Droht das Ende des freien Güterverkehrs?

Auch wenn es derzeit noch ruhig ist am Brenner: Markus Grüner muss heute schon "zaubern", wie er es ausdrückt, um mit den Zeitverlusten seiner Lkw an den deutsch-österreichischen Grenzübergängen fertigzuwerden. "Die Fahrzeuge stehen aufgrund der derzeitigen Kontrollen teilweise bis zu 1,5 Stunden im Stau", beklagt der Geschäftsführer der ATO Internationalen Spedition in Rosenheim. Am Freitag, Samstag, wenn der Urlaubsverkehr dazukommt, sind die Zeitverluste zum Teil noch größer. Zwölf Lkw zählen zum Fuhrpark von ATO, zehn fahren über den Brenner. Die Zeitverluste an den Grenzen wirbeln den Dispositionsplan kräftig durcheinander. "Wir fahren häufig Teilpartien. Wenn unsere Fahrzeuge dann zu lange im Stau stehen, ist die Lenkzeit überschritten und dann muss ein anderer Fahrer den Lkw übernehmen, wenn es beispielsweise um die Auslieferung in München geht", nennt Grüner ein Beispiel für eine seiner Zaubereinlagen. Zudem kommen die Fahrer am Wochenende auch deutlich später zurück. Die Einhaltung der Wochenendruhezeit ist dann nur möglich, wenn der Fahrer zu Wochenbeginn später als geplant seinen Dienst antritt. Das ist aber nur schwer in Einklang zu bringen mit den Anforderungen der Kunden. Dann müssen Grüner und seine Mitarbeiter wieder einen Blick in den Zauberkasten werfen. Notlösung für die Fahrer angestrebt Sebastian Lechner, geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Bayerischer Transport- und Logistikunternehmen (LBT), kennt die Sorgen. "Wir müssen zudem aufpassen, dass die Probleme nicht auf dem Rücken der Fahrer ausgetragen werden", sagt er. Daher sei der Bundesverband BGL bereits mit den Behörden im Gespräch über sogenannte Notstandsmaßnahmen, die den Fahrern erlauben, abweichend von den vorgeschriebenen Lenk- und Ruhezeiten länger am Lenkrad zu sitzen, wenn sie vorher durch die Kontrollen lange im Stau standen und ansonsten nicht mehr zum Wochenende nach Hause kämen. Doch was passiert, wenn jetzt am Brenner kontrolliert wird, auf dem wichtigsten Handelsweg zwischen Nord- und Südeuropa? "Im Jahr fahren hier zwei Millionen Lkw. Bei 250 Einsatztagen sind das im Schnitt täglich 8000 Lkw", weist Karl Fischer, Geschäftsführer des Logistikkompetenz-Zentrums (LKZ) in Prien, auf die Bedeutung dieser Route hin. Noch ist ungewiss, wann die Kontrollen beginnen. Ende Mai, so war zu hören, soll es losgehen. Doch laut Stefan Eder von der Polizei Tirol könnte der Startschuss auch früher fallen. Die Entscheidung trifft allein das österreichische Innenministerium (siehe Kasten Seite 28). Kleiner Trost für die Logistikbranche: Kontrolliert werden soll "nur stichprobenartig", so Eder. "Aber selbst dann können sich die Wartezeiten pro Lkw schnell auf mindestens ein bis zwei Stunden pro Tag aufsummieren", sagt Fischer. Das würde jede Tourenplanung auseinanderhauen, dann sei jeden Tag "Management by Improvisation" angesagt. Mit "dramatischen" Folgen, wie es Christian Faggin, Sprecher der Geschäftsführung der Spedition Alpensped, formuliert. Etwa 180 Fahrzeuge, die er unter Vertrag hat, passieren die Brennerroute, täglich im Schnitt 25 Lkw. Wenn jetzt auch am Brenner kontrolliert werde, könnten sich Wartezeiten "von bis zu einem halben Tag ergeben", befürchtet Faggin. Vor allem Just-in-time- oder Just-in-sequence-Transporte, die Alpensped für die Automobilindustrie abwickelt, hätten darunter zu leiden. "Dann kommen Notfallkonzepte zum Einsatz", sagt der Spediteur. Die Automobilhersteller versuchen dann beispielsweise Autoteile aus anderen Ländern abzurufen, die von solchen Beeinträchtigungen nicht betroffen sind. Häufig würden auch Sonderfahrten erforderlich, die in den Notfallkonzepten einkalkuliert seien und vom Kunden bezahlt würden. Simon: Verteuerung im Italienverkehr Große Probleme sieht Faggin auf Frachtführer zukommen, die mit günstigen Löhnen, einer Zweimann-Besatzung und einer hohen Kilometerleistung kalkulieren. "Deren Geschäftsmodell geht durch die Wartezeiten an der Grenze dann womöglich nicht mehr auf", befürchtet er. Auch Bernhard Simon, Miteigentümer und Chef der Spedition Dachser, sieht die am Brenner drohenden Grenzkontrollen als problematisch an. "Für den Italienverkehr wären die Kontrollen fatal", warnt Simon. "Die Kosten für den Italienverkehr würden sich damit gewaltig verteuern." 25 Prozent Produktivitätsverlust sieht der Dachser-Chef für jeden dort stehenden Lkw. Zusätzlich müsse Dachser, sagt Simon, womöglich mehr Lkw einsetzen, wenn sich die Ausfallzeiten durch die Grenzkontrollen erhöhen. "Drei Stunden Wartezeit sind durchaus vorstellbar", so der Dachser-Chef. Und wer zahlt diese Mehrkosten? Der Spediteur? Die Auftraggeber? Das ist laut Simon noch in der Diskussion. Aber natürlich werde Dachser prüfen, ob es Ausweichrouten gibt. "Letztlich aber ist der Brenner das Nadelöhr, das kaum umgangen werden kann", betont Simon. Grüner hat bei den Wartezeiten durch die bisherigen Grenzkontrollen die Erfahrung gemacht, dass die Auftraggeber die damit verbundenen Kosten nicht übernehmen: "Es gibt zwar Verständnis für die Verspätungen, aber keine Kostenübernahme." Zudem seien mit den Verzögerungen Umsatzverluste verbunden, da er andere Kunden nicht bedienen könne. "Die ersetzt mir niemand", sagt Grüner..... Wenn jetzt auch noch die Kontrollen am Brenner kommen, befürchtet er Schlimmes: "Sollten zudem die Grenzkontrollen in Kiefersfelden bestehen bleiben, was noch ungewiss ist, sehe ich ganz große Probleme auf uns zukommen, die existenzgefährdend sein könnten." Die Margen im Transportgewerbe seien so gering, weshalb solche Belastungen schwer zu stemmen seien. Die Tauernautobahn - sofern dort nicht kontrolliert werde - sei für ATO keine Alternative, da der Schwerpunkt der Spedition im Raum Mailand liege. Das würde einen Umweg von mindestens 3,5 Stunden bedeuten. "Das bezahlt kein Kunde", so der Spediteur. Aber die Kosten für die Wartezeiten, die einem Frachtführer bei den Grenzkontrollen entstehen, die sollte dieser nicht alleine tragen. Sagt immerhin der Bereichsleiter Logistik beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME), Gunnar Gburek. Wobei die Kette auch beim Auftraggeber nicht zu Ende sei: "Am Ende kommt immer der Konsument für die Kosten auf", ist Gburek überzeugt. Letztlich käme es auf den jeweiligen Vertrag zwischen Dienstleister und Verlader an. "Wenn der Dienstleister draufzahlt, weil er zu wenig Geld bekommt für Wartezeiten, für die er nichts kann, dann sollte der Dienstleister den Vertrag kündigen", lautet die Empfehlung Gbureks - was jedoch manchmal leichter gesagt ist als getan. Gburek befürchtet je nach Kontrollintensität "kilometerlange Staus", die einige Stunden dauern könnten. Aber er zeigt sich zuversichtlich, dass sich die Folgen in Grenzen halten: "Die Flexibilität und die gute Organisation unserer Logistikdienstleister wird dafür sorgen, dass dieses Problem auch in irgendeiner Form gelöst wird - allerdings zu erheblichen Kosten." Dann würden mehr Lkw benötigt und die wären dann noch länger unterwegs. Soweit die kurzfristige Sichtweise. Doch was, wenn Grenzkontrollen zur Regel werden? "Wird Schengen grundsätzlich und europaweit infrage gestellt, kommen alle Belieferungskonzepte, die über Grenzen gehen, auf den Prüfstand", ist Gburek überzeugt. Steigende Frachtraten befürchtet Lange Staus, vor allem während der Ferienzeiten, befürchtet auch Alexander Klacska, in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) für die Sparte Transport und Verkehr zuständig. "Wenn Lkw stehen, sind Laderaumengpässe unvermeidlich. Dann werden die Frachtraten für die Wirtschaft steigen", prognostiziert er. Die WKÖ hat berechnet, dass im Falle von Kontrollen an allen Grenzübergängen in Österreich täglich ein Verlust von acht Millionen Euro nur aufgrund der Wartezeiten entsteht. Klacska befindet sich in Brüssel, als wir mit ihm telefonieren. Er will bei der EU im Rahmen der Grenzkontrollen Erleichterungen für den Güterverkehr erwirken. "Wir brauchen für alle Grenzen, wo kontrolliert wird, Güterkorridore", sagt Klacska. Ziel der Korridore: Die Kontrollorgane sollten dort zum einen Zugriff haben auf die Unternehmensregister, die jedes europäische Land führt. Daraus könnte die Polizei schon mal schnell erkennen, ob ein Transportunternehmen registriert ist und seriös arbeitet. "Zudem könnten die Fahrzeuge in eigener Verantwortung nach der letzten Beladung versiegelt werden. Dann könnte man bei einer Kontrolle mit einem Blick erkennen, ob das Siegel aufgebrochen wurde, um unterwegs bei einer Pause Flüchtlinge einzuschleusen", sagt Klacska. Dieser Vorschlag sei in Brüssel wohlwollend zur Kenntnis genommen worden, eine Entscheidung dazu aber nicht gefallen. "Uns ist bewusst, dass dies keine 100-prozentige Sicherheit gewährleistet. Aber es könnte die Kontrollen vereinfachen", sagt Klacska. Das wäre immerhin ein erster Schritt. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Flüchtlingskrise www.verkehrsrundschau.de/dossiers Auch der Frachtraum kann von der Polizei kontrolliert werden Österreich macht Ernst. Die Vorbereitungen zur Einrichtung von Kontrollen auf der Autobahn A 12 am Übergang Brenner laufen auf Hochtouren. Bagger sind vor Ort, Leitplanken werden abmontiert, die Fahrbahndecken präpariert und es soll ein Dach errichtet werden, damit die Kontrollen auch bei schlechtem Wetter stattfinden können. Ende Mai will die Polizei mit den Vorbereitungen fertig sein."Vorgesehen ist, dass nach dem Grenzübergang auf österreichischer Seite die Fahrbahn auf vier Spuren aufgefächert wird", sagt Stefan Eder, Pressesprecher bei der Polizei Tirol, auf Anfrage der VerkehrsRundschau. Dann werde die Geschwindigkeit des Verkehrs auf 30 Kilometer heruntergedrosselt. Danach soll eine Vorsondierung erfolgen, um die Fahrzeuge herauszusuchen, die dann von der Polizei kontrolliert werden - die Pkw auf einem extra dafür hergerichteten Platz, die Lkw an der Kontrollstelle, die jetzt bereits existiert."Wir werden versuchen den Verkehr so wenig wie möglich zu beeinflussen", sagt Eder. Aber er gibt auch unumwunden zu: "Es wird sich nicht verhindern lassen, dass es höchstwahrscheinlich doch zu Beeinträchtigungen kommt." Wobei er keine Prognose wagt, in welchem Ausmaß es zu Staus kommen wird.Bislang ist die Rede davon, dass Österreich Ende Mai mit den Kontrollen beginnt. Eder jedoch weist darauf hin, dass die Polizei auch jetzt schon in der Lage sei, parallel zu den Bauarbeiten zu kontrollieren. "Es kann aber auch sein, dass wir auch noch nicht im Juni aktiv werden. Die Entscheidung darüber trifft alleine das Innenministerium", sagt Eder. Und die Polizei habe durchaus das Recht, auch den Laderaum von Lkw zu durchsuchen. cd

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