Auf fünf Jahre war der Feldversuch Lang-Lkw angelegt, der zum Jahresende 2016 endet. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat jetzt einen Verordnungsentwurf vorgelegt, wonach der Feldversuch 2017 in einen Regelbetrieb übergehen soll. Einzige Ausnahme: Der Lang-Lkw mit Zentralachsanhänger soll zunächst nur für ein Jahr befristet zugelassen sein. Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, übt Kritik an Dobrindt, sieht den Kampf gegen den Lang-Lkw noch nicht verloren und kann sich unter gewissen Umständen doch einen Lang-Lkw auf Deutschlands Straßen vorstellen.
VerkehrsRundschau: Ist für Sie der Kampf gegen den Lang-Lkw verloren?
Nein, auf keinen Fall. Es wird je nach Lang-Lkw-Typ Befristungen geben, die auf ein Jahr angelegt sind. Damit bleibt uns das Thema erhalten.
Aber die Befristung geht nur für einen einzigen Typen, während es für die viel häufiger eingesetzten Typen dauerhaft grünes Licht geben soll.
Das ist der Wunsch des Bundesverkehrsministers. Die Ressortabstimmung ist aber noch nicht erfolgt. Nach meinen Kenntnisstand gibt es intensive Diskussionen zwischen den SPD-geführten Ministerien und dem Hause Dobrindt.
Mit dem Lang-Lkw kann der CO2-Ausstoß kräftig reduziert werden. Was haben Sie dagegen?
Ich glaube nicht, dass die Gleichung aufgeht: aus drei Lkw mach zwei Lkw. Sondern der Lkw-Transport wird günstiger durch den Riesen-Lkw, um 30 Prozent, wie die Befürworter sagen. Deshalb befürchten wir, dass mehr Lkw zum Einsatz kommt: aus drei mach drei oder sogar aus drei mach vier. Und die Praxis unterlegt unsere Befürchtung: In Schweden gibt es seit Anfang der 90er Jahre nach Einführung der Lang-Lkw einen deutlichen Marktanteilsverlust der Güterbahn.
Aber eine solche Entwicklung war auch in anderen Staaten zu beobachten, auch ohne den Lang-Lkw.
Nein, in diesem Ausmaß steht die Entwicklung in Schweden einzigartig da, wie Studien zeigen. Aber zurück nach Deutschland: Wenn wir in hierzulande den CO2-Ausstoß bis 2030 im Verkehrssektor um 40 Prozent reduzieren wollen, dann brauchen wir eine radikale Verkehrswende und keine radikale Vergünstigung des Straßengütertransportes.
Ohne den Lkw wird es aber nicht gehen. Warum dann nicht jeden Verkehrsträger für sich optimieren?
Keiner in Deutschland sagt, dass es ohne den Lkw-Verkehr geht, auch nicht die Allianz pro Schiene. Zur Zeit sind wir bei 70,8 Prozent Marktanteil für den Lkw und bei 18 Prozent für die Güterbahn. Die Frage ist doch nur, ob wir den Anteil der Verkehrsträger im Modal Split ausgewogener machen wollen. Wenn hier die Antwort „ja“ lautet, schaffen wir das sicher nicht mit einer Verbilligung des Lkw. Hier vermisse ich ein entsprechendes Engagement des Bundesverkehrsministers.
Woran machen Sie dieses fehlende Engagement fest?
Es wird mit der Brechstange versucht, den Lang-Lkw durchzudrücken. Bei Teststart hieß es, geplant sei ein Feldversuch mit wissenschaftlicher Begleitung durch die BaSt (Bundesanstalt für Straßenwesen). Doch die Wissenschaft spielt jetzt offenbar keine Rolle mehr. Jedenfalls liegt der Abschlussbericht zum Riesen-Lkw zur Zeit nur dem Bundesverkehrsministerium vor und sonst keinem. Hinzu kommt, dass der Antrag, bundesweit die Standardlänge von Güterzügen mit 740 Meter umzusetzen, seit 2013 im Hause Dobrindt zur Prüfung vorliegt und dieser erst im März 2016 zur Begutachtung freigegeben wurde. Bis heute ist die Bewertung nicht fertig. Das ist nicht in Ordnung.
Haben Sie eine Erklärung, warum der BaSt-Bericht nicht veröffentlicht wird?
Offenbar will man an dem Abschlussbericht noch so lange herumfeilen, bis er politisch genehm ist. (Anmerkung der Redaktion: Zum Zeitpunkt, als das Interview geführt wurde, war der Abschlussbericht noch nicht veröffentlicht. Erst seit gestern hat die BaSt den Bericht auf ihrer Homepage zugänglich gemacht)
Lang-Lkw dürfen nur national eingesetzt und auf einem Positivnetz fahren. Überschätzen Sie nicht die Bedeutung von Lang-Lkw gewaltig?
Zum einen führen viele Strecken im Positivnetz nahe an die Grenzen heran. Der Bundesverkehrsminister hat zudem mehrfach gesagt, dass er grenzüberschreitende Transporte mit dem Riesen-Lkw befürwortet. Wenn man bilaterale Abkommen schließen würde, sei das EU-kompatibel. Das sehen wir anders. Und zum dritten: Wenn die Niederländer oder die Dänen nach Deutschland fahren, dann schreibt das Gesetz zwar in Deutschland vor, dass nur 40 Tonnen erlaubt sind. Wir alle aber wissen ja, dass in der täglichen Praxis im Straßengüterverkehr sich nicht immer alle an Recht und Ordnung halten. Bei jeder fünften Lkw-Kontrolle stellt das Bundesamt für Güterverkehr Verstöße fest. Warum sollte dies beim Gigaliner anders sein? Zumal Gewichte aufgrund fehlender Waagen schwieriger zu prüfen sind.
Die Lkw-Lobby protestiert nicht gegen die Verlängerung der Güterzüge. Sollte sich nicht jeder Verkehrsträger für sich optimieren und den anderen gewähren lassen?
Nein, denn hier werden Äpfel mit Birnen verglichen. Der Schienengütertransport ist umweltfreundlicher als der Lkw-Transport. Deshalb sollte der Staat sich bemühen, die Verlagerung zu forcieren. Zum zweiten reden wir bei Lang-Lkw über überlange Lkw. Bei den von uns geforderten 740 Meter lange Güterzügen handelt es sich hingegen um eine EU-Standardlänge, die wir hier in Deutschland nicht umsetzen. Nur 10 Prozent des Schienennetzes sind dafür ausgerüstet. Das sind entscheidende Unterschiede, weshalb man diesen Vergleich nicht ziehen kann.
Der Lang-Lkw wird auch im Vor- und Nachlauf für den Kombinierten Verkehr eingesetzt. Davon profitiert auch die Schiene.
Ja. Deshalb sagen wir auch, wir können uns den Einsatz des Lang-Lkw ausschließlich im Vor- und Nachlauf des Kombinierten Verkehrs vorstellen. Den 25,25-Meter-langen Lkw als Zubringer für den KV: Damit könnte ich zur Not leben.
Wenn alle Ihre Argumente so überzeugend sind, wie erklären Sie sich, dass in 13 von 16 Bundesländern der Lang-Lkw fährt, darunter viele unter Beteiligung der SPD oder Bündnis 90/Die Grünen?
Das ist dem Lobby-Druck der Straßengüterverkehrsbranche zu verdanken. Der ist immens. Politik reagiert ja nicht nur rational oder auf den Wählerwillen. Unsere Umfragen haben gezeigt, dass die überwältigende Mehrheit der Wähler gegen den Gigaliner ist. Aber ohne jegliche politische Debatte, weder auf Bundesebene noch auf Landesebene, den Feldversuch einfach zum Regelbetrieb zu erklären, das halte ich für fahrlässig und das entspricht auch nicht meinem Verständnis einer demokratischen Verfahrensweise.
Das Interview führte VerkehrsRundschau-Redakteur Michael Cordes