Arbeitsrecht: Recht und billig

In Kürze Ein Unternehmen darf seinen Mitarbeitern Anweisungen erteilen, aber es gibt Grenzen dieses Weisungsrechts. Einfach zu beurteilen ist dies, wenn es um arbeitsvertragliche oder rechtliche Regeln geht. Dagegen sind unbillige Weisungen nicht immer klar als solche zu erkennen. Ein Unternehmer hat das Recht, seinen Mitarbeitern Anweisungen zu geben. Dieses Direktionsrecht ist in Paragraf 106 Satz 1 der Gewerbeordnung geregelt. "Grundsätzlich ist es so, dass der Arbeitgeber den Inhalt, die Zeit und den Ort der Arbeitsleistung näher bestimmen kann", erklärt Volker Görzel, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei HMS.Barthelmeß Görzel. Aber nicht alles ist erlaubt: "Es gibt Grenzen des Weisungsrechts." Weisungen dürfen weder gegen den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung, einen Tarifvertrag oder ein Gesetz verstoßen. "Wenn zum Beispiel im Arbeitsvertrag geregelt ist, dass ein Lkw-Fahrer nur für den Regionalverkehr in NRW eingesetzt werden soll, kann der Arbeitgeber ihn nicht nach Barcelona schicken." Ähnliches gilt für im Arbeitsvertrag geregelte Arbeitszeiten. Wenn keine Nachtschichten vereinbart sind, kann ein Arbeitgeber diese nicht anordnen. Solche Weisungen könnte der Mitarbeiter verweigern, ohne dass ihm deswegen gekündigt werden darf. Ausnahme für den absoluten Notfall Von dieser Regel gibt es eine Ausnahme: Im Notfall kann der Arbeitgeber Anweisungen geben, die nicht zum im Arbeitsvertrag beschriebenen Tätigkeitsfeld zählen oder eine nicht vereinbarte Mehrarbeit beinhalten. Es muss sich aber um einen wirklichen Notfall handeln. Sogenannte Eilfälle wie ein grade unerwartet hereingekommener großer Auftrag zählen nicht dazu, erklärt Görzel. "Ein solcher Notfall wäre zum Beispiel ein Hochwasser, das den Betrieb betrifft. Und der Fahrer erhält die Anweisung, mit anzupacken beim Lager ausräumen." Unbilligkeit oft schwer zu erkennen Neben diesen vertraglichen oder rechtlichen Grenzen des Weisungsrechts sieht das Gesetz noch eine zweite Hürde vor: Auch wenn die Weisung mit dem Vertrag im Einklang stünde, darf sie nicht gegen billiges Ermessen verstoßen. "Dieser Begriff ist wesentlich schwammiger. Hier muss der Arbeitgeber abwägen zwischen seinen unternehmerischen Interessen und den Interessen des Angestellten." Dabei ist auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Verstößt die Weisung gegen billiges Ermessen, spricht man von einer unbilligen Weisung. Für den Laien sei es oft schwer, klar zu erkennen, wann eine Weisung noch billig ist und wann sie unbillig wird, hebt Görzel hervor. So komme es in der Praxis vor, dass sich Weisungen an der Grenze dessen befänden, was noch billig ist. Etwa wenn ein Lagerarbeiter laut ärztlichem Attest nur zehn Kilogramm schleppen darf, der Vorgesetzte ihm aber Ware mit 10,5 Kilogramm gibt. Eindeutig unbillig sind Weisungen, bei denen eine Gefahr für Leib und Leben besteht: Görzel nennt als Beispiel einen russischstämmigen Lkw-Fahrer, der eine Lieferung in die Ukraine bringen soll. Ebenso sind gesundheitliche Gefahren, irreparable Schäden des beruflichen Ansehens oder schwere Gewissenskonflikte - etwa aus religiösen Gründen - eindeutige Hinweise auf eine unbillige Weisung. "Es muss ein sogenanntes gesteigertes Abwehrinteresse des Arbeitnehmers geben", so der Anwalt. Gerichtsentscheid mit Folgen Auch bei unbilligen Weisungen hat der Mitarbeiter ein Verweigerungsrecht. "Jetzt kommt das große Aber: Das bedeutet nicht, dass er rechtmäßige Weisungen verweigern darf." Entspricht die Weisung doch billigem Ermessen, dann kann der Arbeitgeber Sanktionen bis hin zu einer fristlosen Kündigung ergreifen. Verweigert der Mitarbeiter in so einem Fall die Arbeit komplett, braucht der Unternehmer keinen Lohn zu zahlen. Will der Mitarbeiter dagegen vorgehen, bleibt ihm nur der Gang vor das Arbeitsgericht. Dieses stellt dann fest, ob die Weisung noch billigem Ermessen entspricht. Stellt das Gericht im Nachhinein fest, dass die Weisung doch unbillig war, dann sind Abmahnungen, der mögliche Einbehalt des Lohnes und gegebenenfalls eine Kündigung unwirksam. Das heißt, wenn ein Unternehmer etwa den Lohn einbehalten hat, muss er diesen dem Mitarbeiter nachzahlen. "Dass eine Kündigung unwirksam ist, kommt in der Praxis oft vor." Kommunikation ist alles Streitigkeiten über das Weisungsrecht seien häufig das Einfallstor für Beendigungsgespräche, aber nicht immer. Es sei die Frage, ob man den Streit eskalieren lassen will. Oder man versucht, auf kommunikative Weise eine Lösung herbeizuführen. "Wenn es sich um krankheitsbedingte Arbeitsverweigerung handelt, kann häufig ein sogenanntes betriebliches Eingliederungsmanagement erfolgreich sein." In diesem lässt sich dann klären, ob es gegebenenfalls bestimmte Tätigkeiten gibt, die der Mitarbeiter nicht durchführen sollte. Wird mit Abmahnungen oder kritischen, also grenzwertigen Weisungen gearbeitet, "ist das oftmals für das geübte anwaltliche Auge ein Indiz dafür, dass es eine Krise im Arbeitsverhältnis gibt", erläutert Görzel. Hier sei tatsächlich auch der Unternehmer als Führungsverantwortlicher gefragt, einen Blick auf die Vorgänge im Unternehmen zu haben und gegebenenfalls vermittelnd einzugreifen. Denn in der Praxis sei es oft so, dass die unbilligen oder grenzwertigen Weisungen nicht aus der Geschäftsführungsebene kommen. Sie kommen laut dem Rechtsanwalt meist aus dem unmittelbaren Umfeld des Arbeitnehmers, etwa vom direkten Vorgesetzten. Können sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht auf kommunikativem Wege darüber einigen, ob die Weisung unbillig oder rechtmäßig ist, und wird keine Lösung gefunden, kann dies dazu führen, dass der Mitarbeiter vor Gericht geht. In diesem Fall ist das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Parteien meist aber schon nachhaltig gestört. "Wenn sich ein Arbeitnehmer entschließt, gegen eine unbillige Weisung zu klagen, dann ist das Ziel meistens nicht mehr, dort ungestört weiterzuarbeiten, sondern den Arbeitgeber dazu zu bewegen, sich gegen Zahlung einer Abfindung zu trennen", so der Anwalt.

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