Branche ist in der Pflicht

Frau Reiche, Union und SPD haben im Koalitionsvertrag das Ziel bekräftigt, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen. Welche Rolle spielen Nutzfahrzeuge bei dem Plan? Am 1-Million-Ziel halten wir fest. Die Zahl ist ambitioniert, aber wir sind auf einem guten Weg. Diese positive Entwicklung wollen wir unterstützen mit einem Elektromobilitätsgesetz und mit der Förderung von Forschung und Entwicklung. Dabei haben wir nicht allein die Autos im Blick, sondern alle Verkehrsträger - neben den Nutzfahrzeugen übrigens auch Fahrräder, Schiffe und die Schienenbahn. In den Modellregionen und Schaufenstern haben wir einige Projekte für den Wirtschaftsverkehr auf den Weg gebracht. Das geht von Müllfahrzeugen in Berlin über Hubfahrzeuge am Frankfurter Flughafen bis hin zu Kleintransportern in der City-Logistik. UPS und die Deutsche Post nutzen zum Beispiel bereits sehr erfolgreich die leisen und sauberen E-Fahrzeuge. Mit unserem Elektromobilitätsgesetz wollen wir weitere Nutzeranreize setzen. Dafür werden wir Privilegien schaffen wie bevorrechtigtes Parken, die Nutzung von Busspuren oder die Aufhebung von Zufahrtsverboten - eine attraktive Maßnahme für den Wirtschaftsverkehr wie beispielsweise Kurierdienste. Ist es nicht Aufgabe der Politik, Druck zu machen? Wir werden unsere Ziele nur erreichen, wenn Industrie, Wissenschaft und Politik gemeinsam an einem Strang ziehen. Wir sind Europas wichtigster Industriestandort und Sitz technologisch führender Unternehmen. Deutschland hat also die besten Ausgangsvoraussetzungen, um dieser Technologie einen entscheidenden Impuls zu geben. Innovationen lassen sich aber nicht verordnen. Die Fahrzeuge müssen aus sich heraus überzeugen. Der Bund kann für attraktive Rahmenbedingungen sorgen. Daran arbeiten wir. Wichtige Maßnahmen wie die KFZ-Steuerbefreiung oder der Nachteilsausgleich bei der Dienstwagenbesteuerung haben wir bereits umgesetzt. Mit unserem Elektromobilitätsgesetz schaffen wir weitere wichtige Anreize für den Markthochlauf der Elektromobilität und wir unterstützen weiter Forschung und Entwicklung. Was meinen Sie konkret? Der Erwerb eines Elektroautos soll für den Besitzer mit zusätzlichen Vorteilen verbunden sein. Keine Kaufprämien, aber Maßnahmen, die die Akzeptanz für E-Fahrzeuge erhöhen. An den gesetzlichen Regelungen arbeiten wir bereits. Zunächst geht es hier um die Definition und die Kennzeichnung der zu privilegierenden Fahrzeuge und die bereits skizzierten Maßnahmen im Straßenverkehr. In einem zweiten Schritt kann das Gesetz um weitere gesetzliche Regelungen und Vorhaben - etwa in den Bereichen Beschaffung und Infrastruktur - erweitert werden. In einem dritten Schritt sollen die gesetzlichen Regeln durch Maßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung oder zum Beispiel ein KFW-Programm zur Anschaffung besonders umweltfreundlicher Fahrzeuge flankiert werden. Bei dem KFW-Programm geht es um die derzeit noch sehr hohen Batteriekosten. Im Schnitt sind Elektrofahrzeuge derzeit noch rund 10.000 Euro teurer als herkömmliche Fahrzeuge. Hat das Cargo-Bike, das Lastenfahrrad, eine Zukunft? Wir erleben gerade, wie sich Mobilität auffächert. Es gibt nicht das eine fest gefügte Transport- und Mobilitätskonzept. Lastenräder bieten im Vergleich zu motorisierten Fahrzeugen eine klima- und umweltschonende, flächensparsame und leise Möglichkeit des stadtverträglichen Gütertransports. Neue Fahrradtypen mit zwei oder drei Rädern finden wachsende Verbreitung. Das BMVI fördert aktuell eine "Untersuchung des Einsatzes von Fahrrädern im Wirtschaftsverkehr". Entscheidend für das Cargo-Bike ist die Frage, ob es einen Markt dafür gibt. Bereits vor Ihrem Amtsantritt im Bundesverkehrsministerium haben Sie sich für elektronische Assistenzsysteme bei LKW stark gemacht. Woher rührt dieses Engagement? Ich wurde vor knapp zehn Jahren in Berlin Zeugin eines dramatischen Unfalls, bei dem ein Kind von einem LKW überrollt wurde. Die Mutter musste die Tötung ihres Kindes mit ansehen. Es war furchtbar. Jetzt gibt es in Berlin die Aktion Weißes Geisterrad, die aufmerksam macht auf Orte, an denen Radfahrer ums Leben gekommen sind. Und seit meinem Amtsantritt gibt es weitere, ähnliche Unfälle in Hamburg, Berlin und auch in meiner Heimatstadt Luckenwalde. Was muss getan werden, um derartige Unfälle zu vermeiden? Das BMVI wird sich auch zukünftig dafür einsetzen, die Verkehrssicherheit weiter zu erhöhen. Dabei steht der Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer im Vordergrund. Dies kann durch eine weitere Verbesserung der Sichtbarkeit und Erkennbarkeit dieser Verkehrsteilnehmer für den LKW-Fahrer, zum Beispiel durch den Einsatz von Abbiegeassistenz-Systemen, erreicht werden. Inzwischen gibt es technische Lösungen für elektronische Assistenzsysteme. Das BMVI sorgt insbesondere auch in den internationalen Gremien wie der UN-ECE für die Zulassung moderner Technologien. Mit der Bundesanstalt für Straßenwesen arbeiten wir im Bereich der Forschung zusammen an deren Einsatzmöglichkeiten. Die Bundesanstalt für Straßenwesen wird außerdem im Sommer eine neue Studie zum toten Winkel veröffentlichen. Daran werde ich anknüpfen, denn es gilt, weitere Todesfälle zu verhindern. Mit Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans fördern wir unter anderem die Entwicklung eines Leitfadens zur Reduzierung von Abbiegeunfällen zwischen KFZ und Radfahrern. Erste Eckpunkte werden noch im Mai vorgestellt. Ich bin außerdem mit den Verbänden des Güterkraftverkehrs im Gespräch, um über den Stand der Entwicklungen zu Abbiegeassistenten informiert zu werden und Lösungsmöglichkeiten zu diskutieren. Spielt das Kostenargument eine Rolle? Die Verbände sehen das Problem. Es geht um Menschenleben. Anders als noch vor zehn Jahren gibt es heute technische Lösungen, die beschleunigt umgesetzt werden müssen. Ich denke auch an die traumatisierten LKW-Fahrer, die in solche Unfälle verwickelt werden. Die Verkehrssicherheit bei rechtsabbiegenden LKW muss rasch verbessert werden. Das ist mir sehr wichtig. Was halten Sie von Dobli- oder Trixi-Spiegeln als finanziell günstigere Alternative? Nach meiner Kenntnis bleibt bei diesen Spezialspiegeln ein toter Winkel. Das ist sicher eine Möglichkeit, das Todesrisiko von Fahrradfahrern zu minimieren. Doch sollte die finanzielle Last nicht den Kommunen aufgebürdet werden. Die Güterverkehrsbranche bleibt in der Pflicht. Die Koalition hat ein Luftverkehrskonzept angekündigt. Bedeutet dies nicht die Schließung mancher unrentabler Regionalflughäfen? Zunächst einmal: Flughäfen in Deutschland sind keine Verkehrsinfrastrukturen des Bundes, sondern privatrechtliche Unternehmen. Der Bund kann daher keine Flughäfen schließen. Bei dem angekündigten Luftverkehrskonzept geht es um den politischen Konsens, wie der Logistikstandort Deutschland in Bezug auf den Luftverkehr in optimaler Weise ausgestaltet sein sollte. Durch die Diskussion über Fluglärm ist der falsche Eindruck entstanden, ganz Deutschland würde unter Fluglärm leiden. Doch Deutschland als das wichtigste Industrieland in Europa könnte es sich nicht leisten, auf Flugverkehr zu verzichten und Logistikketten abzuschneiden. Dazu gehören an einigen Standorten auch Übernachttransporte. Ein Luftverkehrskonzept ist also dringlich? Ja. Der Bund wird sich eng mit den Ländern abstimmen. Hier wird es auch Meinungsverschiedenheiten geben. Ich erwarte spannungsgeladene Gespräche. Voraussetzung für die Erhaltung des Wohlstands ist eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur. Und schließlich müssen wir auch die Umweltverträglichkeit des Luftverkehrs berücksichtigen. Also werden Flughäfen geschlossen. Noch einmal: Es ist nicht Aufgabe des Bundes, Flughäfen zu schließen oder zu eröffnen. In Berlin würde ich allerdings gern einen Flughafen eröffnen. Frau Staatssekretärin, haben Sie sich in Ihrem neuen Amt schon eingelebt? Ich höre immer von Vorbehalten der Verkehrspolitiker gegenüber Umweltpolitikern. Mit einer anspruchsvollen Gesetzgebung etwa zum bleifreien Benzin oder zum Rußpartikelfilter haben wir einen guten Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie hinbekommen. Ich war gern in gleicher Funktion im Bundesumweltministerium. In meinem neuen Amt bearbeite ich wieder Umweltthemen wie E-Mobilität oder Lärm. Ich habe mich rasch eingearbeitet und fühle mich hier wohl. Vita Katherina Reiche Katherina Reiche wurde am 16. Juli 1973 in Luckenwalde/Brandenburg geboren. Die Diplom-Chemikerin ist seit 1996 Mitglied der CDU und kandidierte 1998 erstmals für den Bundestag, dem sie seitdem in verschiedenen Funktionen angehört. 2002 wurde sie für Familienpolitik in das "Kompetenzteam" des damaligen Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber (CSU) berufen. In der letzten Legislaturperiode war sie parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesumweltminister. Seit Dezember 2013 ist sie parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. Katherina Reiche ist verheiratet und Mutter dreier Kinder. diwi

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