"Echter Klimaschutz braucht mehr Mut"

Das Credo von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer lautet: ermöglichen statt verbieten. Er wirft den Grünen vor, die Allgemeinheit zu bevormunden. Lassen Sie sich diesen Vorwurf gefallen? Der Vorwurf ist haltlos. Wir Grüne wollen klimafreundliche, sichere und bezahlbare Mobilität für alle ermöglichen. Und die Wahrheit ist doch: Die gesamte Organisation des Verkehrs funktioniert durch Gebote und Verbote. Stellen Sie sich vor, welches Chaos entstehen würde, wenn es in Deutschland die Straßenverkehrs-Ordnung nicht geben würde. Das würde vermutlich auch Herrn Scheuer nicht gefallen. Es gibt Verbote, die der Bundesverkehrsminister mit verantwortet hat und die absolut sinnvoll sind, zum Beispiel die geplante StVo-Neuregelung in diesem Jahr, dass Notbremsassistenzsysteme in Lkw nicht mehr abgeschaltet werden dürfen. Laute Güterzüge werden ebenfalls zu Recht verboten. Ein anderes Beispiel, bei dem Scheuer auf EU-Ebene sogar der Treiber war: Ab 2022 werden Abbiegeassistenten in allen neuen Fahrzeugtypen im Straßengüterverkehr Pflicht. Scheuers Rhetorik, um dem politischen Mitbewerber eins mitzugeben, soll wohl von eigenen Versäumnissen ablenken. Auf der Sachebene kommen wir damit nur leider nicht weiter. Was würden Sie - ganz sachlich - erwidern? Andreas Scheuer hätte die Chance, sich zu profilieren als der Minister, dem es gelingt, in Deutschland die Verkehrswende einzuleiten. Er verantwortet immerhin den größten Investitionsetat des Bundes. Das bedeutet, er hat riesige Gestaltungsmöglichkeiten. Leider nutzt er sie nicht. Die Gesellschaft ist da eindeutig weiter als seine Politik. Das klingt jetzt sehr beherrscht. Sie haben ihn auf Twitter kürzlich als "klimapolitischen Geisterfahrer" kritisiert, ihm Verbrauchertäuschung beim Abgasskandal und Verfassungsbruch bei der Pkw-Maut vorgeworfen. Aus meiner Sicht hat er beim Abgasskandal versagt, weil er sich nicht als Anwalt der Verbraucher engagiert hat, sondern als Kumpel der Autoindustrie aufgetreten ist. Die Software-Updates sind bis heute nicht vollständig umgesetzt, mit Hardware-Nachrüstungen kann erst jetzt begonnen werden, vier Jahre nach Bekanntwerden des Skandals. Spätestens nach dem Pkw-Maut-Desaster hätte der Verkehrsminister zurücktreten müssen, weil er bayerische Interessen über die aller Steuerzahler gestellt und Verträge mit den Betreibern Kapsch und CTS Eventim abgeschlossen hatte, bevor Rechtssicherheit bestand. Er hat für das CSU-Prestigeprojekt sogar enorm nachteilige Vertragsbedingungen für den Bund billigend in Kauf genommen. Deutschland droht nun ein finanzielles Debakel in Millionenhöhe - dieses Geld fehlt am Ende im Bundeshaushalt zum Beispiel für Investitionen in die Infrastruktur. Dafür muss der Bundesverkehrsminister die Verantwortung tragen. Stichwort: Verkehrsetat. Scheuer muss nun überlegen, wie er Pkw-Maut-Einnahmen in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr kompensiert. Kann das überhaupt gelingen? Der geplante Bundeshaushalt 2020 ist Zeugnis einer Stillstandspolitik. Es soll vor allem der Straßenbau profitieren, während die Förderung der Schiene über bloße Lippenbekenntnisse nicht hinausgeht. Die rückwärtsgewandte Mittelverteilung im Entwurf für den neuen Verkehrsetat zeigt: Scheuer ist lediglich ein Ankündigungsminister. Der Etat kann auch deshalb nicht so bleiben, weil die Beschlüsse des Klimakabinetts der Bundesregierung noch eingepreist werden müssen. Dieses Jahr fließen Rekordinvestitionen in Höhe von rund 5,56 Milliarden Euro in die Schiene. Bis 2023 sind im Bundeshaushalt sogar bis zu 7,42 Milliarden Euro dafür vorgesehen. Warum reicht das nicht? Seit 2017 sind die Investitionen für den Straßenbau um fast 50 Prozent gestiegen. Der Schienen-Etat ist im selben Zeitraum fast gar nicht gewachsen. Im Entwurf für den Bundeshaushalt 2020 stehen rund 1,6 Milliarden für die Umsetzung der Schienenprojekte aus dem aktuellen Bundesverkehrswegeplan zur Verfügung. Notwendig wäre eine Verdoppelung, wenn der Marktanteil der Güterbahn in Deutschland wie angestrebt wachsen und eine stärkere Verlagerung auf diesen Verkehrsträger stattfinden soll. Mit Scheuers Haushalt funktionieren weder Verkehrswende noch Klimaschutz. Aber die Signale stimmen zumindest? Natürlich ist es richtig, dass die Bundesregierung mit dem Klimapaket jetzt mehr Geld in die Schiene investieren will. Die angekündigten Mittelsteigerungen reichen allerdings nicht, weil die Infrastruktur über Jahre vernachlässigt wurde. Bahnhöfe und Gleise wurden zurückgebaut, die Technik der Deutschen Bahn ist veraltet, viele Brücken sind marode. Es gibt also erheblichen Nachholbedarf und auch strukturelle Veränderungen sind aus meiner Sicht notwendig, um die Schiene wettbewerbsfähiger gegenüber der Straße zu machen. Das Schienennetz muss endlich saniert und erweitert werden. Der Wagenpark muss erneuert und vergrößert werden. Und die Infrastruktursparten der Deutschen Bahn sollten in einer Gesellschaft zusammengefasst werden, damit sie effizienter arbeiten. Wo sind Bundesmittel aus Ihrer Sicht zum Beispiel falsch eingesetzt? Die Prioritäten und die Größenordnungen stimmen nicht. Es ist richtig, zum Beispiel die Anschaffung CO2-armer Nutzfahrzeuge oder die Elektrifizierung des Schienennetzes zu fördern. Nur sind die dafür jeweils eingestellten zehn Millionen Euro im Jahr ein Tropfen auf den heißen Stein. Da muss die Bundesregierung mehr investieren, sonst bleiben das Alibiveranstaltungen. Die Regierung will die Planung von Bauprojekten im Schienenverkehr durch das Klimaschutzprogramm 2030 weiter erleichtern. Wie wichtig ist der Eckpunkt in dem Papier? Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass ausreichend Planungskapazitäten für Verkehrsprojekte bei den zuständigen Behörden vorhanden sind. Das Eisenbahnbundesamt ist mit seiner aktuellen personellen Aufstellung ein Flaschenhals. Es wäre auch sinnvoll, wenn wir bei Ersatzneubauten zum Beispiel von Brücken auf Planfeststellungsverfahren verzichten könnten. Das spart, wenn es gut läuft, zwei oder drei Jahre. Viele der Vorschläge, die Experten des Innovationsforums Planungsbeschleunigung vor über zwei Jahren gemacht haben, hat die Bundesregierung noch immer nicht aufgegriffen. Das Klimaschutzpaket sieht neben den 86 Milliarden Euro, die der Bund und die Deutsche Bahn in den nächsten zehn Jahren in das Schienennetz investieren wollen, weitere Maßnahmen zur Modernisierung vor. Wie zuversichtlich sind Sie, dass dadurch bald mehr Güter auf der Schiene fahren? Die 86 Milliarden Euro sind für den Erhalt und die nachholende Sanierung der Schienenwege vorgesehen. Die Bahn erhält von 2020 bis 2030 zudem jährlich eine Milliarde Euro zusätzliches Eigenkapital. Das Geld darf nicht unkonditioniert fließen, sonst verschwindet es im schwarzen Loch namens Stuttgart 21. Wir brauchen eine massive Erhöhung des Marktanteils der Schiene im deutschen Güterverkehr. Die Deutsche Bahn selbst will ihn von heute 18 auf 25 Prozent im Jahr 2030 steigern. Das ist sehr sportlich und nur zu erreichen, wenn jetzt wirklich die Engpässe im Netz angepackt werden. Was halten Sie generell von den kürzlich vorgelegten Eckpunkten für das Klimaschutzprogramm 2030? Mit dem mutlosen Klimapaket verabschiedet sich die Bundesregierung vom Pariser Abkommen. Gerade im Verkehrssektor wird es so nicht gelingen, 40 Prozent CO2 bis 2030 einzusparen. Das fängt beim CO2-Preis an, der ab 2021 lediglich zehn Euro pro Tonne CO2 betragen soll. Der Aufschlag auf die Kraftstoffpreise wäre geringer als die täglichen Preisschwankungen an den Tankstellen. Dazu kommt die geplante Erhöhung der Pendlerpauschale. Die ökologische Lenkungswirkung ist damit null. Wie hoch müsste der CO2-Preis nach Ihrer Meinung sein, um eine Wirkung zu zeigen? Wissenschaftler sagen, man müsste bei 40 bis 50 Euro pro Tonne CO2 beginnen, um Anreize für klimafreundliche Technologien zu schaffen. Nach den Plänen der Bundesregierung erreichen wir diesen Preis nicht mal im Jahr 2025. Es geht nicht um zusätzliche Steuereinnahmen, sondern darum, CO2 zu vermeiden. Die Einnahmen der CO2-Bepreisung würden wir über ein Energiegeld und eine Senkung der Stromsteuer an die Bürger zurückzahlen. Das generelle Problem ist aus meiner Sicht allerdings, dass immer noch die alten Technologien steuerlich stärker subventioniert werden, als die neuen Technologien gefördert werden. Deshalb funktioniert der Umstieg auf umweltfreundlichere Alternativen im Straßenverkehr nicht. Sie meinen den Steuerrabatt für Diesel? Genau. Deutschland hat den Dieselkraftstoff in den vergangenen zehn Jahren mit 76 Milliarden Euro steuerlich subventioniert. Im gleichen Zeitraum sind für alternative Kraftstoffe, Elektromobilität und Brennstoffzellen-Technologie aus Bundesmitteln nur fünf Milliarden Euro investiert worden. Die Bundesregierung setzt auf Anreize durch Förderprogramme, was an verschiedenen Stellen richtig ist. Aber ohne ein Preissignal auf der anderen Seite, bei den klimaschädlichen Technologien, wird niemand dazu bewegt, umzusteigen. Das heißt, ohne Verbote geht es nicht? Jedenfalls wird es ohne klare Preissignale nicht gehen. Wir brauchen ein Bonus-Malus-System, damit zum Beispiel Spritschlucker wie SUV und Geländewagen bei der Kfz-Steuer für ihre Umweltschäden geradestehen. Nur alles zu verbilligen und bezuschussen, das wird mit einer schwarzen Null im Bundeshaushalt nicht funktionieren. Die Bundesregierung rechnet wegen der abflachenden Konjunktur mit weniger Steuereinnahmen und will gleichzeitig Milliarden in den Klimaschutz investieren und den Solidaritätszuschlag abschaffen. Diese Rechnung geht nicht auf. Die Bundesregierung wählt einen technologieoffenen Ansatz und will im Straßenverkehr alle alternativen Antriebsarten fördern. Sie gelten hingegen als Befürworter der Elektromobilität. Warum? Wenn wir unsere Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreichen wollen, werden wir sowohl die Elektromobilität als auch biogene oder synthetische Kraftstoffe auf Basis von Wasserstoff brauchen. Brennstoffzellen-Fahrzeuge sind allerdings noch nicht serienreif im Markt verfügbar und teurer. Bei E-Fuels gibt es nur Pilotanlagen, aber keine industrielle Produktion. Mit der batterieelektrischen Mobilität haben wir jedoch heute schon eine Technologie, mit der die Autohersteller in großen Stückzahlen produzieren können. Aus meiner Sicht ist es ohnehin am effizientesten, Strom direkt zu nutzen, also in Elektrofahrzeugen. Mit Blick auf den Straßengüterverkehr ist klar, dass Lkw mit tonnenschweren Batterien für die Langstrecke keine Option sind. Da werden wir Wasserstoff oder regenerative Kraftstoffe brauchen. Die Fahrzeughersteller müssen aufgrund der strengeren CO2-Flottengrenzwerte der EU jetzt liefern. Prototypen und Kleinserien reichen nicht mehr. Was fehlt, ist die Planungssicherheit, welcher der alternativen Antriebe sich dauerhaft rechnet. Ich verstehe die Bedenken der Transport- und Logistikunternehmen. Es ist zwar gut gemeint, Lkw mit alternativen Antrieben bis Ende 2020 von der Lkw-Maut zu befreien. Aber angesichts der auf fünf Jahre und mehr angelegten Investitionszyklen im Straßengüterverkehr schaffen sich deshalb die wenigsten solche Fahrzeuge an. Deshalb muss die Bundesregierung zügig Rahmenbedingungen schaffen, die sich auch an den Amortisationszeiten derjenigen orientieren, die zum Beispiel Elektro-Lkw kaufen sollen. Es braucht einen Ordnungsrahmen, durch den sich umweltfreundliches Verhalten im Geldbeutel bemerkbar macht. Gehen Sie die geplante Lkw-Maut-Ausgestaltung der Bundesregierung mit, die eine CO2-Differenzierung zugunsten klimaschonender Antriebe vorantreiben und ab 2023 einen CO2-Aufschlag einführen will? Die Eurovignetten-Richtlinie der EU lässt den Mitgliedstaaten ja mehr Spielraum bei der Einbeziehung externer Umweltkosten etwa durch Schadstoffe und Lärm, als Deutschland bisher genutzt hat. Ich begrüße es, dass die Bundesregierung diese Faktoren jetzt verteuern will. Auch eine CO2-Komponente muss endlich eingeführt werden. Richtig finde ich darüber hinaus, dass Lkw mit alternativen Antrieben längerfristig von der Mautpflicht befreit werden sollen. Bei Erdgas habe ich allerdings meine Zweifel, dass dieser Kraftstoff wirklich umweltfreundlicher ist als Diesel. Wenn die Maut für große Lkw noch teurer werden soll, um die Verkehrswende zu finanzieren, wäre dann nicht eine Ausweitung auf Klein-Lkw und Transporter bis 3,5 Tonnen fair und sinnvoll? Absolut! Auf der A 4 bei Dresden sehe ich regelmäßig, dass der Trend im Straßengüterverkehr zu kleineren Fahrzeugen geht, die bisher keine Lkw-Maut zahlen. Deshalb wäre ich für eine Mautausweitung auf die Kategorie zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen. Zudem müssen wir verhindern, dass Sozialstandards missachtet werden, und ungleichen Wettbewerbsbedingungen vorbeugen. Zuletzt haben Politiker von Linken und SPD immer lauter eine Umverteilung der Lkw-Maut-Milliarden gefordert, die der Bund kassiert. Welche Position vertreten Sie? Um die Klimaziele zu erreichen und in Anbetracht der wachsenden Gütermengen benötigen wir Fortschritte bei allen Verkehrsträgern. Insofern halte ich nichts von geschlossenen Finanzierungskreisläufen. Verkehr muss Verkehr finanzieren - und zwar dort, wo es am dringendsten nötig ist. Die Bundesregierung will mehr multimodale Transporte und die Vernetzung der einzelnen Verkehrsträger. Das kostet einiges. Allein im Schienengüterverkehr, wo die Bahn oft noch mit der Technologie des vergangenen Jahrhunderts unterwegs ist, brauchen wir viel Geld für die geplante Digitalisierung. Ich bin dagegen, dass die Lkw-Maut-Milliarden nur in den Straßenbau und noch mehr Lkw-Kolonnen fließen. Das geht intelligenter. Werden die Grünen in diesem Punkt eine Nachbesserung fordern? Die große Koalition ist schließlich im Bundesrat bei Teilen des Klimapakets auf die Zustimmung Ihrer Partei angewiesen, die unzufrieden ist. Es ist schon bemerkenswert, dass der Bundesverkehrsminister seine 53 Maßnahmen für den Klimaschutz, von denen einige reine Luftbuchungen sind, trotz mehrfacher Zweifel an deren Wirkung ohne ein vorheriges Gutachten einbringen durfte. Scheuer sieht das CO2-Einsparpotenzial im Schienenverkehr, also vor allem bei der Verkehrsverlagerung, bei nur zwei Millionen Tonnen. Das Potenzial ist aus meiner Sicht wesentlich höher. Wir wollen ein schlüssiges Konzept, dass den gesamten Verkehrssektor realistisch betrachtet und hilft, tatsächlich die Ziele bis zum Jahr 2030 zu erreichen. Wir werden uns für ein stärkeres Umsteuern stark machen. Dafür braucht man Mut. Den erkenne ich nicht beim Bundesverkehrsminister. Vita Stephan Kühn, geboren am 6. September 1979 in Dresden, ist seit 1998 Mitglied bei Bündnis 90/ Die Grünen. Nach einem Soziologiestudium an der Technischen Universität Dresden und einem Abschluss als Diplomsoziologe wurde er 2008 Referent der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag. Dort arbeitete er bis zu seiner Wahl in den Deutschen Bundestag im Jahr darauf. Seither engagiert sich der Vater von zwei Kindern als verkehrspolitischer Sprecher der Partei für umweltfreundliche Mobilität - egal, ob auf der Straße oder Schiene. ag Stephan Kühn im VerkehrsRundschau-Podcast Seit Kurzem gibt es die VerkehrsRundschau auch auf die Ohren. 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