Das Blatt wendet sich in der Luftfracht

So gute Zahlen wie in diesem Jahr hat die Luftfrachtbranche seit über zwei Jahren nicht mehr verzeichnet. Rund 4,4 Prozent mehr Sendungen vermeldet die International Air Transport Association (Iata) allein für die ersten fünf Monate gegenüber dem Vorjahreszeitraum und im Mai legte die Nachfrage sogar um 4,7 Prozent zu. Die anziehende Konjunktur in vielen Weltregionen sorgt offenbar für kräftige Neubelebung in der Luftfrachtbranche. "Wir registrierten bereits zum Jahresende 2013 bei den Sendungen einen leichten Anstieg der Durchschnittsgewichte", stellt Thomas Reuter fest, Geschäftsführer Air & Sea Logistics Dachser. Auf solche Indikatoren hat die Luftfracht-Branche fast zwei Jahre lang gewartet. Im vergangenen Jahr 2013 musste die Iata noch ein Minus von 0,5 Prozent von Januar bis Mai mitteilen. 2012 gab es lediglich ein leichtes Plus von 1,5 Prozent, das allerdings fast ausschließlich von Emirates und anderen aufstrebenden Airlines in der Golfregion erwirtschaftet worden war. "Das Geschäft läuft derzeit wie geschnitten Brot", freut sich auch Henning Dieter, Vorsitzender des Fachausschusses Luftfrachtspedition beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV). "Vor allem die Hightech-Wirtschaft hat ihre Orderzahlen erhöht", sagt er. Ad-hoc-Sendungen haben Konjunktur Nicht jeder Marktteilnehmer aber gibt sich so euphorisch. So spricht Lufthansa Cargo von "recht guten Entwicklungen" auf den China- und Nordatlantikstrecken. Auf Destinationen nach Südamerika sei die Situation weitaus schwieriger, heißt es bei Europas größter Luftfrachtfluggesellschaft. Auch bei den Speditionen herrscht nur bedingt Aufbruchstimmung. "Ich erwarte für 2014 ein Branchenwachstum von höchstens drei Prozent", sagt Tim Scharwath, Vice President Air Logistics von Kühne + Nagel. Grund sei ein nachlassendes Wachstum im zweiten Halbjahr. Noch verhaltener gibt sich Henrik Lund, Global Director Airfreight von Hellmann Worldwide Logistics: "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich das Blatt trotz guter Prognosen sehr schnell wenden kann." Die Zurückhaltung der Luftfracht-Akteure ist verständlich. Denn seit 2010 sind viele Kunden mit vielen Sendungen aus Kostengründen von der Luft- zur Seefracht gewechselt. Auch deshalb legte das weltweite Luftfrachtaufkommen im vergangenen Jahr lediglich um 1,8 Prozent zu. Und diese Wechselbereitschaft wird wohl anhalten, wie eine Umfrage der US-Unternehmensberatung Seabury zeigt, die im Auftrag der Iata durchgeführt wurde. Demnach erwarten 71 Prozent der befragten Verlader und Speditionen bis 2016 einen weiteren Modal Shift zur Seefracht und nur 14 Prozent schließen dies aus. "Viele Verlader haben in den letzten Jahren ihre internationalen Logistikketten optimiert und lassen ihre Sendungen nun per Seefracht statt per Luftfracht zustellen", bestätigt Klaus Jäger, Luftfrachtchef von Militzer & Münch. Gleichzeitig stellen die Marktteilnehmer seit Monaten einen Anstieg der Ad-hoc-Luftfrachtsendungen fest, beispielsweise bei Verkaufsaktionen, Ersatzteilbeschaffungen und anderen einmaligen Anlässen. Solche Versender auch dauerhaft an sich zu binden, ist deshalb das Ziel vieler Luftfrachtspediteure. "Wir forcieren komplexe Kundenlösungen", nennt Hellmann-Manager Lund ein Beispiel. Insbesondere bei den Konzepten für Automotive, Fashion und Healthcare verzeichne Hellmann eine gute Entwicklung, sagt Lund. Auch für andere Logistikdienstleister gilt vor allem Healthcare als vielversprechender Wachstumsmarkt. Denn für den weltweiten Transport von Medikamenten, Laborproben, Transplantaten und anderem branchenspezifischen Versandgut kommt aufgrund dessen Dringlichkeit kein anderer Verkehrsträger infrage. Außerdem hat die Branche überzeugende Lösungen für temperaturgeführte Transporte zwischen zwei und acht Grad Celsius sowie 15 und 25 Grad Celsius entwickelt, die für viele Pharmaprodukte vorgeschrieben sind. Einer der Pioniere auf diesem Gebiet ist Kühne + Nagel. Seit Herbst 2012 vermarktet das Logistikunternehmen das Luftfrachtprodukt Pharma-Chain, das mit einer Sensortechnik die Temperatur jedes Transportguts entlang der gesamten Wertschöpfungskette über alle Standorte und Schnittstellen hinweg ermittelt (siehe Kasten Seite 26). Dank dieses Produkts konnte Kühne + Nagel im vergangenen Jahr sogar entgegen dem Markttrend ein "bemerkenswertes Neugeschäft" verzeichnen, freut sich Tim Scharwath. "Die Verlader erwarten branchenbezogene Produkte, die sich vom reinen Transport von A nach B abheben", fasst er seine Erfahrungen mit Pharma-Chain zusammen. Vergleichbare Lösungen könnten auch fürs Ersatzteilgeschäft konzipiert werden. Hier tut sich Kennern der Luftfrachtbranche zufolge ein weiterer, interessanter Wachstumsmarkt auf. Das liegt vor allem daran, dass insbesondere die Automobil-, Maschinenbau- und Elektronikkonzerne in den letzten Jahren ihre Absatzzahlen deutlich erhöht haben und jetzt mehr Ersatzteile liefern müssen. Gerade hier kann die Luftfracht ihre Schnelligkeit als Alleinstellungsmerkmal ausspielen, wenn sie durchgehende Wertschöpfungsketten mit Sonderfahrten auch zu den entlegensten Zielen anbietet. "Vor allem im Businessgeschäft müssen Ersatzteile möglichst sameday oder - wenn erst am Nachmittag bestellt werden kann - overnight geliefert werden", sagt Björn Schweiger, Ersatzteillogistik-Experte vom Fraunhofer Institut für Materialfluss & Logistik (IML) in Dortmund. Die digitale Luftfrachtabwicklung scheint noch in weiter Ferne Gerade für kleinere Speditionen, die sich ohnehin nur mit maßgeschneiderten Dienstleistungen gegenüber den Integratoren und anderen Großen im Markt behaupten können, tut sich hier eine Nische auf. "Vor allem mit überdurchschnittlich schnellen Reaktionen, persönlichen Ansprechpartnern und offenen IT-Systemen sind kundenspezifische Lösungen möglich", ist Thomas Klinkhammer, Niederlassungsleiter von Emo-Trans in Düsseldorf und stellvertretender Vorsitzender des DSLV-Fachausschusses Luftfrachtspedition, überzeugt. Emo-Trans macht dies mit einer Supply Chain Management-Lösung für die Automobilindustrie vor, die über die Verladung von Luft- und Seefracht hinaus die kompletten Lieferketten überwacht und steuert. Einen Kritikpunkt gegenüber den Airlines kann sich Klinkhammer aber nicht verkneifen. Mit Ausnahme der Integratoren mit ihren geschlossenen Systemen können viele Marktteilnehmer bislang keine überzeugenden Lösungen für eine durchgehend digitalisierte Frachtabfertigung bieten, sagt er. Außerdem bestehen laut Klinkhammer die meisten Zollbehörden nach wie vor auf dem Ausdruck aller Unterlagen. "Auch namhafte Verlader übermitteln ihre Daten unverändert in Papierform", sagt Luftfrachtexperte Dieter. Ansonsten schwören Lufthansa Cargo, Emirates und andere Airlines auf ihre eigenen Lösungen, an die Speditionen jederzeit andocken können. Wohl auch deshalb kommt das Iata-Projekt E-Freight noch nicht recht voran. Seit über zehn Jahren tüfteln zwar die Fluggesellschaften, Speditionsunternehmen, Verlader und andere Marktteilnehmer an standardisierten Verfahren, die die durchschnittliche Laufzeit für Luftfracht von derzeit 6,5 Tagen auf zwei Tage verkürzen sollen. Da diese weiter auf sich warten lassen, setzen manche Speditionen zumindest elektronische Frachtbriefe ein. Ein Beispiel ist Hellmann Worldwide Logistics. Das Osnabrücker Logistikunternehmen will bis Jahresende 40 Prozent AWBs papierlos erledigen. Für Joris D'Incà, Partner der Managementberatung Oliver Wyman, können auch kleinere und mittlere Speditionsdienstleister sich mit einem solchen Vorgehen Marktvorteile verschaffen (siehe Kasten Seite 25). "Wenn Sie zwei oder drei Kunden für ein Pilotprojekt gewinnen, werden die anderen schnell mitziehen", ist D'Incà überzeugt. Das Geld für Investitionen sollte vorhanden sein: Denn der seit über zwei Jahren dauernde Sinkflug der Preise neigt sich Branchenkennern zufolge offenbar dem Ende zu. "Auch die Integratoren spüren den Preisdruck und werden nicht länger ausschließlich Masse akquirieren, sondern in hochpreisige Spezialservices investieren", gibt DSLV-Mann Dieter eine weitverbreitete Einschätzung wieder. Dabei existiert die Hauptursache für die rückläufigen Preise weiter. Gerade einmal 45,3 Prozent der weltweiten Frachtkapazitäten (2013) sind der Iata zufolge ausgelastet. Für diese hohe Zahl sorgt vor allem die florierende Passage mit ihrer Bellyfracht. Mit jedem Flugzeug, das eine Airline neu in Betrieb nimmt, und mit jeder Destination, welche sie eröffnet, bietet sie weitere Beifracht-Kapazitäten im Unterflurladeraum an "Die gute Entwicklung auf der Passage macht es den Airlines schwer, ihre Frachtangebote an die Nachfrage anzupassen", sieht auch Iata-Generalsekretär Tony Tyler vorerst keine Lösung für dieses Problem. Aus der Praxis Kühne + Nagel: Mehr Erfolg dank Branchenlösungen Das vergangene Jahr hat die Luftfrachtbranche als durchmischtes Jahr abgehakt. Der weltweite Volumenzuwachs betrug der Iata zufolge nur 1,4 Prozent, mit Ausnahme der Golfstaaten schwächelte der Außenhandel überall. Deshalb gab es auch kaum Neugeschäft.Nicht so bei Kühne + Nagel. Der Logistikkonzern steigerte seine Volumina in der Luftfracht im vergangenen Jahr sogar um vier Prozent auf 1,134 Millionen Tonnen."Mit Ausnahme von Südamerika sind alle Relationen stark gewachsen", zieht Tim Scharwath, Vice President Air Logistics, zufrieden Bilanz.Vor allem in drei Segmenten legte Kühne + Nagel zu. So entwickelte der Dienstleister für Pharmafirmen den temperaturgeführten Service Pharma-Chain. Jedes Transportgut wird produktgerecht verpackt und mittels eines Sensors Door-to-Door überwacht. Ähnlich funktioniert Engine-Chain für die Luft- und Raumfahrtindustrie. Die Kunden können Daten über Ersatzteile und andere Produkte rund um die Uhr abrufen. Zudem konzipierte Kühne + Nagel für internationale Hotelketten, die Standorte neu bauen oder renovieren, integrierte Logistikleistungen für den Umschlag von Bau- und Reparaturgeräten. Und soeben hat der Konzern ein neues "Chain-Produkt" für die Automobilbranche vorgestellt. bot

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