"Drei Jahre Kraftakt"

Mit Fahrzeugtechnik haben Disponenten in der Regel nicht viel am Hut. Sie sollen Sendungen organisieren und bereitstellen. Wie diese dann im Lkw verstaut werden, ist Sache des Fahrers. Bei Transco Berlin-Brandenburg, Ludwigsfelde, ist dies seit Kurzem anders. "Ich erlebe immer wieder, dass Disponenten den Fahrern erklären, wo genau im Laderaum Sensoren platziert sind und was sie bei der Beladung beachten sollen", beobachtet Geschäftsführer Thomas Schleife. Für ihn ist dies eine Folge der jahreslangen Beschäftigung mit der Good Distribution Practice (GDP) für Pharmatransporte. "Meine Mitarbeiter identifizieren sich mit diesem Regelwerk", sagt Schleife. "Für den künftigen geschäftlichen Erfolg ist das unabdingbar." Im Pharmalogistik-Markt gehört Transco quasi zu den "alten Hasen". Schon seit den frühen 90er-Jahren hat sich das Speditionsund Logistikunternehmen auf den Transport von Pharmaprodukten aller Art spezialisiert und betreut heute knapp 100 Verlader in über einem halben Dutzend Ländern. Mit eigenem Equipment ganzheitliche Transportlösungen realisieren und dabei hohe Ansprüche an Prozessqualität, Sicherheit, Qualifikation und Dokumentation stellen: So beschreibt Transco das Geschäftskonzept. Vor allem deshalb wünschte das Unternehmen eine möglichst frühe Bestätigung, dass seine Dienstleistungen den Ansprüchen der GDP-Novelle entsprechen. Die Rechnung ging auf. Im September 2014 hat TÜV Rheinland Transco als erster deutschen Spedition GDP-konforme Straßentransporte bescheinigt. Erste Vorbereitungen bereits 2011 Vom "Ende eines über dreijährigen Kraftakts" spricht Schleife erleichtert. Die Transco-Logistiker haben Fahrzeuge, interne Prozesse und Qualitätsmanagement auf GDP-Tauglichkeit überprüft und angepasst (siehe Kasten Seite 34). Als Pionierunternehmen musste der Logistikdienstleister deutlich mehr leisten als Speditionen, die erst jetzt in den Anpassungsprozess einsteigen. Mit den Vorbereitungen hat das Unternehmen bereits 2011 begonnen, als die genauen Inhalte der europäischen Richtlinie noch nicht veröffentlicht waren. "Die GDP-Novelle ist etwas völlig Neues", stand für Schleife nach Gesprächen mit Mitarbeitern der EU-Kommission fest. Der 2006 veröffentlichte Good Manufacturing Practice (GMP)-Leitfaden hat sich auf Herstellung und Lagerung konzentriert und den Transport nur am Rande behandelt. Die Transco-Transportspezialisten erkannten schnell, dass sie die GDP-Anforderungen nicht im Alleingang realisieren konnten. Sie gründeten deshalb mit Auflieger- und Wechselbrückenhersteller Krone, dem Monitoring-Spezialisten TCS, dem Kühlaggregate-Produzenten TKV und der Technischen Hochschule Wildau eine Arbeitsgemeinschaft. Unabdingbar: Fahrzeugqualifizierung Als erste Maßnahme ermittelten die Teilnehmer in Gesprächen mit zwei Transco-Kunden, welche Aggregate, Monitoring-Systeme und sonstiges Equipment die Transco-Fahrzeuge in Zukunft benötigen. Ein ähnliches Vorgehen empfehlen Experten auch Firmen, die sich erst jetzt mit dem Thema GDP beschäftigen. "Regelkonforme Transporte fangen mit der Fahrzeugqualifizierung an", sagt Christian Specht, Geschäftsführer des European Institute for Pharma Logistics (EIPL) in Korntal-Münchingen bei Stuttgart. "Alle weiteren Maßnahmen machen nur Sinn, wenn dieser Vorgang abgeschlossen ist." Als Transco die notwendigen Umbau- und Einbaumaßnahmen abgeschlossen hatte, bescheinigten die EIPL-Experten den einzelnen Fahrzeugmodellen, dass diese Pharmatransporte im GDP-Standard durchführen können. Von dieser Auditierung profitierte auch Krone. Der "Cool Liner in High Security-Ausgabe", den der Hersteller auf der IAA 2014 in Hannover vorstellte, ist mit seinen zahlreichen Kontroll-Features genau auf GDP-konforme Transporte zugeschnitten. Transco selbst packte jetzt die nächsten Maßnahmen an - die Anpassung der Unternehmensprozesse und die Qualifizierung der Fahrer und anderer Mitarbeiter. Kunden setzen die Benchmarks "Unsere Kollegen waren bereits in den Prozess der Fahrzeugqualifizierung eingebunden", blickt Schleife zurück. "Sie eigneten sich in dieser Phase ein großes Know-how über die GDP an, was den weiteren Prozess erheblich erleichterte." Jetzt rückten die Verlader-Anforderungen an den Transport in den Fokus. Schleife und seine Mitarbeiter mussten sich hierüber mit den Qualitätsmanagern jedes Kunden verständigen. Sie und nicht die Logistiker setzen die Benchmarks für den Transport inklusive aller vor- und nachgelagerten Prozesse. "Die Unterschiede variieren von Kunde zu Kunde stark", sagt Schleife - kleine Lieferanten, die lediglich einzelne Wirkstoffe herstellen, haben andere Anforderungen als große Hersteller, die mehrere 100 oder 1000 Arzneimittel produzieren oder gar Großhändler, die die Sortimente zahlreicher Hersteller bündeln und ausliefern. Temperaturführung, Tourendokumentation, Reklamationsbearbeitung - für diese und weitere Prozesse musste jeder Kunde klare Abläufe definieren und verantwortliche Ansprechpartner nennen. Ein besonders wichtiges Thema ist das Reklamationsmanagement. "Das GDP-Regelwerk schreibt ein genau abgestimmtes Vorgehen vor, wenn Temperaturabweichungen auftreten oder Dokumentationen lückenhaft sind", warnt Specht. "Viele Speditionen unterschätzen dies." Auch andere GDP-Anforderungen verursachen viel Arbeit. So müssen Weiterbildungen organisiert und Handbücher formuliert werden, die genau auf die Anforderungen der einzelnen Kunden abgestimmt sind. Als Transco das Thema anpackte, gab es noch keine Schulungsunterlagen im Markt. "Wir mussten alles selbst organisieren und in neun Sprachen übersetzen", blickt Schleife zurück. Jeder Fahrer sollte die GDP-Inhalte in seiner Landessprache lesen und verstehen. Die Inhalte der Handbücher fasste das Unternehmen in kurzen Merkblättern zusammen: Im Berufsalltag finden viele Fahrer kaum Zeit für die Lektüre von seitenlangen Erläuterungen. Außerdem vermittelte Transco die Inhalte in Schulungen und fragte diese anschließend in Prüfungen ab. "An diesen Terminen muss vom Fuhrparkchef bis zum Aushilfsfahrer jeder teilnehmen, der mit diesen Fahrzeugen zu tun hat", sagt Schleife. Vor allem osteuropäische Subunternehmer tun sich mit der Umstellung schwer. Viele halten eine Fahrzeugüberwachung mit GPS-basierter Telematik für ausreichend. "Bei GDP geht es jedoch um die permanente Kontrolle von Laderaumtemperaturen und weiteren Parametern", zeigt Schleife den Unterschied auf. Weil seinen Erfahrungen nach Qualitätsmanagement nur Erfolg hat, wenn Unternehmer dieses vorleben, besteht er auf der Teilnahme der Inhaber der Subunternehmen an den Schulungen. Hoher Personalaufwand für die GDP Auf dem Unterrichtsplan stehen auch sogenannte Interventionspläne, die bei Rückrufen, Kundenbeschwerden, Sensorausfällen und anderen Zwischenfällen anzuwenden sind. Hier wird genau geregelt, welche Vorkommnisse Transco im Alleingang regeln kann und welche eine Abstimmung mit dem Verlader notwendig machen. "Jeder Auftraggeber setzt eigene Schwerpunkte", sagt Schleife - manche Papiere sind bis zu 60 Seiten stark. Die Interventionspläne sind fester Bestandteil des Reklamationsmanagements. Auch scheinbar belanglose Zwischenfälle wie leichte Temperaturabweichungen oder aufgerissene Kartons, die der Kunde gar nicht moniert hat, werden laut Schleife wie Reklamationen behandelt und dokumentiert - GDP-konforme Prozesse leben nun einmal von einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Ansonsten geben solche Zwischenfälle auch "hochinteressante" Hinweise, so Schleife. So ermittelte der Geschäftsführer bei einem Kunden Verpackungsprobleme, weil dessen Sendungen unterwegs wiederholt beschädigt wurden. Die GDP-Anpassungen sind nur mit einem hohen Personalaufwand zu stemmen. Drei Mitarbeiter setzt Transco Berlin fürs Qualitätsmanagement ein, einer ist fast ausschließlich mit der Überprüfung der Temperaturdokumentationen, die bei jeder Lkw-Tour anfallen, beschäftigt. Schleife selbst schätzt, dass er rund 25 Prozent seiner Arbeitszeit für die GDP-Anpassungen aufbringt. Aber er spürt bereits die Vorteile der Auditierungen. "Die Akquisition von internationalen Kunden fällt mit dem Nachweis von GDP-konformen Transporten leichter", sagt der Geschäftsführer. Wer jetzt in den Auditierungsprozess einsteigt, muss nach seinen Erfahrungen wenigstens zwei Jahre für die Vorbereitungen einplanen. "Eine Zertifizierung nach DIN ISO 9001 erleichtert diesen Vorgang erheblich", lautet sein Tipp. Der Grund: Wenn ein Logistikdienstleister bereits ein Qualitätsmanagementsystem vorweisen kann, trauen ihm Kunden auch GDP-konforme Transporte zu und sind zur Kooperation schneller bereit. Hintergrund Die GDP-Pflichten im Überblick - Der GDP-zertifizierte Versender (Hersteller oder Großhändler) ist verantwortlich für alle ausgelagerten Tätigkeiten, also auch den Transport. Er muss den Transportdienstleister vor Vertragsbeginn auditieren und kann diesen zu regelmäßigen Inspektionen auffordern.- Egal, welche Medikamente abgeholt beziehungsweise zugestellt werden: Der Transport muss den"erforderlichen Lagerbedingungen" entsprechen. Das heißt, die Laderaumtemperaturen müssen erfasst und dokumentiert werden. Auch für konventionelle Zimmertemperaturen (15 bis 25 Grad Celsius) sind solche Maßnahmen nach einhelliger Expertenmeinung notwendig.- Der Versender muss den Temperaturkorridor inklusive Toleranzgrenzen vorgeben. Bei Abweichungen während des Transports sind er und der Empfänger sofort zu informieren. Der Dienstleister muss nachweisen, dass seine Auflieger und Aufbauten die erforderlichen Laderaumtemperaturen auch unter extremen Bedingungen garantieren können (Fahrzeugqualifizierung).- Für die Behandlung von Beschwerden, Rückrufen, Retouren und anderen Zwischenfällen müssen Verfahren festgelegt und dokumentiert werden. Der Versender muss einen ständigen Ansprechpartner benennen.- Jedes von GDP betroffene Unternehmen muss eine verantwortliche Person bestellen, die das Qualitätsmanagement implementiert, GDP-relevante Prozesse überwacht, Schulungen organisiert, Reklamationsmanagement erledigt und Inspektionen durchführt. Die verantwortliche Person muss jederzeit erreichbar sein. bot Experten-Tipp Die GDP erfolgreich umsetzen - Starten Sie mit der Fahrzeugqualifizierung. Auch Lkw mit neuen Aufbauten (Beispiel:Krone Coolliner) müssen überprüft werden, ob ihr eingesetztes Transport-Equipment den spezifischen Anforderungen des Verladerkunden entspricht. Vereinbaren Sie mit jedem Verlader ein "Quality Agreement", das die Verantwortlichkeiten regelt und auch eine Leistungsqualifizierung berücksichtigt. Achtung: ATP-Zertifikate und HAACP-Präventionsmaßnahmen ersetzen GDP-Konformität nicht - beide Konzepte wurden für Lebensmittel und nicht Pharmatransporte entwickelt.- Ihre Mitarbeiter müssen sich mit den GDP-Anforderungen und -Prozessen identifizieren: Binden Sie schon vor der Zertifizierung diese von Beginn an in die Gestaltung von Prozessen für Schulungen, Dokumentation, Bearbeitung von Abweichungen (Reklamationen) und anderen Vorgängen ein. Wichtig sind kurze Arbeitsanweisungen, die auch gelesen werden, und schlanke Prozesse, die ohne längere Anlaufphasen fehlerfrei umsetzbar sind.- Für jeden Verlader ist das Reklamationsmanagement, also die Bearbeitung von Abweichungen für Temperaturen und anderen Parametern, ein Schlüsselinstrument. Setzen Sie in jedem Fall auch diesen Prozess auf, wenn bislang keine Kundenbeanstandungen bekannt geworden sind. Andernfalls ist die gesamte Prozesskette gefährdet: Wenn der Spediteur Reklamationen nicht sauber dokumentiert, kann er deren Ursachen nicht ermitteln und mit Schulungen gegensteuern. bot Christian Specht, Geschäftsführer des European Institute for Pharma Logistics (EIPL) in Korntal-Münchingen

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