Boom mit der Bahn

Im Hafen Triest geht es zu wie in einem Ameisenhaufen. Zwar sind die Ameisen gerade ziemlich träge. Aber überall gibt es sie, nur wenige Zentimeter voneinander getrennt, in Form von Aufliegern. Hunderte direkt an den Kais. Mindestens ebenso viele Trailer, zum Teil mit Zugmaschine, warten außerhalb der Kais. Auch im Containerhafen stapeln sich die Boxen. Containerumschlag steigt um 16 Prozent Dabei befindet sich an diesem sonnigen Novembertag mit der UN Pendik im Ro-Ro-Terminal der Samer Shipping nur eine einzige größere Fähre im Hafen von Triest, womit sich die Trägheit der Ameisen erklärt. Obwohl also seeseitig gerade Ebbe herrscht, wirkt es so, als sei der Hafen überflutet mit Aufliegern. Der Eindruck täuscht nicht. Nicht zuletzt aufgrund seiner Hinterlandanbindungen kann Triest beeindruckende Zahlen vorweisen: 2010 wurden in Triest 213.314 Trailer verschifft. Im vergangenen Jahr waren es 314.705, ein Plus von fast 50 Prozent. 2010 kamen zu den Aufliegern noch 281.643 TEU (20-Fuß-Container) hinzu. 2017 waren es 616.156 TEU gewesen: mehr als eine Verdoppelung. Dieser Aufschwung hält an. "2018 werden wir 720.000 TEU erreichen", zeigt sich Zeno D'Agostino, Präsident der Hafenbehörde von Triest, gegenüber der Verkehrs-Rundschau optimistisch. Also nochmals ein kräftiges Plus von über 16 Prozent. Bei den Trailern hingegen gab es in den ersten sieben Monaten 2018 mit einer Zunahme von 1,69 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine moderate Entwicklung. Gründe für das Wachstum gibt es viele. Aber: Ohne Frage sind die Hinterlandanbindungen per Bahn ein wichtiger Faktor. Entsprechend wird das Angebot ständig erweitert: "2018 werden wir auf 10.000 Züge kommen", verspricht D'Agostino. Im Jahr zuvor waren es noch 8681. Von dem Umschlagwachstum profitieren auch die ortsansässigen Unternehmen. Stefano Visintin vertritt als Präsident des Spediteursverbands Friaul-Julisch Venetien die im Hafen Triest tätigen Spediteure. Er hat Marco Gallegati mitgebracht ins Café am Piazza Unità d'Italia, im Herzen von Triest gelegen. Gallegati ist Geschäftsführer der Spedition Trimar. Beide Unternehmer - Visintin ist zugleich Inhaber der Spedition RoRo Tranship - zeigen sich sehr zufrieden mit der Entwicklung: "Wichtig für ein Wachstum bei den Speditionen sind gute Anbindungen, seeseitig wie landseitig", stimmen sie überein. Eine gute Entscheidung sei es gewesen, mehr Bahnen in den Hafen zu holen. "Der zunehmende Wettbewerb hat das Angebot deutlich erhöht", fährt Visintin fort. Gallegatis Spedition ist auf die Logistik für Kühlware spezialisiert. "Triest befindet sich im Herzen von Europa", rühmt Gallegati die geographische Lage des Hafens. Von Triest seien es nur etwas mehr als 500 Kilometer bis nach München. Auch nach Wien oder Budapest ist es nur unwesentlich weiter. Gerade Frische-Logistiker wie Trimar profitieren von der höheren Frequenz an Zugabfahrten, mit der der Hafen bedient wird. Ein Beispiel: "Vor zwei Jahren sind wir mit einem Zugpaar pro Woche nach Budapest gestartet, jetzt haben wir eines pro Tag", sagt D'Agostino. Und er erklärt, wie dieser Boom in so kurzer Zeit zustande kam. "Zumindest die Exporte liefen davor über Hamburg und jetzt über Triest." Triest kann also offenbar eine Alternative zu den Nordseehäfen sein. Selbstverständlich hat der deutsche Markt für Triest eine hohe Bedeutung. 40 Rundläufe die Woche pendeln zwischen dem Hafen und Deutschland. 1476 Züge aus und nach Deutschland zählte die Hafenbehörde alleine im ersten Halbjahr 2018 - 11,64 Prozent mehr als in den ersten sechs Monaten 2017. Neben der Rail Cargo Group ist Kombiverkehr der wichtigste Partner für Triest im Hinterlandverkehr per Bahn. Umgekehrt spielt auch Triest eine wichtige Rolle für den deutschen Operateur: "Der Hafen ist für uns eine wichtige Drehscheibe für Sendungen insbesondere von der und in die Türkei sowie von und nach Griechenland. Mehrmals täglich bieten wir Rundläufe zwischen Deutschland und Triest an", sagt Daniel Jähn, stellvertretender Leiter Produktion bei Kombiverkehr. Enormes Wachstum bei Kombiverkehr Dass Triest auch für Kombiverkehr eine Erfolgsgeschichte ist, zeigt der Blick zurück: "Kombiverkehr konnte das Sendungsaufkommen innerhalb der vergangenen fünf Jahre im Verkehr Deutschland-Türkei via Triest fast verfünffachen", sagt Jähn. Konkrete Zahlen zur erwarteten Entwicklung in den kommenden Jahren nennt Jähn nicht. Aber: "Kombiverkehr sieht die Verkehre von und nach Triest weiterhin als Wachstumsmarkt an." Vielleicht nennt Jähn auch deshalb keine Zahlen, weil nicht sicher ist, ob der Hafen eine der wichtigsten Herausforderungen bewältigt, die er hat: Wohin mit all den Mengen? "In Triest gibt es zwar viele Kais, wo Schiffe anlegen können. Aber weil der Hafen mitten in der Stadt liegt, sind direkt im Hafen Umschlag- und Lagerfläche rar", sagt Matteo Parisi, Geschäftsführer der Speditionsgruppe Francesco Parisi. Das Unternehmen betrieb lange das Terminal EMT - bis die türkische Spedition Ekol Teilhaber und schließlich Mehrheitsgesellschafter wurde. Parisi zeigt eine Antwort auf die Frage "wohin mit den Mengen?" Das Navi im Auto von Parisi zeigt unseren aktuellen Standort an: mitten im Wasser. Nun hat Parisi kein Amphibienfahrzeug. Sondern wir befinden uns auf dem Trockenen, auf einer freien Fläche, die mal in etwa so groß werden soll wie 17 Fußballfelder. "Hier, mitten im Hafen, entsteht die Piattaforma Logistica Trieste", sagt Parisi. Das Land hat der Hafen dem Mittelmeer abgetrotzt: An dem 480 Meter langen Kai sollen ab Juni 2019 RoRo-Fähren anlegen. Die maximale Umschlagkapazität des Terminals, an deren Betreibergesellschaft die Parisi Group die Mehrheit hält, beträgt 330.000 TEU jährlich. Ein Bahnterminal mit 750 Meter langen Gleisen soll für eine gute Anbindung sorgen. "Unser Business-Plan sieht vor, dass wir zunächst pro Jahr auf einen Umschlag von 50.000 TEU und 65.000 Trailer kommen", sagt Parisi. Doch nicht nur hier stehen die Zeichen auf Wachstum. Auch einige Hundert Meter weiter, im Terminal von Samer-Shipping, gibt es ehrgeizige Pläne. "Derzeit verschiffen wir 150.000 Trailer pro Jahr. Hinzu kommen 50.000 TEU und 20.000 neue Fahrzeuge", sagt Enrico Samer, CEO der Samer Group. 31 Züge fahren wöchentlich von dem Ro-Ro-Terminal ab, elf davon nach Deutschland. "Bis 2020 wollen wir die Gesamtzahl verdoppeln", lauten die ehrgeizigen Ziele von Samer. Das hat viel zu tun mit einem Eigentümerwechsel. Bis Juni 2018 waren die Samer Group (40 Prozent) und die türkische Reederei UN RoRo (60 Prozent) die Teilhaber der Betreibergesellschaft. Dann hat die dänische Reederei DFDS UN RoRo übernommen. "Das Szenario hat sich komplett gewandelt. Wir haben jetzt auch andere Regionen im Blick", ist Samer voll des Lobes. Standen bislang die Türkeiverkehre im Mittelpunkt, sind nun auch Verbindungen im gesamten Mittelmeer denkbar, vor allem zu den Häfen, die von DFDS-Fähren angelaufen werden. "Zudem will DFDS Zugverbindungen zwischen Triest und den nordeuropäischen Seehäfen einrichten, um so durchgängige Verkehre von Nordeuropa bis in die Türkei anbieten zu können", erklärt Samer. Er nennt Gent, Calais und Rotterdam als mögliche Häfen für Direktzüge. Um das Wachstum realisieren zu können, wird kräftig investiert: Zwölf Millionen Euro wurden für neue Krane zur Verladung auf die Bahn ausgegeben. Die Kräne sind seit Ende 2017 im Einsatz. Zudem hat DFDS sechs neue Fähren mit einem Fassungsvermögen von 500 Trailern bestellt. Die derzeitigen Schiffe können 300 Trailer befördern. "Die ersten zwei neuen Fähren sollen Anfang 2019 ausgeliefert werden", sagt Samer. Er guckt sich zudem im und außerhalb des Hafens nach neuen Möglichkeiten um, um die steigende Zahl an Trailern unterzubringen. Denn schon heute gibt es auf dem Terminal kaum noch Platz.Doch verfügt die Bahn über genügend Kapazitäten? Hier kommt wieder D'Agostino ins Spiel. "Bei den Trassen über die Alpen haben wir keine Probleme", sagt der Hafen-Chef. Denn die Züge nutzen nicht die überfüllte Brenner-Route, sondern fahren weiter östlich über Tarvisio, wo es laut D'Agostino genügend Trassen gibt. Nicht so positiv sieht es im Hafen aus. Auf 12.300 Züge bezifferte D'Agostino die derzeitigen Kapazitäten im Hafen. Wird in diesem Jahr die 10.000er-Marke erreicht, ist nicht mehr so viel Luft nach oben. Doch mit zahlreichen Investitionsmaßnahmen - darunter die Piattaforma Logistica - soll schon 2019 die Obergrenze auf 17.000 Züge angehoben werden. Jahr für Jahr geht es weiter, bis sich 2023 mit 25.000 Zügen die Kapazität des Jahres 2018 verdoppelt hat, so die ehrgeizigen Pläne. Kommen die Chinesen nach Triest? Fast ist man angesichts dieser Kapazitätssprünge versucht, von einer märchenhaften Entwicklung zu sprechen. "Es gibt Investoren, die Interesse zeigen, uns bei der Erweiterung der Containerterminalkapazitäten zu unterstützen", sagt D'Agostino. Ob es die Chinesen sind oder eine Reederei, dazu hüllt er sich in Schweigen. Nur so viel: "Im nächsten Jahr werden wir sicher etwas verkünden können über dieses große Investment im Hafen." Es bleibt spannend in Triest und es tut sich offenbar noch einiges. Bewegung, die notwendig ist, damit sich die Trailer direkt am Hafen nicht gegenseitig blockieren. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Seehäfen www.verkehrsrundschau.de/dossiers Trieste Marine Terminal TMT Die Bahn holt im Vergleich zum Lkw immer mehr aufFabrizio Zerbini öffnet die Tür zum Flachdach des Terminalgebäudes vom Trieste Marine Terminal TMT. Dort hat man nicht nur einen grandiosen Ausblick auf den Hafen, sondern auch auf das Terminalgelände: 400.000 Quadratmeter Stapelfläche, 770 Meter lange Liegeplätze mit sieben großen Kai-Kränen und 3000 Meter Bahngleise innerhalb des Terminals.Die Entwicklung des Containerterminals ist wie im gesamten Hafen positiv. 2005 wurde 201.000 TEU (20-Fuß-Container) umgeschlagen, 2010 waren es 280.000."In diesem Jahr sollen es 620.000 TEU werden", sagt Zerbini. Zwei Reederei-Allianzen steuern Triest regelmäßig an: 2M mit Maersk und MSC (MSC ist auch zu 40 Prozent an dem Terminal beteiligt) sowie die Ocean Alliance mit den Reedereien CMA CGM, Cosco, Evergreen und OOCL.Der Hinterlandverkehr per Bahn gewinnt im TMT immer mehr an Bedeutung. Betrug der Anteil des Lkw 2015 noch 69,5 Prozent und der der Bahn 30,5 Prozent, rechnet Zerbini 2018 mit einem ausgeglichenen Verhältnis von 50:50. So hat MSC erst Mitte November eine neue Verbindung aufgesetzt zwischen Triest und Giengen mit zwei Rundläufen die Woche. cd