Straßburg. Mehr Rivalität, mehr Gefahren und mehr Skrupellosigkeit: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von Leyen hat die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union auf international schwierige Zeiten eingestimmt. „Wir treten in eine neue Ära verstärkter Konkurrenz ein - eine Ära, in der manche vor nichts zurückschrecken, um an Einfluss zu gewinnen“, sagte die frühere deutsche Verteidigungsministerin am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg. Es sei ein Zeitalter „regionaler Rivalitäten und großer Mächte, die ihr Verhältnis zueinander neu austarieren“.
Konkret erwähnte von der Leyen in ihre Rede China und die USA. Zudem sprach sie von Schurkenstaaten, ohne dabei zu sagen, ob sie in diese Gruppe auch Länder wie Russland einschließt. Um gewappnet für dieses neue Zeitalter zu sein, will von der Leyen nun sowohl „die Seele“ der Europäischen Union stärken, als auch ganz konkrete Projekte voranbringen. Ein Ausschnitt:
Europäische Produktion von Mikrochips ankurbeln
Die derzeitige Abhängigkeit von Hochleistungschips aus Asien schadet aus Sicht der EU-Kommission der europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Deswegen will von der Leyen nun über ein „Chips-Gesetz“ die Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskapazitäten ausbauen. Dies sei nicht nur eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch eine Frage der technologischen Souveränität. Vom Smartphone und Elektroroller bis zu Zügen oder ganzen intelligenten Fabriken – „ohne Chips kein digitales Produkt“, sagte von der Leyen.
Zudem soll über sogenannte „Global-Gateway-Partnerschaften“ in Infrastrukturprojekte investiert werden, die Europa und seine Wirtschaft besser mit anderen Weltregionen vernetzen. Als Beispiele nannte von der Leyen eine Transportverbindung für „grünen Wasserstoff“ zwischen der EU und Afrika.
Um unfaire Konkurrenz aus Drittstaaten wie China weiter einzuschränken, soll zudem ein EU-weites Verbot für Produkte aus Zwangsarbeit kommen. „Menschenrechte sind nicht käuflich - für kein Geld der Welt“, sagte die 62-Jährige. 25 Millionen Menschen würden derzeit durch Drohungen oder Gewalt zur Arbeit genötigt.
Klimaforderungen an das EU-Ausland
Bei einem der wichtigsten Zukunftsthemen räumte von der Leyen ein, dass die EU alleine machtlos ist. „Die derzeitigen Verpflichtungen für 2030 werden nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen“, warnte sie. Große Volkswirtschaften „von den USA bis Japan“ müssten ihre Klimaschutzzusagen nun rechtzeitig mit konkreten Plänen untermauern. Die EU habe als erste umfassende Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Ziele vorlegt.
Darüber hinaus äußerte sich von der Leyen auch zur Verteidigungsstrategie der EU, zu Plänen bei der Gesundheitsvorsorge und zu den Themen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Redefreiheit.
Gemischte Reaktionen
Aus dem Europäischen Parlament (EP) kam ein geteiltes Echo auf von der Leyens Rede. Während sich zum Beispiel der EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber (CSU) positiv äußerte, übten andere scharfe Kritik. So warf der Vorsitzende der SPD-Europaabgeordneten, Jens Geier, von der Leyen vor, keine Antwort auf die Frage zu geben, wie die Klimaziele „ohne soziale Risse und einseitige Härten“ erreichten werden könnten.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Ska Keller monierte ein unzureichendes Tempo beim Klimaschutz und AfD-Chef Jörg Meuthen, der für die Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie im EU-Parlament sitzt, warf von der Leyen „nie zuvor gesehene Ausgabe-Orgien“ vor.
Explizit begrüßt wurde von deutscher Seite das von der Kommission angekündigte Engagement für mehr EU-Investitionen in Infrastrukturprojekte im Ausland. „Ich freue mich sehr, dass die Präsidentin die Idee aufgegriffen hat, eine Initiative für eine regel- und wertebasierte Investitionspartnerschaft zu starten“, kommentierte Botschafter Michael Clauß als der Ständige Vertreter der Bundesregierung bei der EU. Dies sei auch für die europäische Gestaltung der Globalisierung wichtig.
Wie es jetzt weitergeht
Die Rede von der Leyens ist vor allem relevant, weil ihre Behörde als einziges EU-Organ das Initiativrecht im europäischen Gesetzgebungsverfahren hat. Die Vorschläge werden deswegen in den kommenden Monaten präzisiert werden und in vielen Fällen in konkrete Gesetzesvorschläge münden. Dann sind der EU-Ministerrat und das Europaparlament als Gesetzgeber am Zug. (dpa/sn)