E ist die Zukunft: Dennis Affeld im Interview

Vita Dennis Affeld (51) ist seit knapp 20 Jahren bei MAN tätig. Zuvor absolvierte er eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann und studierte Volkswirtschaftslehre. Affeld übernahm zum 1. Januar 2024 die Leitung der Geschäftsführung der Truck & Bus Deutschland GmbH von Christoph Huber. Herr Affeld, MAN hat für 2023 stark gestiegene Absätze vermeldet; die komplizierte Situation bei Ihnen konnte sich anscheinend entspannen. Ist das auch Ihr Eindruck? Also als entspannt habe ich das vergangene Jahr nicht erlebt (lacht), aber es ist grundsätzlich richtig: Wir haben letztes Jahr in vielerlei Hinsicht Rekordzahlen abgeliefert. Auch das Deutschland-Geschäft war sehr stark, wir hatten ein extrem erfolgreiches Jahr bei den Lkw-Absätzen und das Transporter-Geschäft läuft sehr gut. Das Ganze war aber wirklich hart erkämpft, denn wir kommen aus schwierigen Zeiten. Zuerst mussten wir mit Corona kämpfen, dann kam der Ukraine-Krieg, in dessen Folge wir wochenlang keine Kabelstränge mehr zur Verfügung hatten. Wir und unsere Kunden haben seit 2020 sehr schwierige Zeiten durchgemacht und deshalb waren unsere Ergebnisse im vergangenen Jahr auch ein wenig Belohnung für die sehr, sehr harte Arbeit. Sie sind zum 1. Januar 2024 Vorsitzender der Geschäftsführung der MAN Truck & Bus Deutschland GmbH geworden. Das heißt: Ihre Performance wird dann an den guten Zielen des vergangenen Jahres gemessen? Wer taktisch denkt, sollte meinen, dass man besser unten und nicht bei einem Rekordhoch einsteigt. Aber wir schauen einfach. Das gehört natürlich zum Job dazu, auch schwierige Zeiten zu managen. Und das ist genau das, was wir gerade wahrnehmen: Wir sehen extreme Kauf-Zurückhaltung, extreme Verunsicherung bei den Kunden und wir erwarten einen deutlich schwächeren Markt. Ist das nur an der wirtschaftlichen Lage festzumachen? Ich glaube, es sind verschiedene Faktoren. Es gibt eine große Verunsicherung aufgrund der wirtschaftlichen Lage, aufgrund der politischen Lage und aufgrund der hohen Zinsen. Kredite sind einfach schwer zu bezahlen und dann kam noch eine zusätzliche Belastung durch die Maut. Da musste jeder Unternehmer erst einmal rechnen, was das für ihn bedeutet. Wir sehen inzwischen auch mehr Insolvenzen und unsere Kunden kämpfen. Da kann ich es auch verstehen, dass die eine oder andere Investition zurückgestellt wird, obwohl sie vielleicht aufgrund des Alters des Fuhrparks angebracht wäre. Das heißt, in der Konsequenz behalten die Unternehmer die Fahrzeuge einfach länger? Genau. Steigt dadurch nicht die Service- und Reparatur-Bedürftigkeit der Fahrzeuge? Das ist so, ja. Jeder Kunde wägt da einfach ab: Neuanschaffung versus Reparatur-Kosten. Und dieses Pendel schlägt im Moment in die Richtung aus, dass man eine Neuanschaffung zurückstellt. In diesem Jahr sollen die ersten Stückzahlen des E-TGX, dem Elektro-Flaggschiff für den Fernverkehr bei MAN, an Kunden übergeben werden. Wie gestalten Sie den Marktstart in einem völlig neuen Segment? Das ist in der Tat schwierig. Wir sehen, dass viel Beratungsleistung und Aufklärung nötig sind. Ich habe lange das Transporter-Segment bei MAN verantwortet beziehungsweise aufgebaut und durfte da schon erste Erfahrungen mit dem E-TGE sammeln. Die Quintessenz ist die, dass der gesamte Verkaufsprozess einfach viel länger dauert. Denn es geht nicht mehr nur darum, ein Fahrzeug zu verkaufen, sondern der Kunde muss ja auch die Infrastruktur bei sich schaffen - er braucht zum Beispiel auch Ladesäulen. Für diese braucht es dann vielleicht andere Kabel, für die Kabel unter Umständen einen Bauantrag. Dann geht es um Subventionen, die beantragt und auch bewilligt werden müssen. Das ist für uns und den Kunden schwierig, weshalb auf uns eine besondere Aufgabe zukommt: Wir müssen den Kunden richtig gut beraten. Das ist das, was wir uns auf die Fahnen geschrieben haben. Wir haben dafür extra Experten aufgebaut, die unsere Verkäufer intensiv schulen und im Hintergrund ständig für Fragen verfügbar sind. Wir bieten außerdem eigene Beratungskonzepte an, wo wir auf Basis der tatsächlichen Tourendaten sagen können, an welchen Orten zum Beispiel Lademöglichkeiten benötigt werden oder wie hoch der Energiebedarf der Flotte ist. Das geht bis ins kleinste Detail - also zum Beispiel zur Frage, zu welchen Ladezeiten man besonders günstigen Strom beziehen kann. Insgesamt kann man sagen: Das alles ändert die bisher bekannte Rolle des Verkäufers komplett. Die Zeit drängt ein wenig, ab 2030 sollen die neuen CO2-Flottenziele der EU gelten. Wie sehr sitzen Ihnen diese Zahlen im Nacken? Wir sehen die Ziele als extrem anspruchsvoll an. Wir müssen da alle hin. Es führt für mich kein Weg daran vorbei, auch wenn ich links und rechts immer noch die Fragen höre, ob nicht irgendwann noch was anderes kommt. Meine Meinung ist: Nein. Die Ziele sind so eng und hart, dass wir bis 2030 einen Großteil auf Elektro umstellen müssen. Aber ich bin überzeugt davon, dass Elektroantriebe für 80 Prozent unserer Anwendungen auch die richtige Lösung darstellen. Wie stellen Sie sich die Bezahlbarkeit der Fahrzeuge vor? Auch MAN wird ja den Preis seines E-TGX geheim halten, aber man spricht ja meist vom etwa Drei- bis Vierfachen im Vergleich zum Diesel. Das muss irgendwie bezahlt werden - und ohne Förderung sieht das schwierig aus, oder? Es gibt keine offiziellen Listenpreise, aber wir können sagen: Verkaufsstart unseres E-TGX war im Oktober 2023 und je nach Ausstattung landen wir bei einer Sattelzugmaschine mit dem größtmöglichen Batteriepaket bei dem etwa Zweieinhalb- bis Dreifachen - je nach Ausstattung. Wie soll sich ein Unternehmer diese Investition leisten können? Braucht es andere Geschäftsmodelle? Wir gehen davon aus, dass sich das Kaufverhalten ändern wird - gerade weil bei den Kunden eine große Unsicherheit, auch wegen Fragen zum möglichen Weiterverkauf des Fahrzeugs nach der Nutzungsdauer, vorhanden ist. Wir glauben deshalb, dass sich der Markt eher in Richtung Miet- und Leasing-Modelle verändern wird. In wenigen Wochen werden auch wir ein Mietmodell für Elektro-Trucks anbieten, weil wir wissen, dass die Kunden das jetzt brauchen. Wir bei MAN kennen die Batterien und wissen, dass wir ihnen vertrauen können. Das basiert auch auf unserer langen Erfahrung im Busbereich, in dem wir Marktführer mit E-Fahrzeugen sind. Aufgrund dessen wissen wir sehr genau, wie zuverlässig unsere Produkte sind. Wo unsere Kunden noch zweifeln, können wir uns sicher sein und deshalb ein Stück weit ins Risiko gehen. Wie schätzen Sie die den stockenden Hochlauf für Ladeinfrastruktur in Deutschland und Europa ein? Könnte Ihnen das auf dem Weg zu den Flottenzielen am Ende noch ein Bein stellen? Das ist offen gesagt meine größte Sorge. Ich glaube, das Depot-Laden bei den einzelnen Kunden könnten wir hinkriegen -auch wenn wir bei den Standorten nie genau sagen können, für wie viele Fahrzeuge die Energie schlussendlich reicht. Ich habe erst kürzlich wieder mit einem Kunden gesprochen, der hat 50 Fahrzeuge im Fuhrpark und besitzt aktuell bereits zwei Ladesäulen. Er kann perspektivisch aufgrund des Stromnetzes aber nur maximal sechs Lkw gleichzeitig laden, weil sonst das Netz zusammenbrechen würde. Wir sind zudem gerade dabei, an unseren eigenen Werkstatt-Standorten Ladeinfrastruktur aufzubauen. Und haben wir gemeinsam mit Volvo und Daimler Trucks ein Joint Venture namens Milence gegründet. Damit wollen wir in Europa in Summe 1700 öffentliche Schnell-Ladestationen aufbauen. Aber selbst das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, wir bräuchten in Europa 50.000 Ladepunkte. Da würde ich mir eine deutlich schnellere Entwicklung wünschen. Zum Schluss ist das der Stolperstein. Dieses Thema darf man ja nicht nur auf Deutschland beziehen - wenn wir uns alleine die Abdeckung mit Pkw-Ladesäulen außerhalb der Bundesrepublik ansehen, wird es teilweise ja schon schwierig . Das hört sich jetzt so an, als wäre Deutschland hier Vorreiter. Das sehe ich ganz und gar nicht so. Wenn ich mir die Niederlande, Norwegen oder Schweden ansehe - die sind da deutlich weiter und schneller als wir und geben auch von politischer Seite mehr Impulse. Bei uns hat man gerade die Förderung gestrichen, ich finde das ist der völlig falsche Ansatz. Auch was die CO2-Maut betrifft: Kein Euro davon fließt zurück in die Infrastruktur. Das ist für mich vollkommen unverständlich und der falsche Weg. MAN verkauft nicht nur neue Lkw - Sie haben zudem einen großen Markt für Gebraucht-Fahrzeuge. Wie wollen Sie dort E-Lkw anbieten? Das ist schwierig, denn wir haben ja keine Erfahrungswerte. Von diesen lebt man aber in dem Segment. Welche Preise wurden erzielt, wie lange halten die Fahrzeuge, welche Fahrzeuge verkaufen sich gut, welche kann ich in Deutschland verkaufen, welche exportiere ich - zu diesen Punkten liegen keine Erfahrungswerte vor. Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass Gebraucht-Fahrzeuge sehr attraktiv sein werden. Wenn ich einen E-Lkw nach fünf Jahren ansehe, dann hat er noch eine sehr lange Batterie-Lebensdauer, gleichzeitig ist der Anschaffungspreis deutlich geringer. Das kann für einige Kunden - auch im Export - sehr interessant sein. Ein anderer Faktor ist: Wie schnell entwickelt sich die Batterietechnologie weiter und wie konkurrenzfähig ist dann ein Gebraucht-Fahrzeug mit alter Batterietechnologie gegenüber einem Neufahrzeug mit neuer Technologie? Das sind die Faktoren, die uns in diesem Bereich beschäftigen. Und was noch dazukommt: Heute bestimmen Alter und Kilometer-Laufleistung den Restwert eines Fahrzeugs. Das wird komplizierter in Zukunft. Es wird dann davon abhängen, wie viel Energie-Durchsatz die Batterie erlebt hat und wie häufig schnellgeladen wurde - denn dadurch altert die Batterie zusätzlich. Also, es gibt noch einige Herausforderungen, aus denen wir lernen müssen. Herr Affeld, wagen wir noch einen kurzen Ausflug in die Wasserstoff-Welt. Wie stehen Sie diesem Thema gegenüber? Also generell sind wir überzeugt, dass für 80 Prozent der Segmente im Nutzfahrzeug-Markt die batterieelektrischen Lösungen gut funktionieren werden. Das ist auch die ökologischere Lösung, denn bei der Erzeugung von grünem Wasserstoff verliert man 70 Prozent der Energie. Beim batterieelektrischen Fahrzeug ist das genau umgekehrt: Da verliert man weniger als 30 Prozent und mehr als 70 Prozent kommen auf der Straße an. Dennoch gibt es Anwendungen - wie etwa der Fernverkehr mit extremen Reichweiten oder Baustellen-Verkehre mit unklarer Ladesituation -, wo Wasserstoff Sinn ergeben kann. Wir werden deshalb voraussichtlich mit einem Wasserstoff-Verbrenner an den Markt gehen, um diese Segmente abzubilden. Und wie sieht es mit Brennstoffzellen-Antrieben aus - werden wir die auch zu sehen bekommen? Das Thema Brennstoffzelle ist im Moment noch so teuer, dass es nicht wirtschaftlich darstellbar ist. Diese Technologie würden wir eher in Richtung 2030 und später sehen, wobei wir auch da sehen müssen, ob es sich überhaupt durchsetzt. Wie groß ist eigentlich das Wettrennen der europäischen OEMs beim Thema alternative Antriebe? Ich glaube, weil noch nicht so klar ist, welche Technologie sich mit welchem Volumen durchsetzen wird, experimentieren alle Hersteller mit allen Technologien. Da schließt niemand etwas aus und auch wir bei MAN sind an allen Technologien dran. Aber: Die Entwicklung der Antriebskonzepte ist sehr kostspielig, weshalb man auch nicht auf alle Pferde gleichzeitig setzen kann. Batterieelektrik ist für uns der Hauptweg und hier haben wir einen starken Wettbewerb. Wir müssen auch betrachten, was mit neuen Markteintritten passiert. Tesla hat häufig angekündigt, mit einem Lkw zu kommen, chinesische Hersteller wie BYD sind sehr stark beim Thema Elektromobilität. Da ist die MarkteintrittsHürde, die es beim Diesel einmal gab, nicht mehr vorhanden. Ich gehe davon aus, dass sich der Wettbewerb noch intensivieren wird. Was entscheidet dann am Ende - die Zuverlässigkeit oder der Preis? Zuverlässigkeit sicher, der Preis nicht unbedingt. Wir haben das im Busmarkt gesehen: Da haben einige Kunden Fahrzeuge von chinesischen Herstellern gekauft und sind danach wieder zu uns zurückgekommen. Ich glaube, dass auch die Menschen dahinter entscheidend sind, also der Verkauf, die Beratung des Kunden und der Service. Das ist unser großer Vorteil: Wir haben ein unglaublich dichtes Servicenetz. Wir haben circa 140 eigene Werkstätten und rund 210 Servicepartner. Wenn bei unserem Kunden etwas passiert, können wir schnell zusehen, dass er wieder auf die Straße kommt. Das Jahr 2024 hat noch einige Monate vor sich - wie viele E-Lkw von MAN wollen Sie bis Jahresende auf der Straße sehen? Das kann ich leicht beantworten, weil der Serienstart des E-TGX 2025 sein wird. Heuer werden wir circa 200 Fahrzeuge auf der Straße sehen. Das ist dann Ihre Erprobungsflotte? Nein, das ist der falsche Begriff. Wir nennen sie "Early-Exclusive-Fleet-Fahrzeuge", die aber komplett in Kundenhand sein werden. Und welche Ziele setzen Sie sich dann für das erste Marktjahr 2025? Da würde ich gerne eine vierstellige Zahl unserer Elektro-Lkw auf dem Markt sehen. Vielen Dank für das Gespräch. Sehr gerne. Das gesamte Interview mit Dennis Affeld hören Sie im Podcast VerkehrsRundschau Funk

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