Die zweite Klagewelle rollt

Die Abwehrschlacht beginnt. Die ersten Klageschriften wurden den Lkw-Herstellern zugestellt, die Konzernjuristen bringen sich in Stellung. Schadenersatzforderungen Tausender Spediteure und Frachtführer sowie ihrer Verbände hatten die am Kartell beteiligten Hersteller Daimler, MAN, Iveco, DAF und Volvo/Renault bereits im vergangenen Jahr zum Teil harsch abgewiesen. Eine außergerichtliche Einigung lehnten sie ab. Die Konzerne spielen auf Zeit. Dabei ist das Urteil der EU-Wettbewerbshüter eindeutig: Die Kartellanten hatten 14 Jahre lang gezielt Preise abgesprochen, die Einführung der Euro-Abgasnormen 3 bis 6 verzögert und deren Mehrkosten auf die Kunden abgewälzt. Brüssel verdonnerte die Konzerne zu einer Rekordstrafe von rund 2,93 Milliarden Euro. Nur die VW-Tochter MAN ging als Kronzeuge straffrei aus. Im vergangenen September folgte eine 880 Millionen hohe Geldbuße gegen Scania. Die Schweden klagen noch gegen die Entscheidung. Kartellanten haften gemeinsam Die Schadenersatzforderungen treffen dennoch alle sechs großen Lkw-Bauer. Denn sie haften gesamtschuldnerisch - das bedeutet, Betroffene können sich aussuchen, von wem sie Schadenersatz verlangen. Beklagte Konzerne werden die anderen Kartellanten mit in den Prozess hineinziehen, um nicht allein haften zu müssen. Der Schaden könnte schnell in die Milliarden gehen. Allein im Kartellzeitraum von 1997 bis 2011 wurden in Europa rund zehn Millionen Lastwagen verkauft. In Deutschland dürften für 1,1 Millionen Lkw überhöhte Preise bezahlt worden sein. Die Kanzlei Hausfeld schätzt konservativ, dass der Schaden samt Zinsen pro Lkw mindestens 5000 Euro betragen dürfte. "Hochgerechnet auf die 10 Millionen Lkw, die in der EU im Kartellzeitraum verkauft worden sind, würde dies einen Gesamtschaden für Lkw-Käufer von 50 Milliarden Euro bedeuten", sagt Kartellexperte Alex Petrasincu. Andreas Mossyrsch, Vorstand des Münchner Transportverbands Camion Pro, geht von "18 bis 20 Prozent des Erwerbspreises" aus. Kein Wunder, dass Daimler, MAN und Co. schwere Geschütze auffahren. Die Gutachterschlachten vor den Gerichten werden lang und hart geführt werden, denn die Konzerne bestreiten, dass ihren Kunden ein Schaden entstanden ist. Über 200 Klagen hierzulande anhängig Weit über zweihundert Klagen sind bei deutschen Gerichten anhängig. Große Player wie die Deutsche Bahn mit ihrer Tochter Schenker sind dabei, die den Prozess auf eigene Rechnung führen können. Aber auch viele mittelständische Spediteure und Frachtführer, die mithilfe von Verbänden, Rechtsdienstleistern und Prozessfinanzierern ihre Ansprüche in einer großen Klage bündeln. Im deutschen Recht gibt es keine Sammelklagen wie in den USA. Juristen bedienen sich deshalb eines Kniffs: Geschädigte Transportunternehmen treten ihre Rechte an ein Unternehmen ab, das als Kläger eines ganzen Pools von Ansprüchen auftritt. Dies erhöht den Druck auf die Lkw-Bauer, reduziert die Kosten und ermöglicht die Durchsetzung der Schadenersatzansprüche in einer Klage. Auch der Europäische Ladungs-Verbund Internationaler Spediteure (Elvis) hat sich für diesen Weg entschieden und einen Prozessfinanzier an Bord geholt, damit 310 überwiegend kleine und mittelständische Frachtführer ihren Schaden gerichtlich durchsetzen können. "Transporteure können die Prozesskosten nicht allein schultern. Die Klage würde sofort abgewiesen werden", erklärt Elvis-Vorstand Jochen Eschborn. Das finanzielle Risiko trägt nun eine große deutsche Versicherungsgruppe. Dafür zahlen die Betriebe im Erfolgsfall eine Provision: üblich sind 25 bis 30 Prozent der erstrittenen Summe nach Abzug der Kosten. Ohne Finanzier müssen Kläger die Kosten alleine schultern. Camion Pro tut das als Kläger für 40 seiner Mitgliedsunternehmen. Diese bezahlen eine Pauschale von 250 Euro pro Lkw für die im Dezember eingereichte Feststellungsklage. Eine Schadenersatzklage durch mehrere Instanzen kostet 1250 Euro pro Lkw. "Zum Teil gehen wir auch für unsere Mitglieder in Vorleistung", sagt Vorstand Mossyrsch. Wegen Verjährung ist Eile geboten Bislang sind überwiegend Feststellungsklagen bei Gericht eingegangen. Sie verhindern eine Verjährung und sichern die geltend gemachten Ansprüche für 30 Jahre. Haben Gutachter die Schadenshöhe mathematisch sauber ermittelt, folgt Stufe zwei des Verfahrens: die eigentliche Schadenersatzklage, in der es ums Geld geht. Die Klagen deutscher Betroffener konzentrieren sich auf die Gerichtsstandorte Stuttgart und München, wo Daimler und MAN sitzen. Die beauftragten Kanzleien rechnen mit mehrjährigen Verfahren. Die Anwälte der Ladungskooperation Elvis haben bereits die Schadenersatzklage eingereicht. Ein Gutachten über die Höhe des Schadens für jedes Lkw-Modell liegt vor. Vorstand Eschborn rechnet damit, dass sich Daimler für die Klageerwiderung Zeit lässt. "Eine erste Reaktion der Kartellanten ist im dritten oder vierten Quartal zu erwarten. Zur ersten Verhandlung, in der das Gutachten geprüft wird, kommt es wohl nicht vor Ende nächsten Jahres." Klagen im Ausland auch möglich Peter Gussone hofft, dass es andernorts schneller geht. Der Kartellrechtler der Kanzlei MJG Rechtsanwälte vertritt deutsche Kühllogistikunternehmen, die sich einer europäischen Sammelklage in den Niederlanden, vor dem Bezirksgericht Amsterdam, angeschlossen haben. "Niederländische Gerichte haben mehr Erfahrung in großen Kartellverfahren und die Prozesskostenrisiken sind erheblich niedriger als in Deutschland", argumentiert Gussone. Zudem sei es leichter, weitere Kläger aufzunehmen. "Wir fügen im ersten Halbjahr 2018 weitere Geschädigte zu unserer Klage hinzu." Eine zweite Klage, wie sie derzeit von den Branchenverbänden BGL, AMÖ, BWVL und DSLV organisiert wird, ist laut Gussone nicht notwendig. Geschädigte Spediteure und Frachtführer, die ihre Ansprüche noch gerichtlich geltend machen wollen, sollten sich sputen und entsprechende Daten aufbereiten. Nur in den ersten Monaten dieses Jahres ist es noch möglich, sich einer Klage anzuschließen oder an der zweiten Klagewelle der Verbände teilzunehmen. Details, Fristen und Kontakte finden interessierte Unternehmen unterhalb dieses Textes in der Übersicht. Mehr zum Thema unter Wirtschaft und Verträge www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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