„Bis zum Ende unseres Berufslebens“

Interview „Bis zum Ende unseres Berufslebens“ Warum grüne Logistik ein Dauertrend bleibt. Was Ver-lader von ihren Logistikdienstleistern erwarten. Und weshalb die Bahn nicht alle Umweltprobleme lösen kann, verrät Professor Uwe Clausen im Interview mit der VerkehrsRundschau. Sie beginnen in diesen Tagen mit neuen, umfangreichen Forschungen im Bereich grüner Logistik. Interessiert die Unternehmen dieses Thema überhaupt noch? Uwe Clausen: Ja, auf jeden Fall. Grüne Logistik und vor allem der Bereich CO2-Emissionen ist kein kurzfristiges Hype-Thema – auch wenn der Klimaschutz nach der ernüchternden Kopenhagen-Konferenz in der öffentlichen Wahrnehmung etwas zurückgegangen ist und die dramatische Wirtschafts- und Finanzkrise das Handeln in den Betrieben dominierte. Aber nach wie vor wollen immer mehr Unternehmen verstehen, wie sich die CO2-Emissionen ihrer Produkte und Dienstleistungen zusammensetzen und wie man diese reduzieren kann. Das Thema Klimaschutz wird uns bis zum Ende unseres persönlichen Berufslebens begleiten. Welche Anforderungen haben die Verlader derzeit an die Logistikunternehmen zum Thema grüne Logistik? Die Auftraggeber wünschen sich von ihren Logistikunternehmen in erster Linie Auskunftsfähigkeit zu den Umweltwirkungen ihrer Dienstleistungen und im zweiten Schritt, auf Basis dieses Wissens, Ideen und Lösungen, die die Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren. Sind die Logistikdienstleister dazu in der Lage? Es gibt einige Vorreiter – insbesondere bei den Logistikkonzernen. Vielen kleinen und mittelständischen Betrieben fehlen oft noch die Instrumentarien, um Anfragen, zum Beispiel im Bereich Treibhausgase, umfassend beantworten zu können. Werden denn solche Anfragen der Verlader noch zunehmen? Das wird sicher mehr werden. Noch stehen Umweltauskünfte nicht im Mittelpunkt der Anfragen. Es dominieren Preis und Leistung. Das wird auch in Zukunft so sein. Aber für den Bereich Umwelt und Treib-hausgase wird es Mindeststandards geben, die Auftragnehmer zu erfüllen haben. Und dazu werden Auskunfts- und Innovationsfähigkeit gehören. Bleiben wir beim Thema CO2. Wird der Staat hier die Umweltgesetzgebung weiter verschärfen? Kurzfristig sehe ich keine weiteren Restriktionen – mittel- und langfristig schon. Denn die Treibhausgasemissionen nehmen vor allem durch das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern weltweit weiter rasant zu. Um der Erderwärmung entgegenzuwirken, muss es zu einer Reduzierung dieser Emissionen kommen. Damit wird CO2 immer wieder auf der Agenda der Weltpolitik landen und am Ende wird dies zu weiteren Reduktionszielen führen. Um diese zu erreichen, werden ökonomische Anreizsysteme installiert werden, um den CO2-Ausstoß zu minimieren. Also eines Tages auch ein Emissionshandel für den LKW-Verkehr? Sehr langfristig gesehen kann ich mir das vorstellen. Aber frühestens ab dem Jahr 2020. Dazu müsste es aber zu einem weltweit geschlossenen System kommen. Wie schwierig dies ist, zeigen die Verhandlungen im Luft- und Seeverkehr. Sie starten in diesen Tagen ihr Forschungsprojekt „Green Logistics“ mit einem Finanzierungsvolumen von 6,6 Millionen Euro. Ist es damit das größte Projekt dieser Art? Mir ist kein größeres bekannt. Entscheidend ist aber nicht nur der Betrag. In diesem Forschungsvorhaben werden wir erstmals bei der Erfassung und Vermeidung von Umweltemissionen die Bereiche Transportlogistik, Intralogistik und Logistikimmobilien zusammenführen. Wir betrachten die gesamte Logistikkette. Welches Ziel hat diese Forschung? Das große Ziel unseres gesamten Cluster-Forschungsprojektes, in das, inklusive eines neuen Campusgebäudes, rund 100 Millionen Euro von Bund, Land und Unternehmen investiert werden, lautet: „Die Logistik von morgen wollen wir – in all ihrer Individualität – mit 75 Prozent der Ressourcen von heute möglich machen.“ Das Ziel des Verbundvorhabens „Green Logistics“ lautet: „Transparenz und Vergleichbarkeit von logistischen Systemen in Hinblick auf ihre Ökoeffizienz.“ Was heißt das konkret? Wir wollen für die Umweltwirkungen aus Transport, Intralogistik und Logistikimmobilien Messverfahren standardisieren. So müssen zum Beispiel die Aussagen über Treibhausgasemissionen vergleichbar und belastbar werden. Hier existieren immer noch unterschiedliche Systemgrenzen und Methoden. Für welche Umweltindikatoren wollen Sie Messverfahren und Standards entwickeln? Vor allem für Treibhausgasemissionen, Schadstoffe und Lärm. Es existieren eine Reihe von Standards. Wollen Sie hier alles neu erfinden? Wir wollen einen Modulbaukasten für die Ermittlung der Ökoindikatoren in der Logistik erstellen, und das im Konsens mit den Unternehmen und der Politik. In diesem Zusammenhang werden wir uns auch bestehende Normen und Werkzeuge anschauen. Was wir aber nicht wollen, weil es auch nicht ausreicht, sind reine Durchschnittsberechnungen. Wir müssen die Firmen in die Lage versetzen, realistische Kennzahlen für einzelne Logistikprozesse zu ermitteln. Nur dann können Unternehmen die richtige Entscheidung treffen, welcher Prozess eine höhere Ökoeffizienz aufweist. Ein weiterer Aspekt ist, dass es nicht zu einer Ökobürokratie kommt. Das heißt, der Aufwand für die Messungen muss wirtschaftlich sein. Wann kann man mit Ergebnissen rechnen? Wir wollen jedes Jahr Teilergebnisse vorstellen. Das Gesamtcluster ist auf fünf Jahre angesetzt. So viel Zeit werden wir auch für unsere Forschungen benötigen. Sie haben auch die Idee eines Ökozertifikats ins Spiel gebracht. Was hat es damit auf sich? So ein Zertifikat steht ganz am Ende des Forschungsprojektes. Dieses Zertifikat könnte dem Unternehmen bescheinigen, dass es von Wissenschaft und Unternehmen anerkannte und vergleichbare Messmethoden verwendet. Wie ein solches Zertifikat im Detail aussieht, können wir erst in ein paar Jahren sagen. Thema Schienenverkehr. Ist die Güterbahn per se umweltfreundlicher als der LKW? Die Bahn ist sicherlich nicht in jedem Transportfall umweltfreundlicher. Aber die Bahn ist bei guter Auslastung und geeigneten Mengen aufgrund der physikalischen Gegebenheiten ökoeffizienter als der LKW. Die Bahn ist damit in vielen Fällen umweltfreundlicher, wenn die Einsatzszenarien passen. Macht es also Sinn, mehr Güter von der Straße auf die Bahn zu verlagern? Ja, es existieren sicherlich noch einige Fälle, wo eine Verlagerung sowohl ökologisch als auch ökonomisch Sinn macht. Das Umweltbundesamt sagt, dass sich die Transportleistung des Schienengüterverkehrs bis 2030 auf 213 Millionen Tonnenkilometer verdoppeln ließe. Machbar? Ich denke schon, dass sich der Anteil erhöhen lässt. Eine Verdopplung halte ich aber für unrealistisch. In vielen Fällen werden Güter in Deutschland heute innerhalb von 24 Stunden an ihr Ziel transportiert. Die wenigsten dieser Güter lassen sich im Nachtsprung per Bahn innerhalb der Logistiknetzwerke transportieren. Das logistische System Schiene passt nur für bestimmte Güter und Entfernungen. Deshalb lässt sich eine Verdopplung in dem genannten Zeitraum vermutlich nicht erreichen. Welches Wachstum für die Güterbahn halten Sie für machbar? Ich halte 140 bis 160 Milliarden Tonnenkilometer bei den jetzigen Investitionsplanungen für realistisch. Wachstum sehe ich vor allem im Seehafenhinterlandverkehr. Und wenn der Staat mehr in die Schieneninfrastruktur investiert, so wie das UBA vorschlägt? Aufgrund der langen Vorlaufzeiten würden sich solche Investitionen frühestens in 10 bis 15 Jahren bemerkbar machen. Aufgrund der Finanzsituation des Bundes ist hier mit einer großen Steigerung auch nicht zu rechnen. Die Verlagerungseffekte sind zwar noch nicht ausgeschöpft und gewisse Investitionen machen Sinn, aber systembedingt führen selbst größere Investitionen irgendwann zu keinem weiteren signifikanten Ansteigen der Verkehrsleistung auf der Schiene. Wie in vielen anderen Bereichen existiert auch hier ein abnehmender Grenz-nutzen. Das heißt aber auch, dass der Hauptteil des Güterverkehrswachstums von der Straße geschultert werden muss? Ja, damit ist zu rechnen. Einen Sprung könnte es bei der Bahn nur geben, wenn es wirklich zu einer Europäisierung des Schienengüterverkehrs kommen würde mit deutlich verbesserten Rahmenbedingungen etwa in Frankreich und Osteuropa. Bringen denn hier die geplanten Lang-LKW mehr Ökoeffizienz? Man sollte diese Feldversuche mit praktischer und wissenschaftlicher Neugier begleiten. Ich glaube aber, dass die Vorteile der Lang-LKW von den Befürwortern teilweise überschätzt werden. So wird beispielsweise das eineinhalbfache Volumen der Lang-LKW aufgrund der Güterarten nicht immer genutzt werden können. Es lassen sich sicherlich ein paar Prozent der Fahrten einsparen. Wie viel das genau sein wird, muss noch berechnet werden. ❙❚■ Andre Kranke Clausen will Standards für die Ermittlung von Treibhausgasemissionen in der Logistik formen Professor Uwe Clausen vom Fraunhofer IML in Dortmund Vita Professor Uwe Clausen Professor Uwe Clausen ist seit 2001 Inhaber des Lehrstuhls Verkehrssysteme und -logistik der Universität Dortmund und Mitglied der Institutsleitung des Fraunhofer Instituts für Materialfluss und Logistik (IML). Zuvor leitete der promovierte Ingenieur und Diplom-Informatiker die Logistik beim Internethändler Amazon, wo er für Deutschland, Großbritannien und Frankreich verantwortlich war. Von August 1995 bis Juni 1999 arbeitete Clausen bei der Deutschen Post AG, zunächst als Projektleiter Logistik für den Aufbau des europaweiten Paketgeschäftes, daran anschließend ab Anfang 1997 als Geschäftsführer der österreichischen Post-Tochter IPP Paketbeförderung GmbH. Uwe Clausen wurde am 28. Dezember 1964 in Düsseldorf geboren. ak Professor Uwe Clausen leitet Europas größtes Forschungsvorhaben im Bereich grüne Logistik UNTERNEHMEN Fraunhofer IML Das Fraunhofer Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund gehört seit fast drei Jahrzehnten zu den wichtigsten Einrichtungen für angewandte Logistikforschung in Deutschland. Schwerpunktmäßig befassen sich die über 200 Mitarbeiter mit den drei Bereichen Materialfluss-Systeme, Unternehmenslogistik sowie Logistik, Verkehr und Umwelt. Mit einem Fördervolumen von rund einhundert Millionen Euro hat das Fraunhofer IML vor wenigen Wochen Europas größtes Logistikforschungsvorhaben gestartet. Davon entfallen 6,6 Millionen Euro auf das Thema „Green Logistics“. ak Interview Interview

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