Automobillogistik

Automobillogistik Das große Miteinander Ob Daimler und Renault oder BMW und Toyota – immer mehr Automobilhersteller schließen Allianzen. Was sich dadurch in der Automobillogistik ändert. Jetzt, im neuen Jahr, ist es soweit: Im französischen Hambach rollt der neue Smart vom Band. Besonders interessant am neuen Modell ist vor allem das Innenleben, denn der Kleinstwagen hat nicht nur deutsche Gene, sondern auch französische: Der neue Smart ist eine Koproduktion von Daimler und Renault. Die Hersteller haben eine gemeinsame Fahrzeugplattform entwickelt, die sowohl beim Smart als auch bei der neuen Generation des Twingo zum Einsatz kommt. Außerdem liefern die Franzosen den Dreizylinder-Motor, der in beiden Modellen zum Einsatz kommt. Die Strategien der Hersteller Daimler und Renault – das ist ein denkbar ungleiches Paar: Auf der einen Seite der Premiumriese mit seiner S-Klasse für 152.000 Euro, auf der anderen Seite der Kleinwagenspezialist, dessen Billigtochter Dacia Wagen für 7000 Euro unter die Leute bringt. Doch ist es beileibe nicht die einzige Allianz, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. BMW zum Beispiel kooperiert mit Toyota beim Bau von Elektrofahrzeugen und liefert den Japanern im Gegenzug Dieselaggregate, GM und Peugeot machen in Europa gemeinsame Sache, Fiat und Chrysler arbeiten schon länger zusammen. „Es gibt keine Tabus mehr“, diese Devise gab Renault-Chef Carlos Ghosn erst kürzlich in einer Pressekonferenz aus. Die Frage ist: Welche Auswirkungen hat das große Miteinander auf Produktion und Logistik? Dass unterschiedliche Hersteller gemeinsame Sache machen, ist grundsätzlich kein neues Phänomen. Motoren für eigene Modelle bei anderen Konzernen einzukaufen gehört zum Beispiel schon lange zur Praxis in der Industrie. Dass die Zusammenarbeit jetzt ausgeweitet wird, liegt an der weiter zunehmenden Komplexität im Automobilbau. „Durch wachsende Modellvielfalt, Hybridantriebe und neue Materialien wie Karbonfaser steigt die Zahl der Varianten nochmals an“, erklärt Sven Rutkowsky, Automobil- und Supply-Chain-Experte bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney, Düsseldorf. Die Strategie der OEMs (Original Equipment Manufacturers, die Hersteller) liege darin, dort, wo es der Kunde nicht sieht, gleiche Teile wie die ehemalige Konkurrenz zu verwenden und so Mengeneffekte zu nutzen. Branchenkenner bestätigen diese Einschätzung: „Eine enge Kooperation der OEMs bietet die Chance, Prozesse zu standardisieren – begonnen bei EDI-Nachrichten bis hin zu Spezifikationen und sogar Gleichteilen. Damit kann Variantenvielfalt und Komplexität reduziert werden“, sagt John Sobeck, Leiter Supply Chain Management im ZF-Konzern. Logistik wird zusammengelegt Dass sich sogar völlig unterschiedliche Hersteller zusammentun, hat aber noch einen anderen Grund: Das Geschäft auf den Heimatmärkten läuft nicht gut. 2012 war das schlechteste Autojahr seit 1995, die Zahl der Neuanmeldungen liegt in vielen europäischen Ländern auf einem Rekordtief. Viele Werke fahren nur mit halber Kraft. „Deshalb versuchen die OEMs, über Allianzen die vorhandenen Kapazitäten besser auszulasten“, erklärt Professor Klaus Schmidt vom Institut für Produktions- und Logistiksysteme (IPL), Saarbrücken. Was ändert sich durch das neue Miteinander für Logistikdienstleister? Um diese Frage zu beantworten, hilft ein Blick auf die aktuelle Situation: Viele Hersteller sind momentan dabei, die Versorgungslogistik ihrer Werke zu zentralisieren. Bisher disponieren die einzelnen Standorte oft noch eigenständig, was dazu führt, dass Transportkapazitäten nicht immer optimal ausgelastet werden. „Alle versuchen, Warenströme stärker zusammenzufassen“, beobachtet Branchenkenner Schmidt. Ein Beispiel: Die LKW-Sparte von Daimler hat in Wörth unlängst ein Konsolidierungszentrum für den weltweiten Umschlag von Teilen eingerichtet und weiterentwickelt (Baukosten: 10,4 Millionen Euro). „Auch im PKW-Bereich greift diese Idee“, so Schmidt. Die nächste Ausbaustufe ist klar: Nachdem die Werke ihre Logistik zusammengelegt haben und die internen Einsparungen gehoben sind, geht es über Herstellergrenzen hinaus weiter. OEMs werden ihre Warenströme bündeln und Transporte gemeinsam optimieren. Wie das geht, zeigt der Fall Peugeot/PSA und Opel: Die Firmen hatten Anfang 2012 eine Allianz beschlossen, in deren Rahmen sich die Amerikaner mit sieben Prozent bei den Franzosen eingekauft haben. Als eine der ersten Maßnahmen hat GM seine gesamte europäische Logistik der PSA-Tochter Gefco übertragen. Der Konzern organisiert die Belieferung der Werke mit Teilen (Inbound-Logistik) sowie die Verteilung der fertigen Fahrzeuge (Distribution). In der Summe wollen die Konzerne durch ihre Liaison 1,5 Milliarden Euro einsparen. Was bedeutet die Kooperationswut für Spediteure auf dem Automobilmarkt? Wahrscheinlich mehr Preisdruck. Denn wenn mehrere Konzerne ihre Transportnachfrage zusammenlegen, wächst ihre Verhandlungsmacht und sie können bessere Frachtraten erzielen. Dass die Auswirkungen dramatisch sein werden, erwarten Branchenkenner allerdings nicht. „Viele OEMs schreiben derzeit Transporte ja schon neu aus“, beobachtet Professor Schmidt, „die Rabatte dürften bereits ausgereizt sein“. Hinzu kommt, dass es in der Logistik herstellerübergreifende Allianzen faktisch schon gibt. Die Logistiker arbeiten regional oft für mehrere Hersteller gleichzeitig und sorgen so dafür, dass ihre LKW voll sind. Transporte konsolidieren, Kosten reduzieren – so lautet der Plan der verbündeten Hersteller. Doch ob die Allianzen auch wirklich die angepeilten Einsparungen bringen, ist alles andere als sicher. Professor Schmidt sieht nicht nur Vorteile, wenn mehr zusammengearbeitet wird. „Es müssen auch immer zusätzliche Stellen in der Koordination geschaffen werden.“ Manager Sobeck von ZF weist allerdings auf mögliche Probleme hin, die durch die Bündelung auf wenige Zulieferer entstehen können. „Wenn es bei der Bedarfs- und Kapazitätsplanung keine gleichwertige Kooperation der OEMs gibt, können sich Volatilitäten gegenseitig verstärken, das heißt, die Ausschläge bei Schwankungen werden massiver.“ Die Dienstleister selbst warten ab: Auf Nachfrage war keiner bereit, die Auswirkungen der Allianzen zu kommentieren. Vorteile für Logistikdienstleister Immerhin an einer Front könnten die Logistikdienstleister von den Allianzen der großen Automobilhersteller profitieren: beim Behältermanagement. Derzeit nutzen die OEMs zum Transport von Teilen eigene Mehrwegbehälter-Pools und klassische Barcodes. Die Einführung von Funketiketten läuft dagegen seit Jahren schleppend, weil die Gebietsspediteure nicht in RFID-Hardware (zum Beispiel Lese-Tore, sogenannte Gates) investieren wollen, bevor es ein abgestimmtes Verhalten der Kunden gibt. Arbeiten die OEMs in Zukunft stärker zusammen, könnte dies also auch zur Einführung gemeinsamer Pools von Behältern führen, die durchgehend mit RFID-Technik gekennzeichnet sind. „Hier sehe ich im Moment das größte Rationalisierungspotenzial durch Kooperationen in der Logistik“, meint Berater Rutkowsky. ❙❚■ Constantin Gillies, freier Journalist Hintergrund Alle mit allen: die wichtigsten neuen Auto-Allianzen BMW und Toyota: Januar 2014 kommt der neue Toyota Verso mit einem Dieselmotor auf den Markt. Er stammt von BMW und wird zum Beispiel auch im 1er verwendet. Die Bayern erhalten im Gegenzug aus Japan Unterstützung bei der Batterie- und Hybridtechnik. Daimler und Renault: Gemeinsame Entwicklung einer Plattform für Twingo und Smart. Die Motoren liefern die Franzosen. Der viertürige Smart soll in einer Renault-Fabrik in Slowenien vom Band laufen. GM (Opel) und Peugeot (PSA): Der Nachfolger des Rüsselsheimer Familienvans Zafira wird zusammen mit Peugeot entwickelt, eventuell auch in einem Peugeot-Werk in Frankreich gebaut. Die PSA-Tochter Gefco übernimmt die gesamte GM-Logistik in Europa. cg Viele OEMs sind momentan dabei, die Versorgungslogistik ihrer Werke zu zentralisieren

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