Fahrbericht Nikola: Elektrifizierte Newcomer

Noch wissen wahrscheinlich nur wenige das N in der Front dieses Iveco S-Way einzuordnen. Das N steht für Nikola, ein US-amerikanisches Unternehmen, in das 2019 CNH Industrial einstieg, wozu auch Iveco gehört. Ziel beider Unternehmen: nichts weniger als den Markt der vollelektrischen Schwer-Lkw aufmischen. Dafür macht der Nikola Tre BEV (Battery Electric Vehicle), den die VerkehrsRundschau bereits für eine exklusive Testfahrt ausprobieren durfte, einiges anders als die Wettbewerber in dieser Klasse. Getriebe und Kardanwelle sucht man hier vergebens, stattdessen entwickelten die Ingenieure von Fiat-Power-Train (FPT) eine neue 13-Tonnen-Antriebsachse, an die zwei kompakt bauende Elektromotoren direkt angeflanscht sind. Das schafft Vorteile bei der Akkukapazität, denn Nikola kann den hier freien Platz zwischen den Rahmenträgern zusätzlich für Batterien nutzen. Wofür man der Iveco-S-Way-Basis eine verbreiterte Rahmenstruktur modellierte? Damit je drei der modular aufgebauten Batterie-Stacks nebeneinanderpassen. Neun Stacks à 80 kWh kann der Tre mitnehmen, das ergibt eine hohe Energiereserve von 720 kWh. Oder anders gesagt: Nikola verspricht locker bis zu 500 Kilometer Reichweite mit einer Akkufüllung, was deutlich über den Werten der Konkurrenten läge. In 18,8 Sekunden von 0 auf 85 km/h Ein weiterer Vorteil des Nikola-Konzeptes offenbart sich in beeindruckender Weise auf der Iveco-Teststrecke im Werk Ulm, über die wir die dreiachsige US-Version des Tre mit dritter Nachlaufachse fuhren. 840 kW Motorleistung - umgerechnet also 1142 PS (!) - die von keinerlei Zugkraftunterbrechungen durch Schaltvorgänge ausgebremst werden, sorgen für Beschleunigungswerte, die dem Nikola kein anderer (Serien-)Lkw nachmacht! Tritt man das Gaspedal aus dem Stand bis zum Anschlag durch, katapultiert der Tre BEV die insgesamt 38 Tonnen schwere Testfuhre in unglaublichen 18,8 Sekunden auf Reisetempo 85. Ist Letzteres erreicht, spielt das Nikola-Konzept eine weitere Karte aus, denn Antriebseinflüsse sind hinter dem vom Iveco S-Way weitgehend übernommenen Lenkrad keine auszumachen. Umso mehr überrascht, dass der Nikola trotzdem nicht unbedingt zu den Leisetretern seiner Zunft gehört. Damit kein falscher Eindruck entsteht, natürlich geht es auch im Tre um ein Vielfaches leiser zu als in jedem Lkw mit Dieselantrieb. Im Vergleich, beispielsweise zum Volvo FH Electric (siehe VR 2/2022), treten aber deutlich lautere Nebengeräusche auf. Die stammen bei höheren Geschwindigkeiten einerseits vom sich in der Sonnenblende verfangenden Fahrtwind, Hauptgeräuschquelle sind aber die unter Last aufheulenden Lüfter für die Kühlung der Batterien, der Antriebsachse sowie für die Fahrerhausklimatisierung. Das sonst so erhabene Gefühl der Stille eines E-Lastwagens kommt zumindest in dem von uns gefahrenen Vorserienfahrzeug (noch) nicht ganz auf. Testfahrzeug mit Brennstoffzelle Umstieg in den Tre H2, bei dem eine Brennstoffzelle Wasserstoff in elektrische Energie umwandelt. Dabei übernimmt der H2 das modulare Konzept samt der Antriebsachse von seinem batterieelektrischen Bruder - also ebenfalls zwei der 80-kWh-Stacks im Fahrzeugrahmen als Pufferbatterie. Daneben, nämlich rechts und links am Rahmen, befinden sich zwei der insgesamt fünf Wasserstofftanks aus einem hochfesten Carbon-Kevlar-Laminat mit jeweils 14 Kilogramm Fassungsvermögen. Die drei restlichen Tanks müssen aus Platzgründen hinter die Kabine weichen, hier finden sich auch Nebenaggregate, wie der Luftpresser oder die Hochvoltlüfter für die notwendige Kühlung der Brennstoffzelle, die ihrerseits den Platz unterhalb der Kabine komplett ausfüllt. Der größte Vorteil des H2, bezogen auf die batterieelektrische Version, liegt in der höheren Reichweite, die insgesamt 70 Kilogramm Wasserstoff sollen einen Bewegungsradius von bis zu 900 Kilometern ermöglichen. Zudem lassen sich die Tanks innerhalb von 15 Minuten wieder auffüllen - entsprechende Infrastruktur natürlich vorausgesetzt. H2 für den Fernverkehr der Zukunft? Insofern sieht man bei Iveco/Nikola in der Brennstoffzelle durchaus eine zukunftsträchtige Alternative für den "echten" Fernverkehr der Zukunft. Allerdings würde das natürlich erst Sinn machen, wenn klimaneutral produzierter Wasserstoff flächendeckend verfügbar wäre ... Hinter dem Lenkrad bekommen Fahrer und Fahrerin von der, bezogen auf den batterieelektrischen Tre, deutlich aufwendigeren Technik kaum etwas mit. Nach dem Druck auf den D-Schalter im Armaturenbrett und den Tritt aufs Gaspedal setzt sich der Brennstoffzellen-Nikola mit den gleichen Leistungsdaten in Bewegung. Allerdings für die Außenwelt deutlicher vernehmbar, was am turbinenähnlichen Betriebsgeräusch der Brennstoffzelle liegt. Einen künstlich erzeugten Warnton, wie beim außen kaum hörbaren BEV vorgesehen, braucht der H2 daher nicht. In den USA verkauft Nikola bereits Bis Nikola-Kunden Letzteren auf ihren Betriebshöfen stehen haben könnten, dürfte noch einige Zeit vergehen. Anders sieht es beim batteriebetriebenen Tre aus. In den USA laufe der Verkauf bereits, teilen Nikola und Iveco mit. Und auch das zweiachsige Derivat für Europa zieht im Iveco-Werk Ulm bereits seine Kreise auf der Teststrecke. Mit einer Achse hinten weniger, ansonsten aber technisch identisch - inklusive gewaltiger Power für Beschleunigungsrekorde. Gut möglich also, dass das N im Kühlergrill schon bald alltäglich auf unseren Straßen ist. Nikola Tre H2 Motor Zwei an der Antriebsachse angeflanschte Elektro-Motoren, Gesamtleistung: 840 kW (1142 PS), kontinuierliche Leistung: 480 kW (653 PS), max. Drehmoment: 1800 Nm Tanks und Batterien 160 kWh Batteriekapazität als Puffer, bestehend aus 2 modular aufgebauten Batteriestacks à 80 kWh, am Fahrzeugrahmen verbaut, 5 hochfeste Wasserstofftanks aus Carbon-Kevlar mit je 14 kg Fassungsvermögen, 2 Tanks im Rahmen integriert, 3 hinter der Kabine, Tankdauer Wasserstoff: 15 min, Reichweite: bis zu 900 km (Werksangabe) Nikola Tre BEV Motor Zwei an der Antriebsachse angeflanschte Elektro-Motoren, Gesamtleistung: 840 kW (1142 PS), kontinuierliche Leistung: 480 kW (653 PS), max. Drehmoment: 1800 Nm Batterien und Aufladen 720 kWh Batteriekapazität, bestehend aus 9 modular aufgebauten Batteriestacks à 80 kWh, am Fahrzeugrahmen verbaut, Ladezeiten: Gleichstrom (DC) mit CCS2-Anschluss und bis zu 240 kW: 120 min, von 10 auf 80 Prozent Akkukapazität (Werksangabe); Reichweite: bis zu 500 Mehr zum Thema unter #HybridundElektroLkw www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Nikola Corporation machte in der Vergangenheit nicht nur positive Schlagzeilen. 2019 stieg CNH Industrial, wozu auch Iveco gehört, bei dem US-amerikanischen Unternehmen ein. Frucht der Zusammenarbeit ist der Nikola Tre, in dem viele CNH-Komponenten stecken. Nikola ist unter anderem für die Software des E-Lkw verantwortlich.

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