Die Nummer eins in Europa

Einen Kunden wie Novelis wünscht sich wohl jedes Unternehmen. Der amerikanische Aluminiumkonzern ist mit 11,1 Milliarden Dollar Umsatz (2014) nicht nur globaler Marktführer für Walzprodukte, sondern gilt auch als Branchenvorreiter für Nachhaltigkeit. Für seine steigenden Transportvolumina nutzt er deshalb seit Dezember 2013 statt Short- Sea- und Binnenschiffverkehre das Europa-Netzwerk von DB Schenker Rail (DBSR). Jede Woche transportieren drei Züge mit jeweils 22 Waggons Aluminiumbarren von Großbritannien durch den Kanaltunnel nach Neuss. In Gegenrichtung bringen sie Coils auf die Insel. Jetzt will Novelis die Zugfrequenz nochmals erhöhen: In Zukunft sollen auch Aluminiumprodukte für die Automotive-Industrie auf der Schiene transportiert werden. Für DBSR spielen europaweit agierende Kunden wie Novelis eine Schlüsselrolle in der weiteren Entwicklung des Unternehmens. 60 Prozent der Verkehre sind bereits grenzüberschreitend, Tendenz steigend. Viele Kunden lassen sich nicht nur vom Umweltargument, sondern auch von kürzeren Transportzeiten überzeugen. Die Novelis-Produkte sind mit DBSR nur zwei statt bislang sechs Tage unterwegs. "Das Netzwerk Europa nimmt immer stärker Fahrt auf", freut sich Deutsche-Bahn-Vorstand Karl-Friedrich Rausch. Allein im ersten Halbjahr 2015 nahm der Güterbahnriese rund ein halbes Dutzend neuer Verkehre auf. So bietet er wöchentliche Container-Rundläufe von Nürnberg nach Bulgarien an, startete für einen ausländischen Autobauer einen Ganzzug an den Bosporus, initiierte mit SBB Cargo neue Einzelwagenverkehre ab Rhein-Ruhr und Hamburg und setzte sich in einer Ausschreibung um die internationalen Verkehre des finnischen Edelstahlherstellers Outokumpu durch. In 15 europäischen Staaten präsent Jeden Tag sind laut Unternehmensangaben 4800 Züge im Europa-Netzwerk unterwegs. An diesem bastelt die Konzerntochter seit 15 Jahren. Als sie noch unter dem Namen Railion firmierte, baute sie Tochterunternehmen in Dänemark, Italien und der Schweiz auf. Heute ist sie mit 15 Gesellschaften in allen west- sowie den meisten osteuropäischen Ländern vertreten und bietet mit fast 3000 Lokomotiven und 90.000 Wagen Ganzzug-, Einzelwagen- und Kombinierte Verkehre an. "Heute ist dieses Unternehmen das einzige mit einem wirklich europaweiten Netz", sagt Maria Leenen, geschäftsführende Gesellschafterin von SCI Verkehr in Hamburg. "Mit seinem Netzwerk kann DBSR internationalen Großkunden ein überzeugendes Angebot auch für integrierte Verkehre anbieten", betont Stefan Hagenlocher, Geschäftsführer der HWH Gesellschaft für Transport- und Unternehmensberatung. Der Markt ist jedoch schwierig. Mit jährlich 0,5 Prozent Wachstum steht der europäische Schienengüterverkehr kaum besser da als der deutsche. DBSR strebt bis 2019 ein jährliches Wachstum von bis zu 2,6 Prozent an. Das würde in die stagnierenden Umsätze, die seit Jahren bei 4,5 bis 4,6 Milliarden Euro verharren, Bewegung bringen. 2014 fuhr die Konzerntochter bei einem Umsatz von mächtigen 4,52 Milliarden Euro nur ein schmales Ebit von 46,4 Millionen Euro ein. 2015 könnte sie als Folge von Lokführerstreiks und Kundenabgängen auf einen Umsatz unter 4,5 Milliarden Euro rutschen. Der Rekord aus dem Jahr 2008 (4,65 Milliarden Euro) bleibt bis heute unerreicht. Auch deshalb brodelt permanent die Gerüchteküche, dass es zu Umstrukturierungen kommt (siehe Seite 16). Europa als Wachstumsmarkt Wachstum versprechen die Europa-Verkehre. Im Gegensatz zum Inland muss DBSR sich hier nicht mit privaten Konkurrenten herumschlagen, die mit günstigeren Preisen, modernerem Equipment und geringerem Personalaufwand werben. Von anderen Wettbewerbern kann der Marktführer sich auch deshalb absetzen, weil er längst auch in schwierigen Märkten wie Großbritannien und Frankreich Fuß gefasst hat. Der Inselstaat ist aus geografischen Gründen für jeden Netzwerkanbieter eine Herausforderung; auf dem Gebiet der "Grande Nation" Fuß zu fassen, ist ebenfalls kein Zuckerschlecken. Seit Kurzem erst bietet DBSR Gefahrguttransporte im Nachbarland an. Die Herausforderungen bleiben groß: Wie viele ehemalige Staatsbahnen hat auch der deutsche Branchenprimus mit veraltetem Equipment zu kämpfen und die Chancen der Digitalisierung nicht ausreichend genutzt. Die Lokomotivführer warten auf moderne Fahrassistenzsysteme und andere technische Erleichterungen, die Kunden auf eine Telematiklösung mit standardisierten Schnittstellen, welche auch über Verspätungen und andere Probleme auf dem Transportweg informiert. Weil der Abstimmungsbedarf mit Herstellern und weiteren Bahnen groß ist, kommen Innovationen nur schleppend voran. Beim leidigen Telematikthema könnte das Jahr 2015 den Durchbruch bringen. Auch die Modernisierung der Instandhaltung nimmt Fahrt auf. Bis Jahresende will DBSR über 200 "intelligente" Lokomotiven verfügen, welche eigenständig Zustandsdaten senden können. Bis 2020 möchte sie 2000 Maschinen nachrüsten. Einen großen Schritt zur weiteren Vernetzung hat das Unternehmen mit der Einrichtung eines europäischen Operation Centers in Frankfurt gemacht. "Hier hat sich DBSR einen echten Vorsprung vor der Konkurrenz erarbeitet", versichert Hagenlocher. Blick über Europa hinaus Marktkenner ermuntern DBSR zu europäischen Lösungen für Einzelwagenverkehre. "Hier liegt das größte Wachstumspotenzial", versichert Leenen. Denn Ganzzüge eignen sich nur für Großkunden und bei den Kombinierten Verkehren (KV) tobt seit Jahren ein harter Preiskampf. Mit dem Konzept der Netzwerkbahn, das Einzelwagenverkehre mit Ganzzügen und KV-Wagen auf Basis von kundenspezifischen Blocking-Konzepten bündelt, will DBSR auch international reüssieren. Für Benelux, Frankreich, Italien, Polen und Rumänien hat das Unternehmen bereits Netzwerke und Direktverbindungen aufgebaut. Jetzt wird noch ein ganz anderes Produkt für Einzelwagenverkehre geöffnet. Die sechs Relationen ab Deutschland und Polen nach China, die bislang ausschließlich für Ganzzüge reserviert waren, sollen in Zukunft auch Einzelcontainer aufnehmen und so durchgehend ausgelastet werden. "Wir planen die Anbindung unseres gesamten europäischen Netzwerks an die China-Verkehre", sagte Rausch auf der Transport Logistic 2015 in München. Die Integration des DBSR-Netzwerks in globale Supply Chains haben einzelne Kunden schon längst vollzogen. Die rote Bahn, wie DBSR in Anspielung auf die Farben ihrer Loks auch gerne genannt wird, hat also nicht nur Europa im Blick, sondern auch Märkte weit darüber hinaus. Die Serie Die großen GüterbahnenIn unserer Serie stellen wir die großen (Staats-)Güterbahnen in Europa vor- Teil 1: DB Schenker Rail (VR 27)- Teil 2: Rail Cargo Austria (VR 28)- Teil 3: PKP Cargo (VR 29)- Teil 4: SBB Cargo (VR 31/32)- Teil 5: Trenitalia Cargo (VR 33/34)- Teil 6: SNCF Geodis (VR 35) DB Schenker Rail Zahlen und Fakten 2014* - Transportleistung: 102,8 Milliarden (Mrd.) Tonnenkilometer (104,3; -1,3 Prozent); davon in Deutschland: 73,3 Mrd. Tonnenkilometer- Tonnage: 329,1 Millionen (Mio.) Tonnen (390,1; -15,6 Prozent); davon in Deutschland: 210,3 Mio. Tonnen- Marktanteil in Europa: 24,3 Prozent (25,1)- Marktanteil in Deutschland: 65,1 Prozent (66,8 Prozent)- Gesamtumsatz: 4863 Mio. Euro (4843; +0,4 Prozent); davon in Deutschland: 3428 Mio. Euro- Ebit: 46 Mio. Euro (57; -19,3 Prozent)- Mitarbeiter: 30.842 (30.925; -0,3 Prozent)* in Klammern: Wert für 2013; Abweichung zu 2013 in Prozent

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