An der Schmerzgrenze

Die Industrie 4.0, die Transporte besser organisieren oder durch den 3-D-Druck gleich ganz überflüssig machen sollen, die neue Seidenstraße, die die Verkehre zwischen Europa und Asien neu ordnen soll, Drohnen, die neue Lieferwege möglich machen, City-Logistik und Flächenknappheit - diese Trends könnten zu einer Neuordnung der Logistikregionen in Deutschland führen. "Keine Panik!", beschwichtigt Alexander Nehm, Geschäftsführer der Logivest Concept. Zusammen mit Professor Christian Kille von der FH Würzburg hat Nehm im Sommer für die Initiative Logistikimmobilien (Logix) eine Studie zur Zukunft der Logistikimmobilien und Standorte herausgegeben. Das Ergebnis: Die Trends werden die Logistik zwar verändern, die Auswirkungen auf die Standorte werden in den kommenden fünf bis zehn Jahren allerdings überschaubar sein. Eine Studie des Beratungsunternehmens Bulwiengesa geht in die gleiche Richtung. Dennoch gibt es gravierende Verschiebungen bei der Attraktivität der verschiedenen Logistikstandorte in Deutschland. Die haben aber weniger mit den vermeintlichen oder tatsächlichen Trends in der Logistikbranche zu tun als vielmehr mit den immer knapper werdenden Flächen in den bevorzugten Ballungsräumen. München geht bis nach Augsburg "Einige Top-Regionen wie München oder Stuttgart haben zunehmend mit Problemen zu kämpfen", so Nehm. Unternehmen, die sich dort ansiedeln wollen, finden oft keine Flächen mehr oder nur zu sehr hohen Mieten. Diese bezahlen allenfalls noch E-Commerce-Unternehmen, die für die schnelle Belieferung auf die Nähe zu den Kunden in den Ballungszentren angewiesen sind. Wer die Mieten nicht bezahlen kann oder will, muss auf andere Standorte ausweichen. "Die Radien um die Regionen werden immer größer", beobachtet Nehm. So umfasse die Region Stuttgart für Logistiker mittlerweile den Niederrhein mit Karlsruhe und Mannheim. In Bayern reiche die Logistikregion München bis Augsburg und Niederbayern. Diese Städte sind nicht immer auf ihre neue Rolle vorbereitet. "Augsburg muss jetzt seine Hausaufgaben machen und Flächen ausweisen, mahnt der gelernte Speditionskaufmann und Verkehrsfachwirt Sebastian Bögel vom Immobilienmakler JLL in München. Ansonsten drohe der Stadt das gleiche Schicksal wie Nürnberg. Der Logistikstandort an der Noris droht den Anschluss an attraktivere Regionen zu verpassen. "Man hat es viele Jahre lang versäumt, sich um neue Gewerbeflächen zu kümmern", sagt Nehm. Nachdem ein großer Teil des künftigen Hafenindustriegebietes nach Bürgerprotesten aus dem Flächennutzungsplan genommen wurde, gibt es etwa im Umfeld des Bayernhafens keine Möglichkeit mehr für neue Ansiedlungen. Ehemalige Industriebrachen will die Stadt lieber für den Wohnungsbau nutzen als für Logistikansiedlungen. Die etablierten Logistikregionen stoßen vor allem bei der Ausweisung neuer Flächen zunehmend an ihre Grenzen. Zum Beispiel München: "Die Logistikregion München ist seit vier Jahren von nahezu Vollvermietung und Vollbeschäftigung geprägt. Insbesondere die lahmende Grundstückentwicklung stellt Entwickler und Mieter vor zunehmende Probleme. Die Situation wird langsam immer dramatischer", warnt Oliver Raigel, vom Maklerunternehmen Realogis in München. Eine ähnliche Entwicklung sieht sein Kollege Ben Dörks von der Berliner Realogis-Niederlassung. "Die Berliner Logistikregion stößt ganz klar an ihre Grenzen. Insbesondere im Berliner Süden sind Mitarbeiter kaum noch verfügbar, aus diesem Grund wurden bereits Mietverträge abgesagt", berichtet Dörks. Im derzeit wohl angesagtesten Immobilienmarkt des Landes wurden in diesem Jahr bereits rund 400.000 Quadratmeter Hallenflächen vermietet. "2018 wird es große Probleme geben, da es nur noch wenige leer stehende Objekte gibt", so Dörks weiter. Berlin kann sich nicht jeder leisten Das hat Auswirkungen auf die Mieten. "Innerstädtisch steigen die Mietpreise in Berlin schon länger, jetzt hat diese Entwicklung auch das Umland erreicht. In Teilbereichen sind sie bereits schon über das gesetzte Limit der Unternehmen hinaus. Das kann sich nur eine kleine Schicht von Unternehmen, etwa aus dem E-Commerce leisten", erklärt Dörks. Nimmt man die Bautätigkeit bei Logistikimmobilien als einen Indikator, wie attraktiv eine Region ist, so entfallen laut Bulwiengesa zwischen 2012 und 2016 fast 80 Prozent der Neubauten auf die etablierten Logistikregionen - mit leicht sinkenden Tendenz. Das Bild wird allerdings dadurch verzerrt, dass in vielen beliebten Regionen, wie etwas München, kaum Flächen für Neubauten vorhanden sind. Daher werden Brownfield-Entwicklungen und die Revitalisierung von Bestandsgebäuden immer wichtiger. Der Leidensdruck führe gerade in attraktiven Ballungsräumen zudem immer häufiger zu Mischnutzungen und zu höheren Gebäuden, so Nehm. Hier gebe es auch in den Ballungsräumen noch genügend Potenzial, ist Nehm überzeugt. Hamburg nicht mehr Spitzenreiter Aus Immobiliensicht sind für Bulwiengesa nach wie vor München, Berlin, Hamburg, die Region Halle/Leipzig und Niederbayern die Top-Logistikregionen in Deutschland. Allerdings müsse man das sehr individuell betrachten, sagt Tobias Kassner, Logistikexperte bei dem Analysehaus. So büßte etwa Hamburg im aktuellen Ranking (siehe Tabelle links) seine Spitzenposition im Vergleich zur letzten Erhebung ein, da die Nachfrage und die Mieten, aber auch die ökonomischen Zahlen hinter München und Berlin zurückblieben. "Dennoch besticht die Hansestadt weiterhin durch eine hohe Bautätigkeit und Flächenverfügbarkeit", resümieren die Experten. Grundsätzlich schwanken die Ergebnisse der Studie sehr stark von Jahr zu Jahr. So gehörten die Regionen Münster/Osnabrück und Oberrhein im letzten Jahr zu den größten Verlierern. In diesem Jahr machten die beiden Regionen den größten Sprung nach vorne. Insbesondere die günstigen Mieten und die Verfügbarkeit von Flächen machen diese Landesteile für Logistikunternehmen attraktiv. So ist auch der Abstieg mancher Städte wie Düsseldorf oder Bremen vor allem darauf zurückzuführen, dass die Dynamik in anderen Regionen aktuell höher ist. Busverbindung schlägt Billigmiete Denn ob die Verschiebungen dauerhaft sind, ist eine andere Frage. Der niederbayerische Markt profitiert derzeit klar vom Boom der Automobilhersteller. BMW und Audi haben dort große Werke und entsprechenden Bedarf an logistischen Leistungen. Ein Problem in der Region ist allerdings die Verfügbarkeit von Arbeitskräften. "Regionen mit verkehrsoptimierten Lagen wie Kassel/Göttingen und Bad Hersfeld verfügen zwar über eine gute Lage im Straßennetz und teilweise noch freie Flächen - die schnell erreichbare Konsumentenmasse sowie die Arbeitskräfteverfügbarkeit sind hier jedoch zu gering", konstatiert die Bulwiengesa-Studie. Für Kassner wird gerade Letzteres immer wichtiger. "Ländliche Regionen sind nicht mehr so gefragt", so der Experte. Für viele Mitarbeiter wird die Anbindung immer wichtiger, bestätigt Steffen Overath von JLL in München. Angesichts langer Anfahrtswege und steigender Mobilitätskosten spiele die Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Nahverkehr eine immer größere Rolle. Allerdings sei das von Branche zu Branche unterschiedlich. Während im Bereich der einfachen Logistikdienstleistungen nach wie vor geringe Mietkosten der entscheidende Faktor seien, sei die Anbindung und die Verfügbarkeit von Mitarbeitern umso entscheidender, je mehr die Logistikleistung in Richtung Veredelung und Produktion ginge. Mehr zum Thema im Dossier Logistikregionen www.verkehrsrundschau.de/dossiers

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