Alles im Fluss

Aus dem Straßengüterverkehr sind Routenplanungssysteme nicht mehr wegzudenken. An Softwares, die möglichst kostengünstige Touren ermitteln, hierfür Lenk- und Ruhezeiten, Baustellen oder aktuelle Staus berücksichtigen und Mautkosten und Emissionen berechnen, herrscht kein Mangel. Jetzt sollen solche Lösungen auch in der Binnenschifffahrt Einzug halten. Tool für intelligente Tourenplanung Als "Tool für eine intelligente Tourenplanung" bezeichnet Alexander Schmid, Partner von Bearing Point, den Digitalen Schifffahrtsassistenten (DSA), den die Unternehmensberatung seit Ende 2016 mit öffentlichen Fördergeldern entwickelt hat. "Mit dem DSA ermitteln Binnenschiffer abhängig von den Pegelständen die optimale Routenführung für eine Tour", sagt der Unternehmensberater. Als Folge können sie Ankunftszeiten in Schleusen und an Liegeplätzen genau berechnen und ihren Auftraggebern frühzeitig mitteilen, wann sie im Zielhafen voraussichtlich eintreffen werden. "Der DSA wertet die Binnenschifffahrt als Verkehrsträger auf", ist Schmid überzeugt. Im Juli wird Bearing Point einen viermonatigen Feldtest starten. Jeder Binnenschiffer kann die DSA-App downloaden und im Berufsalltag ausprobieren. "Mit den Erkenntnissen aus diesem Test wollen wir bis 2019 ein marktreifes Produkt entwickeln", sagt Schmid. Die Digitalisierung macht vor keinem Unternehmen halt - auch nicht vor Binnenschifffahrts-Unternehmen. Während sich jedoch Güterverkehre auf anderen Verkehrsträgern von vielen analogen Prozessen längst verabschiedet haben, zeichnete sich die Binnenschifffahrt durch ein standhaftes Beharren aus. In einer Branche, in der viele Mitarbeiter über 50 Jahre und Fahrzeuge über 60 Jahre alt sind, setzen sich Innovationen langsamer durch. Jetzt aber könnte dieser Verkehrsträger, der gerne mit seiner Klimafreundlichkeit wirbt, vor einschneidenden Veränderungen stehen. Parallel zum DSA-Launch werden die ersten Weichen für autonomes beziehungsweise teilautonomes Fahren gestellt. Ende Juli will das Duisburger Entwicklungszentrum für Schiffstechnik und Transportsysteme (DST) eine Studie vorstellen, die die Potenziale für Platooning und andere automatisierte Fahrlösungen auf dem Rhein analysiert. Auch die ostdeutsche Binnenschifffahrt hat dieses Trendthema für sich entdeckt. Mitte März präsentierte Jan Ninnemann, Geschäftsführer der Hanseatic Transport Consultancy (HTC) in Hamburg, seine Empfehlungen für ein Pilotprojekt in den Binnenschifffahrtsgewässern rundum Berlin. Der Wissenschaftler nannte drei bis zu 55 Kilometer lange Streckenabschnitte, welche für ein solches Projekt infrage kommen. Ninnemann ist auch federführend für das Projekt Elbe 4.0, das die Anrainerländer Brandenburg, Hamburg und Sachsen-Anhalt in Auftrag gegeben haben. In einer Studie, die Experten des HTC und des Instituts für Automation und Kommunikation (IFOK) in Magdeburg 2017 erstellt haben, werden zahlreiche Maßnahmen zur Digitalisierung der Binnenschifffahrt aufgelistet. Das Spektrum reicht von Telematik-Anwendungen, Echtzeitfahrrinnen-Management und digitalen Schleusensteuerungen über vereinfachte Abrechnungs- und Meldeverfahren bis hin zu digitalen Frachten- und Transportbörsen. Teilautonomes Fahren ist ein Thema Auch Vorschläge für teilautonomes Fahren finden sich in der Studie: Ninnemann und seine Co-Autoren empfehlen eine Rückkehr zur Schleppschifffahrt, welche gerade auf der Elbe sehr verbreitet war und mit teilautonomen Lösungen erheblich kostengünstiger gestaltet werden kann. "Automatischen Steuerungen werden pro geschlepptem Schiff ein oder zwei Mitarbeiter sparen", hat der Experte ermittelt. Jetzt fürchtet Ninnemann jedoch, dass das Elbe-4.0-Gutachten in der Schublade verschwindet. "Bis heute gibt es keinen Fahrplan, welche Projekte zuerst realisiert werden sollen", klagt der Wissenschaftler. Auch seien weder im Bundeshaushalt noch im EU-Haushalt Mittel für Elbe 4.0 hinterlegt worden. Fortschritte gibt es hingegen in Brandenburg. Mitte April kündigte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ein digitales Testfeld auf der Spree-Oder-Wasserstraße (SOW) an. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, dass die SOW wegen ihres geringen Schifffahrtsaufkommens den Vorzug gegenüber der Elbe bekommen habe. Bei Unfällen halten sich die Folgeschäden in Grenzen. Solche Befürchtungen spiegeln die Unsicherheiten wider, die vor dem Start von Pilotprojekten ausgeräumt werden müssen. Vor allem bei autonomen und teilautonomen Fahrtechnologien sind noch Fragen offen. "Jede Lösung muss sich an die aktuellen Wasserbewegungen anpassen", weiß Joachim Zöllner, Vorstand und Projektkoordinator des DST. Ausländische Pilotprojekte wie Roboat in Amsterdam, das Smart Shipping für Kleinfrachten in den Kanälen der Millionenmetropole testet, sind nicht auf deutsche Binnenwasserstraßen übertragbar. Mit 22 Partnern aus sechs EU-Ländern nimmt DST am europäischen Projekt Novimar teil, das Platooning-Lösungen für Short-Sea- und Binnenschifffahrtsverkehre entwickelt. "Bei Rhein-Verkehren müssen solche Fahrtechnologien die geringen Passageabstände von nur einem Meter und ständig wechselnde Pegelstände berücksichtigen", zieht Zöllner eine erste Bilanz des Novimar-Engagements. Im Gegensatz zu Lkw müssen Binnenschiffe bei jeder Tour ihre genauen Fahrwege ständig neu anpassen. Mehr Präzision bei den Pegelständen Mit Spannung warten deshalb auch die DST-Experten auf die Ergebnisse des DSA-Feldtests. Für die Binnenschiffer, die an diesem teilnehmen, geht es um weit mehr: Sie hoffen, dass sie mit dem neuen Tool vorhandene Kapazitätsreserven erschließen und ihr Verkehrsträger wirtschaftlicher wird. "Mit einer präzisen Pegelstandsprognose können wir Rückladungen besser planen", bestätigt Ralf Kiepe von der Heinz und Ralf Kiepe Schifffahrts OHG im niedersächsischen Haren. "Die vorhandenen Daten reichen hierfür nicht aus." Dieses Defizit soll der DSA beseitigen. Mithilfe der Technischen Universität Berlin und der Bundesanstalt für Gewässerkunde hat Bearing Point neue Prognosemodelle entwickelt, die dank zusätzlicher Messstellendaten Prognosen für die nächsten zehn Tage erlauben. "Wir wollen diese Frist weiter verlängern", versichert Schmid. Mehr zum Thema im Dossier "Binnenschifffahrt" www.verkehrsrundschau.de/dossiers Donau-Flussfahrt WAMS sorgt für eine reibungslose Schifffahrt Mit dem digitalen Wasserstandsmanagement-System WAMS hält Via Donau den Schifffahrtsbetrieb auf dem österreichischen Flussabschnitt aufrecht. "Die Software spürt Seichtstellen auf, bevor diese überhaupt entstehen", erläutert Sprecher Andreas Herkel. Als Folge kann die Wasserstraßengesellschaft Ausbaggerungen und Instandhaltungsarbeiten sofort einleiten und spart Kosten von 10 bis 15 Prozent.Jetzt sollen im Zuge eines EU-Projekts auch ost- und südosteuropäische Donau-Anrainerstaaten an WAMS angeschlossen werden. Voraussichtlich Ende 2019 wird die länderübergreifende Lösung abgeschlossen sein. Bis dahin müssen zusätzliche Pegelstellen aufgebaut, Bojen mit GPS nachgerüstet und zahlreiche Markierungen und Warnsignale digitalisiert werden. Via Donau arbeitet an weiteren Verbesserungen: So funken seit Kurzem digitalisierte Verkehrszeichen Fehlfunktionen an die Zentrale und veranlassen von sich aus Reparaturen. bot

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