Angenehme Nachtruhe

Udo Skoppeck ist Lkw-Fahrer und fährt regelmäßig Touren aus dem Ruhrgebiet in den Süden Deutschlands. Und dabei fällt ihm eines auf: "An der Übernachtungspraxis der Lkw-Fahrer hat sich nichts geändert." Die Fahrer verbringen ihre regelmäßige Wochenruhezeit also offenbar nach wie vor im Lkw und verstoßen damit gegen neue gesetzliche Regelungen in Deutschland (siehe Kasten Seite 21). "Die Fahrer müssen ja nicht befürchten, dabei erwischt zu werden, weil es keine sichtbaren Kontrollen gibt", sagt Skoppeck. Außerdem würden osteuropäische Fahrer fürchten, die Kosten für die Übernachtung zum Beispiel in einem Hotel aus eigener Tasche zahlen zu müssen. "Mittlerweile stehen auch viele Lkw nachts in Industriegebieten, wo es noch Stellflächen gibt", hat er beobachtet. Ein Grund dafür: "Wir haben in Deutschland nicht die Kontrolldichte, um etwaige Verstöße festzustellen, geschweige denn zu ahnden", sagt Benjamin Sokolovic, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN), stellvertretend für viele Marktbeobachter. Und da nicht kontrolliert wird, hat sich an der Übernachtungspraxis der Fahrer bislang nichts geändert, bestätigt er. Unklare Gesetzesvorgaben Ein mittelständischer Spediteur, der namentlich nicht genannt werden will, hat derweil andere Sorgen: Es sei ja gut, dass die Fahrer nicht mehr in ihrer Fahrerkabine übernachten sollen. Aber wo sollten sie jetzt schlafen? Der Gesetzgeber sage ja nur, dass sie dies in "einer geeigneten Schlafmöglichkeit" tun müssen. Was "geeignet" sei, sage er aber nicht. Außerdem wisse man immer noch nicht, nach welchen Vorgaben das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) kontrollieren wolle. Dazu von der VerkehrsRundschau befragt, heißt es aus dem BAG: "In Umsetzung des Gesetzes sammeln wir derzeit Erfahrungen. Wir befinden uns derzeit aber in einem ,Kulanzzeitraum' von drei Monaten (bis Ende August 2017 - die Redaktion), innerhalb derer die Kontrolle zu Aufklärung genutzt wird und Verstöße nur mit Verwarnungen sanktioniert werden." Was rät der Jurist Sokolovic deutschen Transportbetrieben? Grundsätzlich sind die deutschen Dienstleister weniger betroffen als ausländische: Deutsche Unternehmen betrifft das Gesetz lediglich im Fernverkehr auf langen Distanzen. Und dort gelinge es einem Unternehmer, sagt er, oft schon durch die geschickte Disposition von Touren, etwa durch die Organisation von Begegnungsverkehren mit Branchenkollegen, den Fahrern nach einer verkürzten Wochenruhezeit einen vollen Ausgleich von 45 Stunden zu Hause zu ermöglichen. Sprich: Die Suche nach einer geeigneten Schlafmöglichkeit stellt sich für viele Unternehmer erst gar nicht. Unternehmer gehen in die Offensive Und wenn die geeignete Schlafmöglichkeit nun doch nötig ist? Dann rät Sokolovic von der Unterbringung in Containern, Campingwagen oder gar Zelten ab. Er sagt aber: "Am Ende wird es interessant, wie deutsche Amtsrichter das Fahrpersonalgesetz oder die Arbeitsstättenverordnung auslegen." Im Klartext: Es müssen erst Gerichte für Klarheit sorgen. So lange aber können die Unternehmer nicht warten. Mit der Folge, dass einige bereits in die Offensive gehen. So hört man von Betrieben, die derzeit auf ihrem Speditionsgelände Container für die Übernachtung von Fahrern aufstellen und auch an Dritte vermieten wollen. Das österreichische Logistikunternehmen Gebrüder Weiss nutzt derweil eine neue webbasierte Buchungsplattform von Bosch, die Spediteuren europaweit sichere Parkplätze für ihre Lkw vermitteln will - perspektivisch auch geeignete Schlafgelegenheiten für die Fahrer (siehe Kasten Seite 22). Auch der vormalige Automobillogistiker Ulrich Burgath, heute Geschäftsführer der Fahrerkonzept GmbH in Stuhr, arbeitet an einer Lösung. Er spricht derzeit mit vielen Speditionskollegen, um Flächen zu finden, an denen Fahrer ihre Lkw sicher abstellen können. In Bad Hersfeld kann er dies schon anbieten - inklusive Übernachtungsmöglichkeiten für die Fahrer. Michael Kubenz, Geschäftsführer und Inhaber der Spedition Kube & Kubenz aus Hamburg, hat selbst die Initiative ergriffen: "Wir werden auf unseren eigenen Betriebshöfen freie Räume zu Übernachtungsquartieren umbauen." Dort gibt es schon Duschen und Toiletten sowie Sozialräume. Doch das ist nicht ausreichend, weil die Chemiespedition in Deutschland nicht flächendeckend vertreten ist. "Deswegen haben wir an einigen markanten Punkten wie im Großraum Kassel Übernachtungsmöglichkeiten bei Hoteliers gesichert", nennt Kubenz die zweite Maßnahme. Eine besondere Herausforderung sei es gewesen, Hotels mit geeigneten Abstellplätzen für Lkw zu finden. "Gerade bei ADR-Transporten ist das wichtig, weil das Fahrzeug weiterhin überwacht werden muss", erklärt der Spediteur. Schon jetzt übernachten einige Fahrer in den Hotels, "die bei denen jedoch gar nicht so beliebt sind". Wo diese Hotels sind, will er nicht verraten, weil er weiß, wie wenige es davon gibt, die auch für einen Lkw Platz bieten. Die eigentliche Herausforderung sind laut Kubenz die zusätzlichen Kosten, die damit verbunden sind. 50 bis 80 Euro kostet eine Nacht für den Fahrer und den Truck, macht also 100 bis 160 Euro bei einer längeren Wochenruhezeit. Auch der Umbau der Räume auf den Betriebshöfen ist mit Investitionen verbunden, hinzu kommen dort Reinigungskosten. Wie teuer ihn das Gesamtpaket kommt, kann Kubenz noch nicht abschätzen. "In diesem Jahr können wir die Kosten wohl nicht weiterreichen. Aber in den Preisverhandlungen für das nächste Jahr müssen wir sie berücksichtigen", sagt er. Was ist eigentlich Arbeitszeit? Kubenz nennt jedoch noch ein ganz anderes Problem: Die für seine Verkehre eingesetzten Fahrer stammen überwiegend aus Polen. "Von Land zu Land gibt es jedoch unterschiedliche Auffassungen, was Arbeitszeit ist", sagt Kubenz. So würde in Deutschland dazu die Anreise vom Ort der Beschäftigung bis zum Fahrzeug gehören. In Frankreich zähle als Arbeitszeit dagegen die Anreise vom Wohnort bis zum Fahrzeug. "Wenn der Fahrer nach Frankreich fährt, kann es sein, dass er aus deutscher Sicht noch Arbeitszeit hat, nach französischer Auffassung diese jedoch schon überschritten hat", sagt Kubenz und ergänzt: "Kostet 3500 Euro." Diese Summe musste er einmal zahlen, weil er diese französische Regelung nicht kannte. Und wie beurteilen die Auftraggeber der Transportdienstleister die neue Regelung zum Verbringen der Ruhezeiten? "Das ist nicht der große Wurf, schon gar nicht zur Beendigung des Nomadentums auf den Autobahnen", zeigt sich Christian Labrot, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), wenig begeistert. Labrots Kritik richtet sich weniger gegen die Regelung an sich, sondern vor allem gegen die Umsetzung: "Es muss Lösungen geben, wo die Fahrer schlafen. Die gibt es aber weder direkt an den Autobahnen noch in deren Nähe." Es gebe vor allem nicht genügend Parkplätze an den Hotels. "Wo wollen Sie da fünf Lkw abstellen?", fragt er und ergänzt: "Ganz abgesehen von den damit verbundenen Kosten." Höhere Transportkosten drohen Und wie sieht es mit den Logistikkonzepten aus? Müssen Industrie und Handel diese nun angesichts immer neuer Regelungen wie zur Wochenruhezeit und Mindestlohn auf den Prüfstand stellen? "Ich glaube nicht, dass bei dreiwöchigen Umläufen, die nach einem Vorschlag der EU-Kommission möglich sein könnten, die Zeitkonzepte von Industrie und Handel gefährdet sind", sagt Labrot. Man müsse aber den Arbeitsplatz der Lkw-Fahrer attraktiver machen, zum Beispiel über mehr Begegnungsverkehre, damit sie häufiger zu Hause sein können. Auf bewachten Lkw-Parkplätzen könnte man Fahrern zudem mehr Komfort anbieten. Alles dies könne auch höhere Transportkosten zur Folge haben, so der BWVL-Hauptgeschäftsführer. Wobei er einwendet, dass der starke Wettbewerb immer wieder dafür sorge, dass die Frachtraten nicht oder kaum steigen. "Es ist aber auch nicht so", betont Labrot, "dass die Verlader nicht bereit sind, ihren Beitrag zu leisten, wenn notwendig. Denn sie wissen auch, dass die Gefahr besteht, dass sie sonst bald keine Dienstleister mehr haben." Fazit: Viele Fragen sind zwei Monate nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes noch offen. Für GVN-Geschäftsführer Sokolovic steht aber fest: "Das neue Gesetz wird nicht wesentlich dazu beitragen, das Nomadentum, schon gar nicht das Sozialdumping in Deutschland abzuschaffen." Letztlich helfen hier nur EU-einheitliche Lösungen und Kontrollstandards. Mehr zum Thema im Dossier Lenk- und Ruhezeit www.verkehrsrundschau.de/dossiers Fahrpersonalgesetz Wochenruhezeit in Lkw: Bußgeld bis 1500 Euro droht Seit Donnerstag, 25. Mai 2017, ist endgültig Schluss mit Schlafen und Wohnen im Fahrerhaus. Denn das Gesetz zur Änderung des Fahrpersonalgesetzes wurde am Mittwoch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht; am Tag nach der Verkündung trat es in Kraft. Seitdem gilt in Deutschland das Verbot, die regelmäßige Wochenruhezeit im Fahrerhaus zu verbringen.Wer trotz des neuen Verbots die regelmäßige Wochenruhezeit im oder am Lkw verbringt, muss ab sofort mit Strafen rechnen. Wie das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) der VerkehrsRundschau mitteilte, hat die für Anpassungen des bundeseinheitlichen Bußgeldkatalogs zuständige Bund-Länder-Arbeitsgruppe einen neuen Tatbestand erstellt. Demzufolge muss der Fahrer 500 Euro und der Unternehmer 1500 Euro zahlen, wenn die regelmäßige Wochenruhezeit im Fahrerhaus oder an einem Ort ohne geeignete Schlafmöglichkeit verbracht wird. Hier wird nicht nur das BAG mit seinen Beamten tätig, sondern werden auch Polizei und Zoll kontrollieren. ag/eh Webbasierte Buchungsplattform Mit wenigen Klicks zu sicheren Lkw-Parkplätzen Bosch Service Solutions hat mit dem Logistikunternehmen Gebrüder Weiss eine webbasierte Buchungsplattform entwickelt, die die Belegung von Lkw-Stellplätzen in Echtzeit erfasst. "Speditionen und Lkw-Fahrer können so im Voraus oder auch während der Fahrt über ein Online-Portal oder eine App Parkplätze entlang ihrer Route suchen und reservieren. Wenn die Fahrer ankommen, steht ihnen garantiert ein Parkplatz zur Verfügung", beschreibt Dolores Pellegrino die Vorteile der neuen Lösung. Pellegrino ist Business-Development-Managerin bei Bosch Secure Truck Parking. Sie und Alexander Horak, Leiter High-Tech-Logistik bei Gebrüder Weiss, arbeiten für dieses Tool zusammen. Das neue Portal umfasst buchbare Parkplätze auf Autohöfen, Speditionsarealen und Firmenparkplätzen mit detaillierter Beschreibung der Sicherheitsausstattung Areale."Eine solche Buchungsplattform gibt es bislang nicht. Noch müssen sich Spediteure sichere Parkplätze selbst suchen", betont Pellegrino."Wir leisten also ein gutes Stück Pionierarbeit. Mittelfristig wollen wir für ganz Europa sichere Lkw-Stellflächen bieten", kündigt sie an. Perspektivisch plane man gar, die Buchung von Schlafkabinen für Fahrer über das Portal zu ermöglichen."Alleine können wir das aber nicht leisten", betont die Bosch-Managerin."Dazu brauchen wir die Unterstützung von Transport- und Logistikfirmen. Wir suchen Betriebe wie Gebrüder Weiss, die Lkw-Stellflächen auf ihrem Gelände bieten, brauchen aber auch ihr Know-how, wo überhaupt in Europa sichere Lkw-Parkplätze benötigt werden.""Uns hat das neue Konzept sofort überzeugt", sagt Alexander Horak von Gebrüder Weiss. Daher arbeiten die Spedition und Bosch hier eng zusammen. Gebrüder Weiss vermietet zehn Lkw-Stellplätze seines Logistikzentrums in Maria Lanzendorf bei Wien an Dritte. Seit Anfang August können Lkw-Fahrer diese Parkplätze über die neue Plattform buchen."Wir planen, weitere Niederlassungen in der Slowakei, Rumänien und Bulgarien anzubinden", verrät Horak."Über die Plattform können wir Speditionen uns gegenseitig helfen, indem wir uns dringend benötigte Lkw-Stellplätze zur Verfügung stellen."Wer als Spediteur Lkw-Stellflächen über Bosch Secure Truck Parking finden will, meldet sich dafür auf der Online-Plattform mit seinen jeweiligen Zugangsdaten an, die er von Bosch erhält. Die Plattform zeigt ihm dann alle zur Verfügung stehenden Parkplätze in Europa mit detaillierter Beschreibung der Sicherheitsausstattung, auch solche, die nicht an das Bosch-System angeschlossen sind. Wenn Parkgebühren auf den buchbaren Autohöfen oder Firmenarealen anfallen, werden diese online am Monatsende abgerechnet. eh

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