Den Kriminellen das Handwerk legen

Berlin, 26. Oktober 2015: Unbekannte brechen in das Depot eines Transportdienstleisters ein, der auf Medizinprodukte spezialisiert ist. Sie entwenden 15 Packungen, darunter Fertigspritzen mit Präparaten, die gekühlt werden müssen. Enorme Folgeschäden eines Diebstahls Obwohl der Fall bundesweit Schlagzeilen macht, ist er keine Besonderheit: Allein im letzten Jahr gab es europaweit laut der Transported Asset Protection Association (Tapa) 18 Fälle von Medikamentendiebstahl, bei denen die Täter entlang der Lieferkette zuschlugen. Und hier handelt es sich nur um registrierte Fälle. Experten halten die Dunkelziffer für wesentlich höher. Was den Diebstahl von Medikamenten so gefährlich macht, sind die Folgeschäden: Nach jedem Vorfall muss der Hersteller sowohl alle Geschäftspartner als auch die Öffentlichkeit informieren. Allein dadurch entstehen Kosten, die fünfmal so hoch sind wie der Ladenpreis der entwendeten Produkte, schätzt die Tapa. Hinzu kommen Risiken, die entstehen, wenn gestohlene Präparate illegal verkauft werden. Auch auf Dienstleister können nach einem Diebstahl hohe Regressforderungen zukommen. Was können sie tun, um Dieben das Leben schwerzumachen? Grundsätzlich lauern Gefahrenpunkte entlang der gesamten Transportkette, wobei sie nicht gleich verteilt sind. "Das Diebstahlrisiko ist deutlich höher, wenn sich die Ware im Fahrzeug befindet", sagt Klaus-Dieter Baier von Desa Investigation and Risk Protection, Berlin, einer Firma, die in Sicherheitsfragen berät. Der Experte schätzt, dass auf jeden Lagereinbruch neun Fälle kommen, in denen die Täter hochwertige Waren aus einem Lkw entwenden. "Das liegt daran, dass viele Lager mittlerweile hoch gesichert sind", erklärt Baier. Tatsächlich hat sich hier viel getan. Seit gut drei Jahren gilt auch in der Pharmalogistik die Good Distribution Practice (GDP), eine EU-Leitlinie, die hohe Anforderungen an den Diebstahlschutz stellt. Als Reaktion haben viele Dienstleister nicht nur in neue Klimatechnik, sondern auch in Sicherheit investiert. Gleichzeitig sind die Ansprüche der Verlader in diesem Punkt gestiegen. "Bei uns gibt es 300 Audits pro Jahr, also fast jeden Tag eines", berichtet zum Beispiel Frank Iden, Vorsitzender der Geschäftsführung des Weinheimer Unternehmens Trans-o-flex, das Anfang März von seinem Mutterkonzern Österreichische Post an die Amberger Familien GBR und die Schoeller Holding verkauft worden ist. Das auf Pharma spezialisierte KEP-Unternehmen hatte nach eigenen Angaben zuletzt einen "nahezu siebenstelligen" Betrag in zusätzliche Sicherheitstechnik gemäß der neuen GDP investiert, zugleich wurden Qualifizierung und Sensibilisierung der Mitarbeiter intensiviert. Wenn die Lager mittlerweile relativ sicher sind, wo liegen dann die kritischen Punkte? "Ein großes Risiko ist die Vorverladung", erklärt Sicherheitsprofi Baier. Er beschreibt das typische Szenario so: Der Verlader übergibt die Medikamente erst am späten Freitagnachmittag, der Frachtführer übernimmt sie - und stellt Zugmaschine samt Trailer zum Beispiel übers Wochenende in einem Gewerbegebiet ab. "Wir wissen, dass Täter mittlerweile gezielt solche Gegenden absuchen", berichtet Baier. Dann knacken sie den Trailer und entwenden die Ware - oder stehlen gleich den kompletten Sattelauflieger. Achtung auch bei Sicherheitsparkplätzen Gegen diese Masche hilft Sicherheitstechnik nur bedingt. Experte Baier empfiehlt stattdessen, mit besserer Organisation gegenzusteuern: Verlader sollten bessere Prognosen dazu abgeben, wann ein Transport ansteht. Die Frachtführer ihrerseits stehen in der Pflicht, besser zu planen, damit Fahrzeuge am Ende der Lenkzeit nicht an Risikopunkten abgestellt werden, sondern auf einem Sicherheitsparkplatz - der seinen Namen auch verdient. Experte Baier weist darauf hin, dass auf einigen Sicherheitsparkplätzen nur die Kennzeichen der Lkw erfasst werden. Das haben sich organisierte Diebe schon zunutze gemacht, um mit gefälschten Kennzeichen einzufahren und abgestellte Lkw über Nacht auszuräumen. Grundsätzlich sollte man deshalb nur Parkplätze nutzen, die auch die Identität der Fahrer prüfen, so Baier. Ein weiterer Knackpunkt ist das Personal. "In vielen Fällen sind Insiderinformationen im Spiel", sagt Markus Prinz, Sicherheitsmanager bei der Aachener Spedition Time Shuttle, die auf wertvolle Fracht spezialisiert ist. Er skizziert den typischen Ausgangspunkt eines Diebstahls: Im Büro eines Spediteurs liegt der Auftrag eines Pharmakunden ausgedruckt auf einem Schreibtisch, ein Mitarbeiter des Reinigungspersonals oder ein Fahrer sieht durch Zufall das Dokument und gibt Dieben einen Tipp. "Dass solche Informationslecks entstehen, lässt sich nie ganz verhindern - aber zumindest erschweren", betont Prinz, der auch Vorstandsmitglied beim europäischen Arm der Tapa ist. Wichtige Gegenmaßnahmen: Sensible Dokumente wie Kundenaufträge sollten immer unter Verschluss aufbewahrt werden; außerdem sind alle Zugriffe auf das System zu protokollieren, um bei Unregelmäßigkeiten das Informationsleck schnell finden zu können. Besser ist es natürlich, erst gar keine Tippgeber ins Haus zu lassen. Die meisten Logistikdienstleister überprüfen zwar das Führungszeugnis eines Bewerbers, bevor sie ihn einstellen, doch Sicherheitsexperte Prinz warnt: "Da steht längst nicht alles drin." Besser sei ein kompletter Hintergrundcheck: Wo hat der Kandidat in den vergangenen Jahren gearbeitet (die Tapa empfiehlt einen Zeitraum von fünf Jahren)? Was sagt der ehemalige Arbeitgeber? Unter welcher Adresse war die Person gemeldet? Auch Informationen über die finanzielle Lage des Bewerbers können hilfreich sein, schließlich sind es oft Geldprobleme, die Speditionsmitarbeiter oder beauftragte Dienstleister zu Tippgebern werden lassen. Überprüfungen sind bei allen Branchengrößen Standard. "Wir holen selbstverständlich eine Schufa-Auskunft über die Frachtführer ein, mit denen wir zusammenarbeiten", erklärt Trans-oflex-Geschäftsführer Iden. Balance wahren bei Kontrollen Doch aufwendige Hintergrundchecks kosten zusätzliches Geld - genau wie Videokameras und Zugangskontroll-Systeme. Diese Investitionen müssen durch zusätzliche Aufträge wieder reingeholt werden. Daneben können zu intensive Überprüfungen einen negativen Beigeschmack entwickeln. "Es gilt, die Balance zu halten. Kontrollen sind notwendig, dürfen aber nicht überzogen sein und jeden Mitarbeiter unter Generalverdacht stellen", betont Iden. Mehr zum Thema im Dossier Kriminalität & Sicherheit www.verkehrsrundschau.de/dossiers Tipp Experten-Tipps Diebstahl von Medikamenten: So können Transportdienstleister vorbeugen- Bleiben Sie aufmerksam. Erfassen Sie alle Vorkommnisse, egal wie klein. Viele Täter sondieren nämlich zunächst die Lage mit Testeinbrüchen. Sie beschädigen zum Beispiel einen Zaun und lösen Alarm aus, um herauszufinden, wie lange es dauert, bis die Polizei kommt.- Machen Sie es Informanten schwer. Halten Sie alle Unterlagen unter Verschluss, die Aufschluss über Transporte mit teurer Ladung geben. Erfassen Sie im EDV-System, wer solche Dokumente einsieht.- Informieren Sie sich. Hinter dem Diebstahl von Medikamenten steckt oft das organisierte Verbrechen. Täter sind europaweit aktiv, oft mit der gleichen Masche. Verbände wie die Tapa erfassen die Fälle in einer Datenbank. Mitglieder sehen so, welche Vorfälle es in der Region gab und können ihre Geschäftsabläufe auf typische Angriffspunkte der Diebe abklopfen.- Investieren Sie in Sicherheitstechnik. Kofferfahrzeuge, High-Security-Seals (Stahlbolzensiegel) und Trailer mit GPS-Ortung können die Sicherheit verbessern. Lager sollten selbstverständlich alarmgesichert und videoüberwacht sein. Wichtig bei aller Technik ist, dass die Organisation stimmt: Kameraüberwachung etwa ergibt nur Sinn, wenn auch jemand vorm Monitor sitzt und im Ernstfall reagiert. Oder der Trailer mit Satellitenortung bringt nur etwas, wenn es auf der ganzen Route auch ein GPS-Signal gibt. cg

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