Afghanistan

Afghanistan Operation Abzug Im Jahr 2014 steht ein logistisches Mammutprojekt auf der Agenda: der Abzug der deutschen und weiterer Nato-Streitkräfte aus Afghanistan. Welche Aufgaben sich damit für Logistikdienstleister ergeben, welche Risiken damit einher gehen. Mögliche Szenarien. W ie lassen sich in nur mehr knapp 18 Monaten bis Ende 2014 über 4000 Bundeswehrsoldaten, 1700 Fahrzeuge, Wohncontainer, Munition, Sanitäranlagen, Küchenausstattung und vieles mehr nach Deutschland zurückführen? Über dieser Frage brüten Gerald Funke und seine Kameraden seit vielen Monaten. „5500 bis 6000 Container werden dazu wohl insgesamt benötigt werden“, schätzt Funke, seines Zeichens Abteilungsleiter Logistik im Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam. Drohende Kapazitäts-Engpässe Größtes Problem bei der Operation: Vieles liegt noch im Unklaren. Selbst der tatsächliche Zeitpunkt der „Rückverlegung“ aus Afghanistan, wie der Abzug der deutschen Soldaten fachlich korrekt heißt, steht immer noch nicht verbindlich fest. Alles „hängt von der Ausgestaltung des neuen Mandats ab, über das der Bundestag voraussichtlich erst im Januar 2013 entscheiden wird“, sagt Funke. Erschwerend kommt hinzu, dass neben den Deutschen auch alle anderen 50 Nato-Staaten, die bislang in diesem Land im Einsatz sind, bis Ende 2014 Afghanistan verlassen wollen – ausgenommen Frankreich, das schon in diesem Jahr seinen Abzug vorbereitet. Damit summieren sich Medienberichten zufolge die abzutransportierenden Volumina auf insgesamt 70.000 Fahrzeuge und 120.000 Großcontainer auf, die bis Ende 2014 in die jeweiligen Heimatstaaten zurückverlegt werden sollen. Kein Wunder, dass es manchen Logistikdienstleistern mulmig zumute wird, wenn man sie zur Machbarkeit des Vorhabens befragt. „Die Zeit drängt“, sagt Matthias Magnor, Geschäftsführung Projektmanagement von Hellmann Worldwide Logistics in Osnabrück. Er hat schon viele logistische Großprojekte gemanagt und weiß deshalb, wie wichtig der Faktor Zeit gerade in der Logistik ist. Seine Befürchtung ist: „Je später das Bundesamt für Wehrverwaltung die Ausschreibungen für die Rückführung startet, desto schwieriger wird es, am Markt ausreichend Transportkapazitäten zu sichern.“ Weltweit gebe es an passenden Fluggeräten gerade einmal 28 bis 30 Antonovs und eine limitierte Anzahl an Iljuschins, die für derlei Projekte überhaupt geeignet seien – neben dem Equipment diverser Logistikdienstleister. Und da gelte nun einmal stets das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“. Im Klartext: Es drohen ernst zu nehmende Kapazitäts-Engpässe. Es gibt zwar für alles das – zumindest was die deutsche Bundeswehr betrifft – entsprechende Planungen. Konkretes weiß aber selbst der für die Logistik verantwortliche Funke zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Denn Grundlage für die Rückverlegung der deutschen Streitkräfte nach Deutschland sei nun einmal „das politische Mandat, das den Handlungsrahmen bestimmt“, betont er. „Aus den daraus abzuleitenden noch benötigten militärischen Fähigkeiten wird dann auf der Zeitachse eine Verlegeplanung erarbeitet und umgesetzt werden“, führt der Oberst aus. Da er aber heute das künftige Mandat nicht kenne, „müssen die Möglichkeiten des Handelns so weit wie möglich offengehalten werden, um der Politik jederzeit größtmögliche strategische Handlungsfreiheit zu belassen“. Das große Aufräumen hat schon begonnen Fest steht bislang nur, dass die Soldaten bis Ende 2014 in Afghanistan bleiben sollen, um die dortige Armee und Polizei zu unterstützen. „Neben dieser Hauptaufgabe der deutschen Soldaten laufen die Planungen zum Projekt Rückverlegung“, betont Funke. Rund 60 deutsche Soldaten seien derzeit vor Ort zugange, sämtliche Materialien zu erfassen und zu prüfen, welche davon in Afghanistan verbleiben oder entsorgt werden und welche nach Deutschland sollen. Nach diesem Check kenne man, so der Oberst, die konkreten Volumina und den tatsächlichen Kapazitäten-Bedarf. Und erst danach wird das Bundesamt für Wehrverwaltung in Bonn die Ausschreibungen an die private Logistikwirtschaft tätigen (siehe Kasten Seite 34). Man dürfe aber nicht vergessen, unterstreicht Funke, dass die deutschen Streitkräfte in Afghanistan permanent versorgt werden müssten. „Freie Transportkapazitäten in Flugzeugen werden bereits auf dem Rückflug genutzt, um nicht mehr benötigtes Material nach Deutschland zurückzubringen“, führt er aus. Sprich: Das große Aufräumen hat bereits begonnen. Und selbstverständlich nutze die Bundeswehr sowohl für die Versorgung als auch für die sukzessive Rückführung diverse Logistikdienstleister, bestätigt ein Sprecher des Bundeamts für Wehrverwaltung. Konkrete Namen will er nicht nennen und verweist darauf, dass im Bundesministerium für Verteidigung derlei Übersichten und Statistiken nicht zentral geführt werden würden. Recherchen der VerkehrsRundschau zufolge sind es insbesondere namhafte Logistikgrößen wie Deutsche Post DHL, die für diese Aufgaben im Auftrag der Bundeswehr tätig sind, was einige auf Anfrage bestätigen. Keines der Unternehmen will sich aber zu diesem Thema äußern. „Aus Sicherheitsgründen“, so die einhellige Aussage, ziehe man es lieber vor, nichts in diesem Zusammenhang zu sagen. Entsprechend vage sind auch die bislang vorliegenden Informationen zu den möglichen Routen, über welche die Materialen aus Afghanistan nach Deutschland zurück-geführt werden sollen. Problem ist, dass dieses Land keinen Seehafen hat, und im Süden die dort eingesetzten US-Amerikaner und Briten ihr Material über den pakistanischen Seehafen Karachi ausführen wollen. Der Schwerpunkt der Rückverlegung der deutschen Kräfte wird deshalb voraussichtlich über den Norden des Landes erfolgen – entweder per Luftfracht, über LKW oder über die einzige Eisenbahnlinie des Landes. Sie startet in Mazar-i-Scharif, in der die Bundeswehr quasi ihre logistische Drehscheibe in Afghanistan hat, führt über den Grenzort Heiraton nach Usbekistan und Kasachstan bis möglicherweise zum litauischen Seehafen Klaipeda. Und von dort aus können die Mengen dann auf entsprechende Seeschiffe oder auch LKW verladen werden. Alternativ könnte das Material per LKW über Tadschikistan aus Afghanistan verbracht werden – wenngleich über ein marodes Straßennetz. Dafür seien aber weitere Transitabkommen mit den besagten Ländern notwendig, führt Funke aus. Gegen beide Varianten spricht laut Hellmann-Mann Magnor indes, dass sich die Nachbarländer Afghanistans „den Transit vermutlich teuer bezahlen lassen werden“. Zudem befürchtet der Manager, dass Material den Taliban in die Hände fallen könnte – die Verlustquoten bei Landtransporten seien hoch. Zumal es für Logistikdienstleister dem Vernehmen nach keinen militärischen Geleitschutz geben soll. Außerdem ist nach der vertraglichen Übergabe der Materialien ausschließlich der Spediteur für die Ware bis zur Verbringung an den Zielort verantwortlich. Bleibt also nur die kostenintensive Variante Lufttransport – von Mazar-i-Scharif direkt nach Deutschland oder aber über ein zentrales Hub im Nato-Mitgliedsland Türkei und von dort aus via Seefracht in deutsche Häfen. Auch dafür gibt es entsprechende Überlegungen im Einsatzführungskommando. Und genau das ist für den Logistiker Magnor die große Herausforderung: „Die Rückverlegung der deutschen Streitkräfte ist ein immenser logistischer Kraftakt“, sagt er. „Im Zusammenspiel mit der Logistikbranche wird die Bundeswehr diesen jedoch schaffen.“ Je später aber die dafür nötigen Kapazitäten fest stehen, desto teurer werde das Ganze. „Machbar ist immer alles – die Frage ist nur zu welchem Preis.“ ❙❚■ Eva Hassa Vom Geländewagen bis zum schweren Panzer: Über 1700 Fahrzeuge wollen die Deutschen bis 2014 aus Afghanistan abziehen Afghanistan Afghanistan, offiziell Islamische Republik Afghanistan, ist ein Binnenstaat Südasiens an der Schnittstelle von Süd- und Zentralasien, der an den Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, China und Pakistan grenzt. Das Land ist fast doppelt so groß wie Deutschland und hat insgesamt 29,8 Millionen Einwohner. Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 in den USA führen die US-Amerikaner gegen die Taliban in Afghanistan Krieg, weil das Land Mitgliedern von Terrororganisationen Unterschlupf gewährt hatte. Seit dem Jahr 2001 sind auch Bundeswehrsoldaten am Hindukusch im Einsatz. eh Afghanistan grafik Mangels Seehafen wird wohl der größte Teil der Materialien aus der afghanischen Stadt Mazir-i-Scharif via Luftfracht direkt nach Deutschland geflogen – oder aber über ein noch zu errichtendes Zentral-Hub in die Türkei und von dort aus per Seefracht nach Deutschland eh Der Weg zurück aus Afghanistan – die Logistikkette wird wohl über den Norden des Landes erfolgen Afghanistan Öffentliche Ausschreibungen des Bundes: So laufen sie ab Die mit der Rückverlegung der deutschen Streitkräfte aus Afghanistan anstehenden Transport- und Logistikaufgaben werden im Laufe der nächsten Jahre im Auftrag des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg), insbesondere durch das Bundesamt für Wehrverwaltung in Bonn, vergeben werden. In der Regel ist die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung beziehungsweise eines offenen Verfahrens vorgesehen. Dieses läuft wie folgt ab: Bekanntmachungen des Verfahrens bei BUND.de (EU-weite Vergabe: simap.eu) Bei Interesse werden die Angebotsunterlagen an die anfordernden Firmen übersandt Nach Veröffentlichung muss bei EU-weiten Verfahren eine Angebotsfrist von 52 Kalendertagen eingehalten werden. Beim nationalen Verfahren legt das nationale Vergaberechtverfahren (1. Abschnitt VOL/A) keine genaue Zeitspanne fest, es sollte aber eine Angebotsfrist von vier Wochen nicht unterschritten werden Mit Ablauf der Angebotsfrist findet die Angebotsöffnung und Dokumentation statt Gemäß Paragraf 16 VOL/A beziehungsweise 19 EG VOL/A (europaweite Vergabe) erfolgt die Prüfung und Wertung der Angebote. Nachdem die Angebote auf Vollständigkeit sowie auf rechnerische und fachliche Richtigkeit geprüft wurden, wird gemäß Paragraf 18 VOL/A beziehungsweise 21 EG VOL/A der Zuschlag auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot erteilt. Der niedrigste Angebotspreis allein ist grundsätzlich aber nicht entscheidend Nach erfolgtem Zuschlag sind die nichtberücksichtigten Bieter auf deren Antrag zu benachrichtigen. Bei EU-weiten Ausschreibungen besteht vor Zuschlagserteilung eine Benachrichtigungspflicht nach Paragraf 101a Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB). Die Rechtsschutzfrist bis zur Zuschlagserteilung liegt bei 15 Kalendertagen. eh Der größte Lastenflieger: die Antonov vERGABEVERFAHREN „Die Zeit drängt – sonst werden die Kapazitäten knapp“ Warum der Abzug aus Afghanistan aus logistischer Sicht bis zum Jahr 2014 schwierig werden könnte, sagt Matthias Magnor, Geschäftsführung Projektmanagement bei Hellmann Worldwide Logistics. Wie kann die Logistikwirtschaft der Bundeswehr bei ihrem Afghanistan-Abzug helfen? Matthias Magnor: Unterstützen können die Logistikdienstleister vor allem in puncto Transportdurchführung und Frachtraum-Bereitstellung. Außerdem können wir bei der Erstellung eines etwaig notwendigen Hub-Konzeptes helfen, über das die Transporte gebündelt und abgewickelt werden sollen – sowohl konzeptionell, IT-technisch als auch personell. Schlussendlich können wir auch die rückgeführten Materialien in Deutschland entsprechend logistisch handhaben – also Unterstützungsleistungen für die Basislogistik erbringen. Sind dafür schon entsprechende Ausschreibungen an Logistikdienstleister gelaufen? Aller Voraussicht nach dürften diese im dritten oder vierten Quartal in diesem Jahr anstehen. Denn die Zeit drängt. Schließlich wollen auch andere ISAF-Nationen im Jahr 2014 ihre Streitkräfte aus Afghanistan abziehen. Will man dann über ausreichend Kapazitäten verfügen, sollte man also bald die notwendigen Mengen wissen. Sonst drohen Kapazitäts-Restriktionen. Droht der Abzug der deutschen Streitkräfte also zeitlich verschoben zu werden? Nein, das glaube ich nicht. Es wird derzeit sehr genau untersucht, welche Materialien die Deutschen in Afghanistan belassen, dort entsorgen oder nach Deutschland zurückführen. Diese Sondierung läuft noch. Von deren Ergebnis hängen natürlich die nötigen Transportkapazitäten ab. Welche Routen empfehlen sich aus Ihrer Sicht, um die Materialien zurückzuführen? Der Landweg ist schwierig – allein aus Sicherheitsgründen. Wenn überhaupt, empfehlen sich für die Bundeswehr im Landtransport die Nord-Routen aus Afghanistan. Ansonsten bietet sich für sicherheitskritisches Material nur Luftfracht an. Dies ließe sich beispielsweise mit einem zentralen Hub in der Türkei als Nato-Partner kombinieren. Von dort aus könnte die Verschiffung an die deutschen Seehäfen erfolgen. eh Interview Matthias Magnor

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