Die Paletten-Offensive

Europaletten sind Verschleißartikel. Je mehr Umläufe anfallen, desto häufiger werden sie beschädigt und müssen repariert werden. Mit der Zahl der Reparaturen sinkt freilich auch die Tauschfähigkeit. "Bei vielen Paletten rechnet sich nach sieben Umläufen eine Reparatur nicht mehr", sagt Rolf Telljohann, Produkt Manager von Hellmann Worldwide Logistics. "Wir müssen für diese Ersatz leisten." Jedes Jahr verliert Hellmann deshalb einen "hohen sechsstelligen Betrag". Vor allem bei Distributionsverkehren schießen die Kosten in die Höhe. Da viele Ladungsempfänger nur minderwertige oder keine Paletten vorrätig haben, zahlt Hellmann stets drauf. Denn die meisten Verlader bestehen auf 1-A-Qualität. Das Logistikunternehmen muss solche Paletten deshalb aus eigenen Beständen zur Verfügung stellen oder auf Gutscheinbasis in den Depots von Chep, Paki und anderen Palettendienstleistern abholen. Haben diese die gewünschte Qualität ebenfalls nicht vorrätig, müssen die Hellmann-Fahrer mehrfach anfahren. "Die Kunden müssen sich an den Kosten für Qualitätsschwund und Administration beteiligen", fordert daher Telljohann. Genau diesen Schritt geht jetzt Dachser Food Logistics. In den nächsten Jahresgesprächen will die Nahrungsmittelsparte des Kemptener Unternehmens mit seinen Kunden eine Gebühr aushandeln, die den durch die Tauschpraxis entstandenen Wertverlust kompensiert. "Wir denken an ein bis zwei Euro pro Europalette", hat Alfred Miller, Geschäftsführer von Dachser Food Logistics, angekündigt (siehe VR39/2016). Miller zufolge sind allein in der Lebensmittellogistik 18 Prozent der Europaletten, die aus Distributionsverkehren eingetauscht werden, "stark reparaturbedürftig oder Schrott". 2012 seien es noch fünf Prozent gewesen. Ständig wachsende Verluste Auch andere Unternehmen berichten von ständig wachsenden Verlusten in der Palettenlogistik. "Vor allem bei Lieferungen an die großen Handelsketten hat sich das Problem verschärft", weiß Michael Bargl, Geschäftsführer von IDS Logistik. Der Dachser-Vorstoß für eine Zusatzgebühr sei daher richtig. "Am wichtigsten sind klare Formulierungen und eindeutige Regelungen in den Verträgen", sagt er. Ähnlich äußert sich Karl Dischinger. "Die Branche ist heilfroh, dass endlich ein führendes Unternehmen die Initiative ergreift", freut sich der frühere IHK-Präsident und langjährige Chef der Spedition Karl Dischinger. Palettendienstleister gibt es seit über 40 Jahren. Viele haben seit 2000 ihre Marktposition kräftig ausgebaut, indem sie europaweite Netze für Europaletten und Gitterboxen aufgebaut und etliche Handelsketten - vor allem aus der Lebensmittelbranche - als Kunden akquiriert haben. Heute stehen die geschlossenen Systeme von Chep, Interseroh oder La Palette Rouge (LPR) im Wettbewerb mit den offenen Lösungen von Deutsche Palettenlogistik (DPL), Paki und PaLog. Während die Ersteren ihre Ladungsträger mit besonderen Farben oder Markenzeichen kennzeichnen, begnügen sich die Letzteren ausschließlich mit dem Logo der European Pallett Association (EPAL), das mittlerweile rund 500 Millionen Einheiten kennzeichnet. Vor allem diese Firmen sind in der Kritik der Spediteure. Weil in den Distributionszentren der meisten Handelshäuser Paletten aus unterschiedlichen Pools im Umlauf sind, können sie auf ihren Abholterminen gezielt gute Einheiten auswählen, so der Vorwurf der Spediteure. Von diesem Vorgehen profitieren auch die Handelskunden, die auf ihren Lagerflächen möglichst wenige Leerpaletten wünschen. Die Spediteure haben nach eigenen Aussagen das Nachsehen. Mit jedem Tauschvorgang drohen sie auf schlechteren Paletten sitzenzubleiben. Auch auf den Abholterminen in den Depots der Palettendienstleister können sie die Gutscheine oft nur gegen zweite oder dritte Wahl einlösen. Als Folge kämpfen sie mit steigenden Reparatur-, Entsorgungs- und Wiederbeschaffungskosten. Dazu kommt der administrative Aufwand für Paletten und Palettengutscheine. Die Marktmacht des Handels Rund zwei Drittel der Handlingskosten müssen die Speditionen tragen, ermittelte das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund bereits in 2010. Pro Ladeeinheit fallen bis zu 3,03 Euro Kosten an. Verlader und Empfänger (Händler) müssen mit höchstens 1,40 beziehungsweise 0,55 Euro kalkulieren. Für Michael Böhmer sind diese Zahlen unverändert aktuell. "Die Marktmacht des Handels ist weiter gewachsen", gibt der IML-Gruppenleiter Verpackungslogistik zu bedenken. Zudem haben Automatisierungen in der Intralogistik das Problem verschärft. "Viele Förderanlagen können nur mit Paletten erster Wahl arbeiten", sagt er. Als Folge müssen die Betreiber von konventionellen Logistikzentren auf wachsende Mengen von gebrauchten oder reparaturbedürftigen Einheiten einstellen. Bei der Kalkulation der Zusatzgebühr von ein bis zwei Euro hat sich Dachser unübersehbar an den IML-Zahlen orientiert. Auf Verständnis bei den Kunden darf das Unternehmen kaum hoffen. Die Handelsunternehmen wollen die Dachser-Pläne auf Anfrage nicht kommentieren. "Jeder Logistikdienstleister, der über eine solche Gebühr verhandeln will, sollte sich fragen, ob er deren Höhe ausreichend begründen kann", geht Ulrich Binnebößel, Logistikexperte des Handelsverbands Deutschland (HDE), schon jetzt auf Distanz. Der HDE rät Verladern wie Logistikern, das genaue Procedere des Palettentauschs in Verhandlungen mit seinen Mitgliedsunternehmen zu klären. Allerdings haben alle Seiten schon heute damit zu kämpfen, dass die Standards für Europaletten sehr unterschiedlich ausgelegt werden. GS1 differenziert zwischen "Neu-" sowie "A-, B- und C-Qualität." Manche Palettendienstleister haben eigene Standards entwickelt. So unterscheidet Paki "neu", "neuwertig", "maschinentauglich", "UIC sortiert" und "gebraucht". Wenn sich unter rund 100 gebrauchten eine Handvoll neuer oder neuwertiger Einheiten befindet, werden solche Volumina trotzdem komplett als "gebraucht" klassifiziert. Da bei diesem Standard nach Paki-Definition zehn von 17 Attributen - darunter Trockenheit, Kommissionier- und Regalfähigkeit - nicht gewährleistet werden können, weiß eine Spedition nicht, was sie eingetauscht hat. Ärger ist vorprogrammiert. Auch die weltweite Organisation GS1 hat bisher keine Lösung für dieses Problem gefunden. Derzeit arbeitet sie jedoch an einem standardisierten Palettengutschein. Mehr zum Thema im Dossier Paletten & Gitterboxen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Nagel-Group "Ursprünglicher Pool-Gedanke ist außer Kraft gesetzt worden" Genaue Zahlen über die Kosten für seine Palettenlogistik mag der Versmolder Logistikdienstleister Nagel-Group nicht nennen. Doch die Sorge über die aktuelle Marktentwicklung ist groß. Denn nicht nur der Siegeszug der vollautomatischen Lager, die nur mit bester Palettenqualität betrieben werden können, hat die Kosten in die Höhe getrieben. "Parallel dazu haben viele Palettendienstleister den ursprünglichen Pool-Gedanken außer Kraft gesetzt und verteuern mit unterschiedlichen Produktqualitäten den Kreislauf", moniert Nagel-Group-CEO Bernhard Heinrich. An manchen Schnittstellen werden den Frachtführern ausschließlich schlechte Paletten zum Tausch angeboten. Heinrich zufolge sind einzelne Lade- und Entladestellen wegen der stetig steigenden Transportkosten so unattraktiv geworden, dass sich dies"auf die Laderaumverfügbarkeit auswirkt". Offenbar will kaum noch ein Frachtführer diese anfahren. Den Dachser-Vorstoß unterstützt Heinrich daher: "Wenn Prozesse und Kosten nicht weiter optimiert werden können, muss mit dem Auftraggeber bilateral eine verursachergerechte kommerzielle Lösung gefunden werden." bot

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