Alles unter Kontrolle

Spätestens seitdem 2013 die EU-Leitlinie "Good Distribution Practice" (GDP) für Humanarzneimittel in Kraft getretenen ist, darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass der Transport von Pharmazeutika zu den Königsdisziplinen der Logistik gehört. Insbesondere müssen die vom Hersteller vorgegebenen Temperaturen penibel eingehalten werden. "Die Pharmabranche ist aus verständlichen Gründen sehr anspruchsvoll, was das Einhalten der geforderten Kühl-Setpoints und die Sicherheit der Ware betrifft: Sollten hier auch nur geringe Abweichungen auftreten oder gar eine Kontaminierung der Ware stattfinden, könnte es dazu kommen, dass die gesamte Fracht unbrauchbar wird und vernichtet werden muss", weiß Marco Reichwein, Geschäftsführer Schmitz Cargobull Telematics. Eine umso größere Rolle spielt in der Pharmalogistik die Telematik, die die Temperaturen im Trailer stets im Blick hat und nachhaltig dokumentiert. Das Unternehmen aus Münster hat kürzlich die neue Generation seines Telematiksystems TrailerConnect SmartTrailer vorgestellt. "Die wichtigste Neuerung und gleichzeitig ein Alleinstellungsmerkmal am Markt ist die direkte Anbindung, Anzeige und gegebenenfalls Steuerung jeglicher Sensorik - vom Reifendruckkontrollsystem über Tür-Sensorik bis hin zur Temperaturüberwachung - in ein einziges System", erklärt Reichwein. Die Markteinführung des neuen CTU-3-Steuergerätes läuft laut Reichwein aktuell auf Hochtouren. "Ab der IAA wird ausschließlich die neue Telematik-Hardware in neuen Trailern von Schmitz Cargobull verbaut", kündigt er an. Fernzugriff auf die Kühlmaschine Aber nicht nur die Hardware, auch Auswertung, Visualisierung und Dokumentation der erfassten Daten spielen insbesondere bei der Kühlkettenüberwachung eine tragende Rolle. Kühltechnikspezialist Thermo King bietet seine fahrzeugbetriebenen Kältemaschinen mit Direktantrieb für Lkw und Lieferfahrzeuge mit dem Telematiksystem TracKing an, das die Überwachung und Analyse des laufenden Kühlbetriebs sicherstellen soll. "Dank Fernzugriff, mobilen Apps und Datenerfassung können Flottenmanager den Flottenbetrieb anpassen, zurückverfolgen und Voraussagen treffen", erklärt Eneko Fernandez, Produktmanagementleiter bei Thermo King. Herzstück des Telematiksystems ist die sogenannte TK BlueBox, die Maschinendaten erfasst und speichert. Diese können über die kostenlose Smartphone-App Thermo King Reefer oder ein Bluetooth-fähiges Gerät abgerufen werden. Auf diese Weise sollen Fahrer den Überblick über die Laderaumtemperatur behalten, selbst wenn sie sich wegen Lieferungen oder Pausen gerade nicht im Fahrzeug befinden. Der zur BPW-Group gehörende Telematikanbieter Idem Telematics (siehe auch Kasten unten) hat bereits vor gut einem Jahr seine herstellerunabhängige und systemoffene Plattform Cargofleet 3 gelauncht, die umfassende Daten aus Fahrzeug, Trailer oder Wechselbrücke sowie Auftrag und Fahrerdaten auswertet. Bei Kühltransporten werden Kühlmaschine und Temperaturschreiber permanent überwacht, das System informiert sofort bei Temperaturabweichungen. Zusätzlich können die Temperaturdaten auftragsbezogen dokumentiert, ausgewertet und weiterverarbeitet werden. Mittels der Cargofleet Driver App kommen alle Daten des Trailers zudem ins Fahrerhaus. App-Anbindung per WLAN Bei Schmitz Cargobull Telematics wird die neue Telematik-Hardware derweil von der neuen Version 2.0 des TrailerConnect-Portals flankiert, über das alle Informationen zur Trailertelematik, sei es aus Kühlmaschine oder Fahrzeugkomponenten, in Echtzeit überwacht und gesteuert werden können. Zugriff auf die Trailertelematik gibt es neuerdings auch per App. Schmitz Cargobull Telematics hatte zwar bereits vor einigen Jahren eine App entwickelt, mit der beispielsweise der Disponent mobil seine gesamte Flotte samt Temperaturkontrolle im Blick behalten konnte. "Diese App ist insbesondere für Überwachungszwecke und die Nutzung durch Disponenten oder Fuhrparkleiter konzipiert. Bei unserer neuen BeSmart-App kann nun - und dies ist auf dem Markt ganz neu - der Fahrer vom Smartphone aus auf die Trailertelematik zugreifen", sagt Reichwein. Ermöglicht werde dies durch eine WLAN-Anbindung, die den Zugriff auf das System nur im Fahrerhaus oder in dessen unmittelbarer Nähe beziehungsweise des Trailers zulässt. Der Zugang sei zudem PIN-Code geschützt, um unauthorisierte Zugriffe auf den Trailer und die Daten zu unterbinden. "Dies sorgt insbesondere bei hochsensiblen Bereichen wie der Pharmalogistik für das höchste Maß an Sicherheit", sagt Reichwein. Über die App werde der Fahrer zudem per Push-Benachrichtigung oder akustischem Signal bei jeglichen Unregelmäßigkeiten gewarnt und könne sofort reagieren. Virtuelle Plombe sichert Ladung In Punkto Sicherheit setzt Schmitz Cargobull Telematics ohnehin hohe Standards. Um Manipulationen vorzubeugen, kann am Kühlmaschinendisplay eine PIN-basierte Sperre genutzt werden. Außerdem wurde ein neues, über Kühlgerätedisplay, App und Telematikportal steuerbares Türverschlusssystem entwickelt. Mit der neuen CTU-3 ist es künftig möglich, das Türverschlusssystem mit Geofencing, das heißt, mit individuell konfigurierten Bereichen wie beispielsweise Be- oder Entladeorten, zu koppeln. Dies bedeutet, dass nach Verlassen eines Geofence am Beladeort die Türen automatisch vom System verriegelt werden und dann dauerhaft verschlossen bleiben. Erst wenn ein weiterer Geofence, in der Regel der Entladeort, erreicht wird, wird wieder automatisiert entriegelt. "Im Notfall, etwa bei einer Polizeikontrolle, kann natürlich beispielsweise der Disponent die Türen aus der Ferne über das Portal entriegeln", betont Reichwein. Dieses Prinzip entspreche im Grunde einer "virtuellen Verplombung". Reichwein betrachtet das herstellerunabhängige SmartTrailer-Konzept als für die Anforderungen der Pharmalogistik prädestiniert. "Die CTU-3 ist ausfallsicher wie keine Vorgängervariante zuvor", betont der Geschäftsführer. Als weiteres Alleinstellungsmerkmal führt er die Integration eines DIN EN 12830-zertifizierten Temperaturrekorders zum lückenlosen Nachweis der Kühlkette in die neue Hardware an. "Nicht zuletzt für Pharmalogistiker, die Temperaturen grundsätzlich dokumentieren müssen, ein echter Mehrwert, insbesondere da Zusatzkosten und eben auch die Manipulations- beziehungsweise Schadensanfälligkeit für einen externen Temperaturekorder wegfallen." Branchenspezifische Lösungen geplant Obwohl Schmitz Cargobull Telematics gerade erst neue Hardware, ein neues Onlineportal und eine App präsentiert hat, tüftelt man an weiteren Neuerungen: "Als einen der nächsten Schritte planen wir, sowohl als App als auch im Portal branchenspezifische Telematikanwendungen zu schaffen, um unseren Kunden noch individuellere Lösungen für ihre täglichen Aufgaben anbieten zu können", sagt Reichwein. Mehr zum Thema finden Sie im Dossier Pharmalogistik www.verkehrsrundschau.de/dossiers Pharmatransporte in Krisenregionen 7500 Kilometer bis nach Afghanistan In Krisenregionen ist die Bevölkerung besonders dringend auf die Versorgung mit Medikamenten angewiesen. Die Bedingungen für Transporte dorthin sind hart, unter anderem wegen schlechter Straßenverhältnisse in vielen Ländern. Dennoch gilt es, die gekühlte Ware unterwegs lückenlos zu überwachen, die Temperaturen konstant zu halten und die Türen sicher zu verriegeln. Die Spedition B&M Logistics-Service ist auf Transporte von Arzneimitteln und Blutkonserven in den Nahen und Mittleren Osten spezialisiert - nicht nur in Krisengebiete, aber auch dorthin. Das Unternehmen mit Hauptsitz in in Erlensee bei Hanau ist nach ISO 9001, ISO 14001 sowie GDP zertifiziert. Die Fahrer holen die Ware an den Werken in Deutschland, in der Schweiz, in den Niederlande, in Belgien, Frankreich, Polen oder Dänemark ab und bringen sie über Land an ihr Ziel. Die am weitesten entfernten Ziele liegen in Afghanistan: Für diese Strecke von 7500 Kilometern braucht ein Fahrzeug rund zwei Wochen."Auf solchen Distanzen ist die lückenlose Überwachung dieser sensiblen Ware eine außergewöhnliche Herausforderung und wir brauchen kompromisslos zuverlässige Technik", erklärt Geschäftsführer Nurettin Büyükkoc. Das Unternehmen nutzt seit 2016 das Truck-Trailer Telematiksystem von Idem Telematics aus München. Zu den umfangreichen Funktionen gehört natürlich auch die Temperaturkontrolle: Die Daten werden kontinuierlich an den Fahrer gesendet und parallel dazu an die Disposition, bei Abweichungen schlägt das System sofort Alarm. Auch bei einem unautorisierten Zugriff auf die Türen der Trailer würde direkt eine Warnung erfolgen, Geofencing erhöht die Sicherheit zusätzlich. In entlegenen Regionen ist die GSM-Verbindung nicht immer gesichert. Die Idem-Box gibt ein Alarmsignal ab, sobald der Empfang abbricht und die Verbindung wird neu hergestellt, sobald der Empfang wieder da ist - die Box wählt sich automatisch neu ein. Auf alle Daten kann über eine App zugegriffen werden. mh Start-up Aktive Kühlung für die letzte Meile der Pharmalogistik Am Markt der Kühlkettenpharmalogistik will auch das 2017 gegründete Darmstädter Startup Tec4Med LifeScience partizipieren. Während temperaturkritische Pharmazeutika auf der letzten Transportmeile bislang mit passiven Kühlboxen, also mithilfe von Kühlakkus oder Trockeneis, transportiert wurden, hat Tec4Med den aktiven Kurierbehälter Nelumbox entwickelt. Dieser wird nicht nur elektrisch betrieben, sondern sammelt auch Daten über die Kühltemperatur innerhalb der Box, die via Cloud eingesehen und kontrolliert werden. Die Nelumbox ist für eine duale Nutzung konzipiert: Sie dient nicht nur dem Transport, sie kann auch von Patienten vor Ort verwendet werden. Geschäftsführer Nico Hoeler sieht denn auch klinische Studien, die beim Patienten zu Hause durchgeführt werden, als weiteres künftiges Anwendungsgebiet."Sobald das Medikament an den Patienten geliefert oder von ihm abgeholt wird, kann die aktive Kühlbox als stationärer Kühlschrank verwendet werden. So können auch größere Mengen an Medikamenten sicher beim Patienten zu Hause gelagert und überwacht werden", erklärt der Gründer. Bislang konnte das Medizintechnik-Start-up nach eigenen Angaben eine siebenstellige Summe einsammeln. In einer Pre-Seed-Finanzierungsrunde war bereits der Bito Campus als strategischer Lead-Investor bei Tec4Med eingestiegen. Das Mitte letzten Jahres im pfälzischen Meisenheim eröffnete Gründungs- und Innovationszentrum ist eine Tochter der Franz Bittmann Holding, die wiederum zum Lagertechnikspezialisten Bito gehört. Darüber hinaus zählt die Beteiligungsmanagement Gesellschaft Hessen zu den Investoren.Mit dem Geld will Tec4med nach eigenen Angaben die Serienproduktion seiner Nelumbox starten und die Produkterweiterung auf weitere Gebiete starten. mh

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