Bitte loslassen!

Für Christoph Dallmann, geschäftsführender Gesellschafter der A.L.S. Allgemeine Land- und Seespedition im südwestfälischen Arnsberg, ist klar: Sein Unternehmen, das er vor 29 Jahren mit Helmut Schulte gegründet hat, möchte er so übergeben, dass seine 25 Mitarbeiter eine Zukunft bei A.L.S. haben. Frühzeitig junge Leute einbinden "Ich bin jetzt 54 Jahre alt. Das ist das richtige Alter, um das Thema Nachfolge anzugehen", erklärt der Mittelständler. Die ersten Weichen hat er dafür schon gestellt - und hat dabei drei Personen im Blick. Zum einen Tobias Rahmann. Er hatte bei A.L.S. vor seiner dualen Ausbildung in einem heimischen Wirtschaftsbetrieb regelmäßig Ferienarbeit gemacht. Dahlmann entdeckte in dem jungen Mann schnell das große Interesse an Logistikprozessen, sodass er ihn direkt nach Studienabschluss als Mitarbeiter gewinnen konnte. Heute, mit 34 Jahren, ist Rahmann Vertriebs- und Controlling-Leiter und hält einige Prozente Anteile an der Spedition. "Als mein Kollege, mit dem ich unsere Firma gegründet und geführt habe, vor 12 Jahren plötzlich verstarb, sah ich die Notwendigkeit, langfristig nach vorne zu denken und junge Leute für die Zukunft perspektivisch zu binden", begründet Dahlmann die frühe Entscheidung. Parallel führt der Unternehmer seinen Dispositionsleiter Björn Stein (40) in einem Fünfjahresplan sukzessive an Führungsaufgaben heran. Am meisten freut den Unternehmer, dass auch seine 24-jährige Tochter Christina Millentrup die Spedition weiterführen will. Nach einer Ausbildung studiert sie aktuell noch berufsbegleitend Logistik und Handel. Sie wird bei ihm ebenfalls einsteigen und soll später als Personal- und Marketing-Verantwortliche, so der Plan, die Geschäfte mit Rahmann und Stein von A.L.S führen, wenn ihr Vater in etwa fünf Jahren aus dem operativen Teil ausscheiden möchte. Aber schon jetzt verteilt Dahlmann Verantwortung und hat Rahmann und Stein Prokura erteilt. Aus bestimmten Aufgaben will er sich in einigen Jahren mehr und mehr zurückziehen. "Das speditionelle Geschäft machen die jungen Leute. Ich kümmere mich um das, was weniger Spaß macht: die Zahlen, Buchhaltung oder auch die neue EU-Datenschutzgrundverordnung", sagt er und lacht. Angst, loszulassen, hat er nicht. "Man muss sich da auch locker machen", formuliert er es. "Mag sein, dass sie manche Dinge anders angehen als ich. Das ist auch gut so." Jetzt ist Dahlmann vor allem froh, dass alles gut geordnet ist. "Für unsere Mitarbeiter und Kunden war und ist mir das sehr, sehr wichtig." Externe Nachfolger rücken in den Fokus So viel Weitblick haben nicht alle Firmenchefs. Im Gegenteil: "Den meisten ist gar nicht bewusst, wie wichtig es ist, sich frühzeitig mit dem Thema Nachfolge auseinanderzusetzen, weil ihr eigenes Unternehmen ihr Lebenswerk ist", beobachtet Dirk Engelhardt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). "Stattdessen schieben viele das Thema weit nach hinten und kümmern sich zu spät darum." Gerade im Hinblick darauf, dass heute schon bundesweit in allen Wirtschaftsbereichen 1,4 Millionen Inhaber von kleinen und mittleren Betrieben über 55 Jahre alt sind, wie Zahlen von KfW-Research zeigen (siehe auch Grafik Seite 18), ist dieses Aufschieben "sehr gefährlich", warnt Engelhardt. Gerade weil viele Kinder kein Interesse daran hätten, die Firma ihres Vaters zu übernehmen. Zumal in den nächsten Jahren sehr viele Übergaben anstehen. Den Seniorchefs bleibt da nur die Option eines externen Nachfolgers. Und bei qualifizierten Führungskräften zu punkten, an die man das Unternehmen übergeben kann, tut sich laut dem BGL-Hauptgeschäftsführer das Transportgewerbe besonders schwer. Engelhardt: "Auf unsere Branche rollt der nächste Personalengpass zu, weil sie oft nicht das gute Standing hat wie manche andere." "Gute Speditionsleiter, die das Potenzial und Lust haben, Seniorchefs nachzufolgen, sind derzeit absolute Mangelware", beobachtet auch Matthias Berendt, Geschäftsführer von SVG Consult in Bremen. Es gäbe zwar genügend Betriebswirte und Juristen. "Wer aber familiärbedingt oder durch seine vorherige Ausbildung das speditionelle Geschäft nicht kennt, strebt nicht in die Transportbranche." Mit Mitte 50 ist Nachfolge ein Thema Ein hausgemachtes Problem sei aber, dass viele Transporteure und Spediteure meinen, nur der passe, der das speditionelle Geschäft von der Pike auf gelernt hat. "Diese Annahme ist falsch", sagt Berendt. Zumindest dann, wenn der Spediteur sein Unternehmen nur noch lenke und die Mitarbeiter das operative Geschäft wie Disposition und Lagerhaltung abwickeln. "In solchen Fällen kann auch ein branchenfremder Betriebswirt oder Jurist die Firma führen", ist sich der Berater sicher "Schwieriger wird es nur - und das ist in den meisten Betrieben so -, wenn diese Trennung zwischen Geschäftsführungs- und speditionellen Aufgaben nicht erfolgt ist." "Im Grunde genommen sollte ein Firmenchef das Thema Nachfolge also spätestens mit Mitte 50 angehen", weiß Berendt aus seiner Beratungserfahrung. Denn die Nachfolgeplanung braucht Zeit. "Fünf Jahre Minimum sollte man dafür veranschlagen." Ansonsten ist es zu spät. Er kenne eine Spedition, erzählt der Berater, die von einem über 80-jährigen Unternehmer und seinem Sohn geführt werde, der inzwischen selbst das Rentenalter erreicht hat. Und der Senior könne einfach nicht loslassen. "Er wird wohl bis zu seinem letzten Atemzug im Unternehmen bleiben. Und mit ihm stirbt dann auch die Firma." Die entscheidenden Fragen, die sich Seniorchefs frühzeitig stellen sollten, lauten: Wohin soll sich ihren Vorstellungen zufolge ihr Unternehmen in Zukunft entwickeln? Soll es für den eigenen Nachwuchs erhalten bleiben oder soll es einer externen Führungskraft oder einer Familienstiftung übergeben werden? Oder aber strebt man den Verkauf, möglicherweise gar die Schließung an? "Lassen Sie sich da von einem externen Berater beraten: betriebswirtschaftlich, rechtlich und steuerrechtlich - ganz abgesehen von den familienbedingten Themen", empfiehlt Berendt. "Als Firmeneigner ist man selbst emotional zu befangen." Ziel müsse die gemeinsame Erarbeitung eines Plan B für den Fall der Fälle sein, der in der Schublade immer parat liegt und den die wichtigsten Mitarbeiter und Geschäftspartner wie Banken und Steuerberater des Unternehmers kennen. "Ansonsten wird das Ganze eine Notfalllösung", warnt er. Und dies sei die schlechteste Option: "Denn die verunsichert die Mitarbeiter und Kunden. Im Extremfall sogar so, dass sie abspringen. Dann verliert der Unternehmer alles - sein Lebenswerk und sogar seine Altersrente, die er eigentlich dadurch sichern wollte", warnt Berendt. Einen Fall, in dem dies fast passiert wäre, kennt Josef Perisa, Vorstand der Speditionskooperation Transcoop09. Erst mit über 70 Jahren sei dem Seniorchef eines Güterverkehrsunternehmens mit 65 Mitarbeitern bewusst geworden, erzählt Perisa, dass er das Unternehmen verkaufen musste, weil es keinen Nachfolger gab. "Da war es natürlich zu spät. Auf die Schnelle fand sich da keiner, auch weil es zu wenige Unternehmenswerte gab." Der Fuhrpark sei zwar regelmäßig modernisiert worden. Gebrauchte Fahrzeuge will aber keiner. "Potenzielle Käufer sind nur an den Kundenkontakten interessiert", so der Transcoop09-Vorstand. Da es im Transportgeschäft aber nur selten langfristige Verträge gibt, sind solche Betriebe wenig attraktiv. "Das Interessanteste ist für Käufer derzeit die Belegschaft. Im Grunde kaufen sie die Lkw-Fahrer", verrät Perisa. Kooperation entsendet Mitarbeiter Als Partner der Transcoop09 wandte sich der besagte Mittelständler schließlich an Perisa. Derzeit führt ein Mitarbeiter der Transcoop09 interimsweise seine Geschäfte und sorgt dafür, dass das Unternehmen betriebswirtschaftlich sauber arbeitet. Dann versucht er es zu veräußern. Andernfalls will Transcoop09 das Unternehmen, auch zum Flächenerhalt des eigenen Netzes, in ein anderes integrieren. "Solche Konstellationen werden in den kommenden Jahren viel stärker auf unsere Kooperation, ja auf die gesamte Transportbranche zukommen", ist Perisa überzeugt. Fehlt in Unternehmen ein Nachfolger, will Transcoop09 seinen Mitgliedsfirmen fachlich und mit Manpower unter die Arme greifen. "Wir wollen den Betrieb erhalten. Das ist ein Beratungsservice, den wir für unsere Mitglieder entwickelt haben." So sei allen Seiten geholfen - dem Senior, dem Mittelstandsnetz, vielleicht sogar dem Junior eines anderen Partnerbetriebs von Transcoop09, dessen elterliche Firma zum Überleben zu klein ist. Will die Tochter, will der Sohn das Unternehmen überhaupt übernehmen? Das sei in erster Instanz die alles entscheidende Frage, die sich ein Seniorchef stellen müsse. Darauf verweist auch Rainer Metschke, Partner der Anwaltskanzlei Röhrich & Metschke in Crailsheim und Schwäbisch Hall (siehe Tipps Seite 18). Stattdessen würden viele Seniorchefs dies von ihrem Nachwuchs erwarten, ohne mit ihm darüber gesprochen zu haben. "Das ist der größte Fehler überhaupt", warnt er. Sinnvoller sei es, dem Nachwuchs erst die Möglichkeit zu geben, Erfahrungen in anderen Unternehmen zu sammeln - Stichwort Autoritätszuwachs -, um dann mit ihm abzuklären, ob für ihn die Nachfolge infrage kommt. Akzeptanz in der Belegschaft wichtig "Die Unternehmensübergabe muss deshalb frühzeitig geplant werden. Der Plan B in der Schublade muss immer da sein", betont Metschke. Im besten Fall habe ein Seniorchef mehrere Pfeile im Köcher, etwa mehrere potenzielle Nachfolger - aus der Familie, dem eigenen Betrieb oder von Extern. Vor allem muss ein Unternehmer mit diesem Thema offen umgehen. "Es bringt nichts, wenn sich der Senior die Fähigkeiten seines Juniors schönredet, wenn dieser nicht dazu gemacht ist." Außerdem sollten der Seniorchef und der Junior laut dem Juristen feste Spielregeln für die Übergabe definieren. "Beide müssen sich auf Augenhöhe begegnen. Gerade, wenn der eigene Nachwuchs den Vater beerben soll", weiß Metschke aus Erfahrung. Das größte Konfliktpotenzial berge die Belegschaft. Wenn die Mitarbeiter die Autorität des Nachfolgers nicht akzeptieren, wird es schwierig. "Daran scheitern viele Unternehmensnachfolgen." Sein Rat: Um solche Konflikte im Vorfeld zu vermeiden, muss der Senior abgeben, seinem Junior Autorität zubilligen. Macht er das nicht und regiert in seiner Firma noch mit, wird es für seinen Nachfolger und damit auch für den künftigen Geschäftserfolg des Unternehmens im Extremfall so schwierig, dass es keine Zukunft mehr im Markt hat. Und wohin führt diese ungelöste Nachfolgeproblematik? Wie verändert sich der Markt, wenn jetzt tatsächlich in den kommenden Jahren viele tausende KMU ausscheiden, wie BGL-Hauptgeschäftsführer Engelhardt befürchtet? Verstärkt dies den Konsolidierungsprozess weiter? "Wir werden sicher mehr Mittelstands-AGs vorfinden", wagt Perisa eine vorsichtige Prognose. "Immer mehr mittelständische Betriebe werden unter dem Dach einer AG - vielleicht sogar mit konzernähnlichen Strukturen - angesiedelt sein, die von einem Vorstand geführt werden." Umso wichtiger sei es, unterstreicht er, dass die Mittelständler solcher Netze stärker an Standards arbeiten. Zum Beispiel an gemeinsamen IT-Standards, um eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit zu ermöglichen. Transcoop09 versucht das über digitale Plattformen im Zusammenspiel mit allen Geschäftspartnern, den Frachtführern und den Auftraggebern. Der Wandel in der Transportbranche ist also längst nicht abgeschlossen. Mehr zum Thema im Dossier Unternehmensführung www.verkehrsrundschau.de/dossiers Die Serie So gelingt die Firmenübergabe- Teil 1: Warum Logistikdienstleister die Weichen für die Übergabe frühzeitig stellen müssen- Teil 2: Die vorbildliche Übergabe von Michael Kubenz, Kube & Kubenz, an seinen Sohn Konstantin- Teil 3: Welche Fördermittel es gibt, um die Nachfolge sauber zu lösen- Teil 4: Familienstiftung, Verkauf oder Schließung - welche Option sich mangels Nachfolger am besten eignet Tipps für Seniorchefs Die Weichen für die Übergabe richtig stellenWas Seniorchefs für die Nachfolge vorab klären sollten, um auf der sicheren Seite zu sein, sagt Rainer Metschke, Partner der Anwaltskanzlei Röhrich & Metschke in Crailsheim.- Klären Sie frühzeitig ab, wer Ihnen wann nachfolgen soll: der eigene Nachwuchs, ein Mitarbeiter Ihres Unternehmens oder ein externer Nachfolger?- Entwickeln Sie Szenarien, wohin sich Ihr Unternehmen betriebswirtschaftlich in den Jahren nach Ihrer Übergabe entwickeln soll. So beugen Sie unter anderem dem Risiko vor, dass in Ihrer aktiven Zeit noch hohe Verbindlichkeiten entstehen, die Ihr Nachfolger dann schultern muss und die den Bestand Ihrer Firma gefährden.- Welche Übergabeoption präferieren Sie? Es gibt hier über 50 unterschiedliche Modelle, die aus rechtlicher und steuerrechtlicher Sicht jeweils Vor- und Nachteile haben - sowohl für den Senior als auch für den Nachfolger und das Unternehmen. Die bekanntesten Optionen sind die klassische Unternehmens-Nachfolge an den Sohn/die Tochter, der Unternehmens-Verkauf an Dritte gegen Einmalzahlung, gegen wiederkehrende Zahlung (wie Rente) und die Betriebsverpachtung. Die pauschale beste Lösung gibt es nicht. Versuchen Sie, möglichst die schenkungssteuerlichen Vergünstigungen zu nutzen. Letztlich muss das jedes Unternehmen aber individuell für sich klären - idealerweise mit Unterstützung durch einen externen Fachanwalt, Steuerberater und/oder Unternehmensberater.- Gestalten Sie die Verträge mit Ihrem Nachfolger nicht zu eng. Lassen Sie ihm Spielraum für eigene Entwicklungen. Schränken Sie ihn in seiner Geschäftsführung nicht zu sehr ein. Er sichert Ihnen die Rente.- Sollten Sie in Erwägung ziehen, einen externen Experten zum Nachfolger zu bestimmen, sollten Sie mit allen Kandidaten über alle Gespräche Stillschweigen vertraglich vereinbaren - Stichwort Unternehmensspionage.- Klären Sie vor der Betriebsübergabe alle haftungsrelevanten Fragen und Aspekte ab. Ansonsten haften Sie schlimmstenfalls selbst nach Ihrem Ausscheiden für Themen und Entscheidungen Ihrer aktiven Unternehmensführungszeit. Stichworte sind hier Altlasten, Umweltthemen, alte Verbindlichkeiten. Solche Themen lassen sich rein rechtlich gesehen über Zusagen oder Garantien lösen oder auch mit zugesicherten Eigenschaften. ehRainer Metschke, Partner der Anwaltskanzlei Röhrich & Metschke

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