Eine lange Leitung

Eine rotierende Sanduhr war für Computernutzer lange Zeit das Symbol für lange Wartezeiten schlechthin. Sie zeigte an, dass das System noch arbeitet und der Nutzer sich gedulden muss. Die Sanduhr ist verschwunden. Viele Anwender warten aber immer noch vor ihrem Computer. Schuld sind nicht mehr langsame Rechner oder Betriebssysteme. Vielmehr ist es vielerorts das Internet, das die Arbeitsgeschwindigkeit auf Schneckentempo herunterbremst. Dabei ist eine schnelle Internetverbindung für viele Logistikunternehmen mittlerweile ebenso wichtig wie der Autobahnanschluss. "Ein breitbandiger Internetanschluss ist heute ein zentraler Standortfaktor für Unternehmen. Gewerbegebiete ohne diesen Zugang müssen mit der Abwanderung von Unternehmen rechnen", mahnte Peter Driessen, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertages. Das war im Jahr 2007. Ohne einen guten Draht geht es nicht Zehn Jahre später kann Timo Swierkowski von der Wernke Logistik in Werl diese Aussage immer noch unterschreiben. Eine schnelle Anbindung an das Internet sei etwa entscheidend, um an Aufträge zu kommen. "Bei Frachtenbörsen müssen Sie bei den schnellsten sein", weiß Swierkowski. In der Zusammenarbeit mit bestehenden Kunden geht es sowieso nicht mehr ohne einen guten Draht. "Die Kunden ziehen sich Quittungen und den Sendungsstatus aus unserem System", sagt Swierkowski. Tun das mehrere gleichzeitig, stößt die Standard-DSL-Leitung mit 16.000 Kilobit/Sekunde schnell an ihre Grenzen. Dabei reicht eine solche Bandbreite schon in einem Privathaushalt kaum aus. Zum Vergleich: Das Herunterladen eines Musik-Albums dauert mit einer herkömmlichen Telefonleitung 20 Minuten. Mit einer 16.000er-DSL-Leitung ist es schon in etwas mehr als einer Minute auf dem Rechner. Mit Glasfaser dauert es keine zehn Sekunden. Von solchen Übertragungsraten kann Swierkowski nur träumen. In dem Gewerbegebiet kämpft die Spedition mit einer herkömmlichen 16.000er-Anbindung. Mehr ist an dem Standort einfach nicht drin. Selbst eine zweite DSL-Leitung würde das Problem nicht lösen, so Swierkowski. Zwischenzeitlich ist die Spedition selbst tätig geworden. Vor zwei Jahren wurde eine Leitung über Richtfunk organisiert. Doch auch das funktionierte nicht optimal. Die Verbindung brach immer wieder ab. Versprochen wurde schnelles Internet schon vor Jahren. Doch die Umsetzung dauerte. Erst nachdem das Unternehmen über die lokale Presse an die Öffentlichkeit gegangen war, bewegte sich etwas. Bis Ende kommenden Jahres sollen 50 Megabit/Sekunde (Mbit/s) möglich sein. Die richtig schnelle Glasfaser kommt wohl erst 2026. Irgendwann hätte die langsame Leitung auch zur Standortfrage werden können, mutmaßt Swierkowski. Ein Problem sind die langsamen Verbindungen vor allem auf dem Land. "Die meisten unserer Logistikimmobilien befinden sich in Ballungsräumen. Dort ist die Versorgung mit schnellem Internet über Glasfaserkabel in der Regel gut", bestätigt Sven Böhnke vom Immobilienentwickler Prologis. In der Fläche surft Deutschland beim schnellen Internet hinterher. Zwar hat Infrastrukturminister Alexander Dobrindt (CSU) die Versorgung der Bevölkerung mit Internetzugängen von mindestens 50Mbit/s bis 2018 versprochen. In der Praxis sind viele Regionen von diesem Ziel weit entfernt. Um das Ziel in den letzten Monaten doch noch zu erreichen, nahm der Minister Anfang des Jahres noch einmal Geld in die Hand. Der Bund besserte sein Förderprogramm mit 350 Millionen Euro nach. Das Geld soll den Ausbau des Internets in Gewerbe- und Industriegebieten sowie in Häfen vorantreiben. Jedes Unternehmen in einem Gewerbegebiet solle zuverlässig Bandbreiten von mindestens einem Gigabit pro Sekunde zur Verfügung haben, so das Ziel. Unterversorgte Kommunen und Landkreise erhalten bis zu 50.000 Euro für die Planung und in der Folge weitere Millionen für die Umsetzung. Seitdem sind einige Kommunen in die Gänge gekommen. Seit Beginn des Programms Ende 2015 wurden immerhin fast 2000 Förderanträge bewilligt. Insgesamt stellt der Bund für die Breitbandförderung vier Milliarden Euro bereit. Beantragen können das Geld zwar nur die Gemeinden, doch die Unternehmen können Druck machen. Dann bewegt sich manchmal was. Ludger Dingwerth von der Dingwerth Logistik in Beelen im Münsterland hofft ebenfalls darauf, eine schnellere Leitung zu bekommen. Denn die langen Wartezeiten wirken sich auf die Produktivität aus. "Wenn das System langsam ist, werden die Mitarbeiter auch langsam", schildert Dingwerth die Auswirkungen. Eine langsame Internetverbindung frustriere die Mitarbeiter und koste nicht zuletzt Kunden. Vor allem in der Kommunikation mit den Kunden und den Standorten des Unternehmens ist er auf den schnellen Datenaustausch angewiesen. Am Hauptstandort in Beelen soll es nun bald einen Glasfaseranschluss geben. In den Niederlassungen, etwa in Gera-Hermsdorf, geht es nicht so schnell. Immerhin hat die Stadt Gera mittlerweile Fördermittel für den Ausbau der Leitungen im Gewerbegebiet beantragt. Wann es tatsächlich losgeht, auf diese Information wartet Dingwerth immer noch. Solange sich die Sanduhr auf dem Rechner dreht, bleiben den Unternehmen kaum Alternativen, der Langsamkeit zu entkommen. Die Verlegung eines Standortes sei nicht so einfach, sagt Dingwerth. Bei neuen Standorten wird er allerdings noch mehr auf die Anbindung achten, nicht nur bei der Straße, sondern auch bei dem, was darunter liegt. Nicht alle Unternehmen scheinen jedoch dem Ausbau entgegenzufiebern. Die Hälfte der Logistikunternehmen ist immer noch der Meinung, eine Digitalisierung sei nicht notwendig. Das zeigt der Monitoring-Report Wirtschaft Digital 2017, den das Forschungsunternehmen Kantar TNS Business Intelligence für das Bundeswirtschaftsministerium durchgeführt hat. In der Studie ist die Branche Schlusslicht unter den untersuchten Wirtschaftszweigen. Prologis-Manager Böhnke bestätigt das Desinteresse. "Bisher haben wir es noch nicht erlebt, dass sich ein Kunde gegen einen Standort entschieden hat, weil kein Internetzugang über Glasfaserkabel vorhanden war. Es gibt technische Möglichkeiten, die Zeit ohne Glasfaserkabel zu überbrücken, zum Beispiel mit einer leistungsfähigen Richtfunkanbindung", sagt Böhnke. Dabei sollte die Speditions- und Logistikbranche eine Vorreiterrolle in der Digitalisierung einnehmen, mahnte die scheidende Geschäftsführerin des Landesverbands Bayerischer Spediteure (LBS), Edina Brenner. Die Kommunikation mit den Kunden hat sich weiterentwickelt. Diese werden in Echtzeit über den Status ihrer Sendung benachrichtigt, bekommen Zugriff auf die internen Systeme, um sich Informationen und Dokumente selber zu besorgen. Unternehmen nutzen das Internet für eine lückenlose Überwachung der Kühlkette, intelligente Routenplanungen oder den elektronischen Frachtbrief. "Damit sich die Speditions- und Logistikbranche auch in Zukunft erfolgreich den Herausforderungen der Digitalisierung stellen kann, benötigt sie gerade für den Austausch mit ihren Kunden und Partnern eine hochleistungsfähige IT- und Kommunikationsstruktur und damit eine strategische Netzausbaupolitik", so Brenner. Konkret bedeutet das einen flächendeckenden Anschluss an das Hochgeschwindigkeitsnetz mit mindestens 100 Mbit/s. Marco Trips, Präsident des niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds, forderte unlängst gar einen Rechtsanspruch auf einen schnellen Internetanschluss. Dass Deutschland den Anschluss an die digitale Welt verschläft, hat Gründe. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung wirft der Bundesregierung einige Versäumnisse vor. Hauptursachen für das Hinterherhinken Deutschlands seien unambitionierte Ausbauziele, eine nicht vorhandene gesamtstaatliche Strategie, unkoordinierte Förderprogramme und fehlender Mut, konsequent auf Glasfasertechnologien zu setzen. Andere Länder würden dagegen seit Langem systematisch in den Ausbau der Glasfasernetze investieren. Die Folge: Deutschland belegt im Vergleich der Industriestaaten den 28. von 32 Plätzen. In Estland etwa liege die Abdeckung bei 73 Prozent der Haushalte, in Spanien seien es beispielsweise 53 Prozent. In Deutschland hätten dagegen nur 6,6 Prozent der Haushalte eine verfügbare Glasfaserverbindung. Auf dem Land liege die Abdeckung gerade einmal bei 1,4 Prozent. Dabei ginge deutlich mehr. Die Europäische Union hat die Vorgabe gemacht, bis 2020 jedem zweiten Verbraucher eine 100 Mbit/s schnelle Leitung zur Verfügung zu stellen. Dobrindt hält immer noch 50 Mbit/s als Ziel für ausreichend. Das lässt sich im Notfall auch mit einem aufgemotzten Kupferkabel erreichen: ein klares Zugeständnis an die investitionsscheuen Telekomunternehmen. Das scheint ohnehin das Hauptproblem zu sein. In Estland und Schweden etwa sei der Breitbandanschluss Teil der kommunalen Daseinsvorsorge. Also ein Grundbedürfnis, um das sich die kommunalen Versorger kümmerten, wie beim Strom und beim Wasser, bemerkt die Bertelsmann Stiftung. Die Netze werden von den Kommunen gebaut und dann an verschiedene Anbieter vermietet. Im Wahlkampf dürfte der Ausbau eine wichtige Rolle spielen. So verkündete Bundeskanzlerin Angela Merkel vor wenigen Wochen, die 50 Mbit/s seien nur ein Zwischenschritt. "Wir wollen die Gigabit-Gesellschaft", sagte Merkel. Dafür stünden in den nächsten Jahren "riesige Investitionen" ins Haus. Summen oder gar einen Zeitrahmen nannte sie nicht. Unternehmen müssen sich also weiter in Geduld üben. Eine Alternative könnte in ein paar Jahren der sogenannte 5G-Standard beim Mobilfunk sein. Die Bundesregierung hat im Juli angekündigt, die Voraussetzungen für den Ausbau der 5G-Netze schaffen zu wollen. Der neue Mobilfunkstandard ermöglicht Übertragungen im Gigabit-Bereich. Ab 2020 soll es so weit sein. Wie flächendeckend der Standard dann sein wird, ist eine andere Frage. Bis heute zeigt der aktuelle Mobilfunkstandard LTE weiße Flecken auf der Landkarte. (ah)

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