Interview: "Die Kabotage-Freigabe wäre eine Katastrophe"

Was waren die massivsten Fälle von Sozialdumping, von denen Verdi in den letzten Monaten gehört hat? Unsere Gewerkschaftskollegen der Europäischen Transportarbeiter-Föderation ETF haben vor einigen Tagen mit rumänischen Fahrern gesprochen, die monatlich 200 bis 300 Euro verdienen und zwei bis vier Monate lang in Deutschland unterwegs sind, obwohl dies gegen bestehende Vorschriften verstößt. So etwas erfährt man aber nur am Rande. Offen formuliert das keiner - viele haben Angst. Wer ist schuld an diesen Fehlentwicklungen: Hat der deutsche Gesetzgeber geschlafen oder wird in Deutschland schlichtweg zu wenig kontrolliert? Es ist ein Mix aus allem. Zum einen ist auf EU-Ebene noch nicht geklärt, für wen der gesetzliche deutsche Mindestlohn gilt. Das ist im Transit und im grenzüberschreitenden Verkehr nach wie vor offen. Im Zeitalter der Frachtenbörsen interessiert zudem kaum einen Auftraggeber mehr, wer am Ende die Tour fährt. Es geht fast nur noch über den Preis. Schlussendlich zeigt sich in der Lkw-Maut-Statistik, dass der Anteil der Osteuropäer auf deutschen Straßen ganz deutlich steigt. Die EU plant nun im Zuge des Road Packages, das Kabotageverbot aufzuheben - wie man hört mit der Begründung, die Fahrerentgelte hätten sich EU-weit mittlerweile angeglichen. Teilen Sie diese Einschätzung? Die Kabotage-Freigabe wäre eine Katastrophe. Das würde die sozialen Spannungen massiv erhöhen. Wir teilen auch die Meinung der EU in punkto Fahrerentlohnung absolut nicht. Es stimmt zwar, dass die Fahrerlöhne in Polen steigen. Wir stellen aber gleichzeitig fest, dass sich das Transportgeschäft immer noch weiter in den Osten verschiebt - und vermehrt rumänische Fahrer zum Einsatz kommen. Und da ist das Lohngefälle zu den deutschen Fahrern nach wie vor massiv. Traurig ist ja, dass die Masse der Kabotage-Verstöße nicht ermittelt ist. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) spricht gerade einmal von einigen Hundert bekannt gewordenen Verstößen. Ich glaube, die Dunkelziffer ist da viel höher. Will Verdi nicht endlich Licht ins Dunkel bringen und aussagekräftige Zahlen erheben? Das genau planen wir gemeinsam mit unseren Gewerkschaftskollegen der Europäischen Transportarbeiter-Föderation ETF. Ziel ist es, der EU etwas dagegensetzen zu können. Dazu sprechen wir mit Fahrern. Das Problem ist nur, dass Fahrer kaum bereit sind, über solche Themen offen zu reden. Die Angst um ihren Job ist zu groß. Zudem planen wir mit dem Bundesverband Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung im Juni eine Veranstaltung, um über das Thema Sozialdumping zu diskutieren.