In den „Thesen 2016“ befassen sich die Redakteure der VerkehrsRundschau mit den wichtigsten Themen des neuen Jahres. Welche Trends und Entwicklungen bestimmen die tägliche Arbeit von Logistikern? Zugespitzt und kontrovers soll die Thesen-Serie in den ersten Tagen des Jahres 2016 zur Diskussion anregen – nutzen Sie dazu gerne auch die angegebene E-Mail-Adresse oder das Kommentarfeld. Wir freuen uns auf Ihre Meinungen!
Was bei der Bahn funktioniert, kann beim Lkw nicht falsch sein. So oder so ähnlich müssen Siemens-Entwickler und einige Lkw-Hersteller gedacht haben, als das Projekt Enuba („Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen") aus der Taufe hoben, welches das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) förderte, um zu untersuchen, wie sich Lkw-Verkehr energieeffizienter und umweltfreundlicher gestalten lässt. Dier ersten Ergebnisse verliefen vom Handling her so positiv, dass der ersten Teststrecke nördlich von Berlin zwei weitere Abschnitte in den USA und Schweden folgen werden, wobei es sich in beiden Fällen um Zubringerstrecken zu Häfen handelt.
Kernelement ist ein intelligenter Stromabnehmer in Kombination mit einem Hybridantriebssystem. Sensoren ermöglichen dem Stromabnehmer das automatische An- und Abbügeln bis zu einer Geschwindigkeit von 90 km/h. Die Oberleitungs-Lkw ziehen während der Fahrt aus Oberleitungen elektrische Energie und fahren dann lokal emissionsfrei. Auf Straßen ohne Oberleitung rollen die Lkw in Schweden mit einem Hybridsystem, das den Dieselmotor beinhaltet. Alternativ kann das System auch mit Batterie oder komprimiertem Erdgas betrieben werden.
Das System funktioniert in der Praxis
Die Vorteile der Oberleitungs-Lkw liegen auf der Hand: wie beim Zug könnten größere Einheiten zusammengekoppelt werden, die emissionsfrei fahren, sofern der benötigte Strom dafür „grün“ erzeugt wurde. Außerdem entfällt der aufwändige Unterbau, den eine Eisenbahntrasse nach sich zieht. Dass das System auch in der Praxis funktioniert, bestätigte erst im Herbst 2015 eine Infoveranstaltung, bei der sich auch die „testenden“ Lkw-Fahrer positiv zum System äußerten. Außerdem könnte über die Oberleitung das Reichweitenproblem des elektrischen Antriebs via Batterie ein für alle Mal ad acta gelegt werden, zumal sich Strom als Antriebsenergie auf diverse Arten erzeugen lässt und als einziger Energieträger immer vorhanden sein wird.
Hauptnachteil sind bislang die extrem hohen Entstehungskosten der Oberleitungsstrecken und Lkw, die pro Kilometer schnell in siebenstellige Bereiche vorstoßen. Das dürfte vorerst der Haupt-Hemmschuh des großflächigen Ausbaus bleiben, zumal die Dieselpreise sich gerade auf dem Weg in den Keller befinden. Umso mehr wird davon abhängen, welche politischen Treiber hinter dem Oberleitungs-Lkw stehen.
So hat Schweden ehrgeizige Klimaziele ausgerufen: bis zum Jahr 2030 soll ein von fossilen Brennstoffen unabhängiger Transportsektor entstehen. Wenn man das wirklich umsetzen will, wird man um eine Art der Elektrifizierung kaum herumkommen, zumal das Problem der Emissionen dann vom großflächigen Verkehr punktuell auf die Kraftwerke zurückverlagert wird. Insofern steht fest: Wer es schnell ernst meint mit Zero Emission, wird an Oberleitungen für Lkw (vorerst) nicht vorbeikommen – es sei denn, Siemens findet eine andere Möglichkeit zur Übermittlung der Energie.
Gregor Soller, Redakteur im Zentralressorts Test + Technik
Gregor Soller ist im Zentralressort Test + Technik für Anhänger, Aufbauten und Baufahrzeuge zuständig. Der Diplom-Designer (geboren 1972 in München) arbeitet seit 2003 als Redakteur für die VerkehrsRundschau.
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Brohm