Das Damoklesschwert der Fahrverbote

Thorsten Dörr hat genau verfolgt, wie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Leipzig am 27. Februar zu einem möglichen Fahrverbot für Dieselfahrzeuge entschieden haben. Denn der Geschäftsführer und Inhaber der Möbelspedition Arnholdt & Sohn sitzt mit seiner Firma zentral in Stuttgart - und damit wäre er massiv von einem Fahrverbot betroffen. "Ich hoffe stark, dass es Ausnahmegenehmigungen für uns geben wird, damit wir nach wie vor unser Geschäft ausüben können", sagt Dörr. Zu seinem Fuhrpark gehören 55 Fahrzeuge. 35 davon sind 7,5-Tonner und schwerer. Allesamt Dieselfahrzeuge. "Gibt es diese Ausnahmen nicht, stehen wir vor einem massiven Problem." Statt seiner sonst 500.000 bis 600.000 Euro Investitionen in den Austausch von Fahrzeugen müsse er dann bis 2019 das Dreifache investieren. Und dass ein Fahrverbot für Euro-5-Fahrzeuge nicht vor September 2019 kommen soll, reicht für ihn nicht: "Unseren kompletten Fuhrpark bis dahin auf Euro 6 umzustellen, das ist ein Wahnsinn. Im September 2019 beträgt unser Euro-5-Anteil mindestens 50 bis 60 Prozent. Wir brauchen deutlich längere Übergangsfristen." Möbelspediteur Dörr ist kein Einzelfall. Im Gegenteil, seit der Verkündung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts schlagen die Wogen in der Transport- und Logistikbranche hoch. Denn dem Urteil zufolge dürfen Kommunen Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuge und Strecken beschließen, um für saubere Luft zu sorgen. Ganz wichtig: Die Bundesrichter haben nicht darüber entschieden, ob Fahrverbote einzuführen sind. Ob es zu diesen kommt, liegt allein bei den einzelnen Städten und Bezirksregierungen. Jede Kommune kann selbst entscheiden, wie sie nun verfährt. Hamburg macht den Anfang Als erste Stadt Deutschlands kündigte bereits Hamburg an, ab April zwei besonders belastete Straßenabschnitte sperren zu wollen. Betroffen sind die Abschnitte der Max-Brauer-Allee für Pkw älter als Euro 6 und Euro-6-Lkw sowie Abschnitte der Stresemannstraße für Diesel-Lkw älter als Euro 6. Und auch in Düsseldorf, Stuttgart und München wird bereits kräftig an Lösungen gearbeitet. Dort ist die Luftqualität besonders schlecht (siehe Kasten Seite 24). Kein Wunder, dass die Alarmglocken schon schrillen. "Fahrverbote legen die Grundversorgung der Innenstädte lahm", warnt zum Beispiel Marten Bosselmann, Geschäftsführer des Bundesverbands Paket und Express Logistik (BIEK). Kleine Geschäfte und Gewerbetreibende, aber auch die Endverbraucher seien auf die Belieferung durch KEP-Dienste angewiesen. Umso wichtiger sei es, fordert Bosselmann, dass die Kommunen das Urteil nun mit "Augenmaß", insbesondere mit entsprechenden zeitlichen Übergangsfristen, für die Unternehmen umsetzen. "Fünf bis sechs Jahre Übergangszeit wären aus Sicht der KEP-Branche wünschenswert." Nackte Enteignung droht "Andernfalls droht den KEP-Unternehmen betriebswirtschaftlich die nackte Enteignung", fürchtet Andreas Schumann, Vorsitzender des Bundesverbandes der Kurier-, Express- und Postdienste (BdKEP). Denn das Gros der KEP-Unternehmen setzt nach wie vor Diesel-Fahrzeuge unterhalb der Euro-6-Norm ein. "Sofortige Fahrverbote wären für kleine und mittlere KEP-Betriebe also möglicherweise gar existenzbedrohend", malt Schumann ein düsteres Szenario. Das Urteil bedeute zwar nicht das Ende der Möbelspedition, aber es werde den Einsatz nicht leichter machen, kommentiert Dierk Hochgesang, Geschäftsführer des Bundesverbandes Möbelspedition und Logistik (AMÖ) das Urteil. Gleichzeitig verweist Hochgesang darauf, dass Güterverkehr generell nur unterproportional am NO2-Ausstoß beteiligt ist (siehe Kasten unten). "Die Laufleistung unserer Fahrzeuge im Bereich Umzugsspedition ist nochmals geringer als im Güterverkehr. Da muss man auch Aufwand und Ertrag in Form vom Emissionseinsparungen gegenüberstellen." Daher appelliert er an die Kommunen, dass sie bei den Planungen die Wirtschaftsverbände nicht vergessen und Ausnahmen zulassen. Möbelspediteuren rät er: "Wo immer möglich aktuelle Antriebsmotoren nutzen mit geringen Emissionen." Und vielleicht auch überlegen, ob nicht Leasing oder Miete eine Alternative zum Kauf von Fahrzeugen ist. Neue Lieferkonzepte entlasten die City Im speditionellen Nahverkehr ist die Situation den Aussagen von Uwe Brehm zufolge nicht viel besser. Brehm ist Geschäftsführer der Nellen & Quack Spedition in Gronau, die täglich Städte wie Gronau, Bocholt und Münster beliefert. Wenn dort Fahrverbote ausgesprochen würden, wäre das "eine Katastrophe", sagt er. Noch steht dort nichts an. "Doch das Damoklesschwert ist da." Nellen & Quack setzt im Fernverkehr ausschließlich Euro 6-Lkw ein. Die meisten Nahverkehrsbetriebe dürften aber, schätzt Brehm, noch über keine Euro-6-Fahrzeuge verfügen. Euro 5 oder niedrigere Schadstoffklassen seien da wohl noch die Regel. Jetzt schnell das Diesel-Fahrzeug verkaufen sei unmöglich: "Die Gebrauchtwagenpreise werden aufgrund der Fahrverbote in den Keller gehen." Zudem sei keine Alternative in Sicht: Elektro-Lkw seien noch zu teuer, und Hybrid lohne sich für die Verkehre nicht. Brehm fürchtet aber vor allem, dass jetzt jede Kommune in puncto Fahrverbot ihr eigenes Süppchen kocht: "Sinnvoller wäre eine bundesweit einheitliche Lösung gewesen", sagt er. Der Mittelständler hofft daher auf die blaue Plakette: "Sie kostet zwar. Aber man kann sich darauf einstellen und hat eine einheitliche Lösung." Im Gegensatz zu vielen seiner Branchenkollegen, die im Stückgut-Nahverkehr unterwegs sind, kann sich Holger te Heesen, Geschäftsführer der ABC Logistik in Düsseldorf, entspannt zurücklehnen. Er fährt ausschließlich mit 80 eigenen Euro-6-Lkw und nutzt für die letzte Meile Elektro-Transporter. Vor allem aber hat er bereits vor eineinhalb Jahren im Zusammenspiel mit der Stadt Düsseldorf und dem lokalen Einzelhandel das smarte Logistikprojekt "Incharge" konzipiert und realisiert, das den Lieferverkehr in Düsseldorf um jährlich bis zu rund 500.000 Lkw-Fahrten reduziert und gleichzeitig die Versorgung der Geschäfte und Endverbraucher sicherstellt. Das Prinzip: 1000 Meter Luftlinie von der Düsseldorfer Innenstadt sitzt das ABC-Umschlagsterminal: "8000 Lkw fahren jeden Tag in die Stadt, 2000 davon fangen wir dank unseres neuen Lieferkonzepts vorher bei uns ab und reduzieren so automatisch Stickoxide und Schadstoffe", erklärt te Heesen. "Alle Lkw, die bisher die Geschäfte in Düsseldorf direkt belieferten, fahren nun ,Incharge' an." Dafür habe der Einzelhandel die Anlieferadresse einfach auf ABC Logistik umgestellt. Im Zentrallager werden die Waren konsolidiert und außerhalb der regulären Verkehrs-Stoßzeiten mit Euro-6-Lkw oder E-Fahrzeug auf Nebenstraßen ausgeliefert. "Dieses Konzept könnte man in allen Großstädten Deutschlands umsetzen, ist sich der Unternehmer sicher. Alleine könne er das aber nicht stemmen, dafür sei ABC Logistik nicht groß genug. Im Zusammenspiel mit anderen regionalen mittelständischen Spediteuren traue er sich dies aber zu. Und Wuppertal und Köln hätten schon konkretes Interesse geäußert. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Fahrverbote www.verkehrsrundschau.de/dossiers Dieselfahrverbote: Warum eigentlich? Was ist NOx?Stickstoffoxid (NOx) ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene gasförmige Verbindungen, die aus den Atomen Stickstoff (N) und Sauerstoff (O) aufgebaut sind. Vereinfacht werden nur die beiden wichtigsten Verbindungen Stickstoffmonoxid (NO) und Stickstoffdioxid (NO2) dazu gezählt.Wann und warum müssen Kommunen aktiv werden?Die Mitgliedstaaten der EU haben sich 1999 darauf geeinigt, dass ab dem Jahr 2010 ein NO2-Jahresmittelwert von 40 µg/m³ überall eingehalten werden soll. Grundlage war eine entsprechende Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation. Werden diese Grenzwerte überschritten, sind Städte und Kommunen verpflichtet, Luftreinhaltepläne zu erstellen. Damit es nicht zu einem Flickenteppich kommt, sollen die Bundesländer die Rahmenbedingungen für die Pläne vorgeben. Schadstoffe wie NO2 und Feinstaub schädigen die Atmungsorgane und beeinträchtigen das Herz-Kreislauf-System. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur (EUA) sterben in Deutschland jährlich 12.860 Menschen vorzeitig aufgrund der Belastung mit NO2 und 66.080 aufgrund der Feinstaubbelastung.Wie stark ist der Straßengüterverkehr am NO2-Ausstoß beteiligt?Der Verkehrsbereich trägt laut Umweltbundesamt zu rund 60 Prozent zur Stickstoffdioxid (NO2)-Belastung bei. Davon sind Diesel-Pkw mit 72,5 Prozent die Hauptverursacher. Busse machen im Bundesdurchschnitt vier Prozent der Emissionen des städtischen Verkehrs aus. Aber auch Lkw- und Lieferverkehr sind mit rund 19 Prozent deutlich weniger an der Luftbelastung beteiligt als Diesel-Pkw. cd Dieselfahrverbot in München 130.000 Straßenschilder und 18 Millionen Kosten München ist die Stadt in Deutschland, in der die Luft am schlechtesten ist. Das hat das Umweltbundesamt ermittelt. Demnach wurde für die Stadt 2017 durchschnittlich ein Grenzwert von 78 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft ermittelt. Kleiner Trost: Gegenüber 2016 ist damit eine leichte Besserung um zwei Mikrogramm eingetreten.Jedoch wird dieser Grenzwert nicht überall überschritten: Laut einer Modellrechnung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt ist das an 24 Prozent des 511 Kilometer langen Hauptverkehrsstraßennetzes der Fall. Einzelne Streckensperrungen kämen jedoch nicht infrage, weil die Behörde Wechselwirkungen befürchtet, die an anderer Stelle zu einer Luftverschlechterung führen, teilt das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) der Stadt München mit.Blanke Zahlen sprechen BändeFür den Luftreinhalteplan in München ist nicht die Stadt, sondern das Land Bayern verantwortlich. Dennoch vertritt die Münchener Verwaltung eine klare Meinung: Die Weiterentwicklung der bestehenden Umweltzone sei der einzig verursachergerechte, kontrollierbare und verhältnismäßige Weg. Warum, das wird deutlich, wenn man auf die nackten Zahlen blickt: Sollten alle von NO2-Grenzwertüberschreitungen betroffenen Straßenabschnitte für Diesel-Fahrzeuge gesperrt werden, müssten laut dem RGU 130.000 Straßenschilder im Stadtgebiet aufgestellt werden. Damit wären Kosten von über 18 Millionen Euro sowie ein Zeitaufwand von zwei bis drei Jahren zur Bestellung, Produktion und Aufstellung der Straßenschilder verbunden."Zudem müssten dauerhaft rund 100 Personalstellen für die Prüfung und Ausstellung von Ausnahmegenehmigungen für betroffene Anwohner und Anlieger in der Stadtverwaltung eingestellt werden", teilt das RGU mit.Nach Ansicht des Oberbürgermeisters von München, Dieter Reiter, habe das Gericht klargemacht, dass eine blaue Plakette als einzig sinnvolle Lösung in Betracht kommt."Hier ist die Bundesregierung als Gesetzgeber weiterhin gefordert, umgehend eine bundesweit einheitliche Regelung zu schaffen", so Reiter. cd

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