen der Verkehrssicherheit strikt untersagt. Ein Einfallstor für Sozialdumping ist laut der EP-Studie der Vor- und Nachlauf zum Kombinierten Verkehr. "Problematisch ist die Tatsache, dass die Beförderung von Gütern in Verbindung mit einer Beförderung im Kombinierten Güterverkehr gemäß der Definition in der Richtlinie 92/106/EWG derzeit nicht von der Kabotageregelung der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 abgedeckt ist", steht dort. Folge: Transportunternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat haben hierdurch die Möglichkeit, die Zu- oder Ablaufstrecke auf der Straße als Teil einer Beförderung im Kombinierten Güterverkehr zwischen Mitgliedstaaten durchzuführen. Kein Wunder, dass sich Häfen und KV-Terminals als Anlaufpunkte für Niedriglohn-Fahrer aus dem Osten etablieren. Problem der Briefkastenfirmen Doch wer organisiert und profitiert von dem Einsatz der Asphaltnomaden? Die EP-Studie gibt darauf eine Antwort, die nicht jedem gefallen dürfte. "Gebietsfremde Fahrer werden üblicherweise und offiziell von sogenannten Briefkastenfirmen eingestellt, die von westeuropäischen Unternehmen in osteuropäischen Mitgliedstaaten gegründet werden, in denen die Kosten hinsichtlich der Gehälter, Sozialabgaben und Steuern erheblich niedriger liegen als in den EU-15-Staaten", heißt es in der Studie. Diese Firmen unterhalten dort bestenfalls ein Büro, in dem die Arbeitsunterlagen und die Aufzeichnungen der Kontrollgeräte aufbewahrt werden. Operativ haben sie keine Bedeutung. Solche Geschäftsmodelle wurden schnell zu einem marktbeeinflussenden Faktor. Zum einen lassen schon die derzeitigen Kabotagebeschränkungen und die völlige Freigabe von Drittlandtransporten genügend Schlupflöcher. Zum anderen müssen sich selbst Unternehmen, die eindeutig illegale Transporte ausführen, bislang offenbar keine allzu großen Sorgen vor einer Ahndung machen. Die EP-Studie bescheinigt den Mitgliedstaaten schwache oder nicht vorhandene Durchsetzungsmechanismen gegen Sozialdumping; eine Harmonisierung von Kontrollen und Strafen innerhalb der EU gibt es nicht. Es gibt nicht einmal belastbare Zahlen zum unlauteren Wettbewerb durch Verstoß gegen die Kabotageregelung, wie die EU-Kommission in ihrem Bericht zugeben muss. So haben selbst die unverschämtesten Geschäftsmodelle eine lange Lebenszeit. Im Jahr 2012 fiel ein lettisches Unternehmen in Belgien und den Niederlanden auf, das philippinische Fahrer zu einem Monatslohn von 600 Euro beschäftigte - ungeachtet der hohen Arbeitslosigkeit in Lettland und anderer EU-Staaten. Ein Jahr später tauchte das gleiche Problem in Schleswig-Holstein auf - wieder Philippinos auf lettischen Fahrzeugen. Das lettische Modell hat übrigens bekannte Vorläufer. In den späten 90er-Jahren tauchten osteuropäische Fahrer aus Ungarn und Bulgarien - damals noch keine EU-Mitglieder - auf österreichischen Fahrzeugen auf. In der Alpenrepublik bekamen sie unter nicht abschließend geklärten Umständen gültige Arbeitspapiere - und fuhren als Billigkräfte in Westeuropa auf österreichischen LKW. Heute gibt es Rechtsgrundlagen, mit denen sich das Phänomen der Asphaltnomaden regeln ließe - wenn die zuständigen Behörden sie denn anwenden würden. Ein scharfes Schwert ist die Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 593/2008. Dort ist in Artikel 8 Absatz 2 festgelegt, dass für einen Arbeitnehmer, der seine Arbeit vorübergehend in einem anderen Staat als seinem Herkunftsland verrichtet, das Recht des Gastgeberlandes gilt. Der Mindestlohn gilt für alle BGL-Präsident Wandt setzt seine Hoffnung darauf, dass der ab 2015 geltende gesetzliche Mindestlohn das Sozialdumping zumindest in Deutschland bremsen kann. "Im Gesetzentwurf ist weiterhin klargestellt, dass auch für Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit Sitz im Ausland der Mindestlohn für jede Werk- und Dienstleistung in Deutschland zur Anwendung kommt. Der Mindestlohn gilt deshalb für jedwede Fahrtätigkeit im Güterkraftverkehr auf deutschem Territorium", stellt Wandt klar. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Mindestlohn auch für Kabotagetransporte in Deutschland durchgesetzt würde. In anderen EU-Staaten hat ein gesetzlicher Mindestlohn das Sozialdumping im Transportsektor bisher nicht stoppen können. Wichtiges Gerichtsurteil Der Fall Koelzsch Es ist dem deutschen Kraftfahrer Heiko Koelzsch zu verdanken, dass die EU-Mitgliedstaaten im Kampf gegen Sozialdumping durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes juristisch nicht die schlechtesten Karten haben. Das lag allerdings gar nicht in der Absicht des internationalen Kraftfahrers, dessen Wohnsitz in Deutschland ist, der sich gegen eine Kündigung seines Arbeitsvertrages durch seinen luxemburgischen Arbeitgeber wehren wollte. Koelzsch erhob zunächst Klage vor den deutschen Gerichten, die erklärten, dass ihnen die örtliche Zuständigkeit fehle. Dann brachte er die Angelegenheit vors Arbeitsgericht Luxemburg, wo er ebenfalls kein Glück hatte. Im März 2007 erhob Koelzsch eine Schadensersatzklage beim Bezirksgericht Luxemburg gegen den Staat Luxemburg wegen fehlerhafter Anwendung der Vorschriften des Übereinkommens von Rom. In der von Koelzsch angestrengten Berufung entschied der Cour d'appel de Luxembourg, sich an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu wenden. Der sollte klären, ob das Recht des Staates, in den der Fahrer regelmäßig zurückkehrt, für das Beschäftigungsverhältnis maßgeblich ist. Der EuGH entschied, dass das anwendbare Recht durch den Staat bestimmt wird, in dem der Arbeitnehmer seine wirtschaftliche und soziale Tätigkeit ausübt. Für Koelzsch galt also das Luxemburger Recht; für die Arbeitnehmer aus Osteuropa gilt analog das Recht des Staates, in dem sie ihre Touren beginnen und beenden - also auf keinen Fall das Recht ihres Heimatlandes. hel Handlungsempfehlungen Empfehlungen aus der Studie des Europaparlaments Die Autoren der Studie"Die sozialen und Arbeitsbedingungen von Güterkraftverkehrsunternehmen" sprechen eine ganze Reihe von Empfehlungen aus:- Stärkung der Durchsetzungsmechanismen in den Mitgliedstaaten. Dazu zählt ein stärkerer Fokus auf die Kontrolle von Arbeitsund Sozialgesetzen, beispielsweise durch gemeinsame Kontrollen von BAG und zuständigen Arbeitsschutzbehörden.- Einführung eines Berichtswesens zur Anwendung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern. Durch ständig aktualisierte Daten sollen Missstände im Bereich der Entsendung von Arbeitnehmern schneller ins Blickfeld der EU-Kommission und anderer Behörden kommen.- Schaffung eines Europaregisters der Transportbetriebe. Dieses soll eine schwarze Liste der Betriebe beinhalten, die für illegale oder unlautere Praktiken bekannt sind. Die Daten könnten in das Risikoeinstufungssystem eingebunden werden, das die Mitgliedstaaten für Unternehmen einführen müssen, die gegen Rechtsvorschriften zu Lenk- und Ruhezeiten verstoßen. Die Folge wäre eine deutlich höhere Kontrollintensität. hel

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