Zwang zur Größe?

Eine Traditionsspedition zu führen, die vor fast 500 Jahren erstmals urkundlich erwähnt worden ist, kann Last und Lust sein. Für Wolfram Senger-Weiss ist es Lust: "Das Coolste an meinem Job ist, dass man hier aktiv etwas bewegen und entwickeln kann", schwärmte der Vorsitzende der Geschäftsleitung von Gebrüder Weiss in einem Interview einmal vor Jahren. Senger-Weiss' Weg an die Spitze Seit 2019 führt Senger-Weiss in siebter Generation das österreichische Familienunternehmen Gebrüder Weiss in Lauterach/Vorarlberg, das seine Vorfahren einst gegründet haben (siehe Seite 16). Zuvor zog es ihn aber zunächst in ganz andere Gefilde. So startete er nach seinem Studium der Handelswissenschaften in Wien und seinem MBA an der Wirtschaftshochschule Insead bei Paris zunächst als Vorstandsassistent der Berndorf AG und später als Manager eines Start-ups in den USA. Erst 2003 kam er als Leiter des Corporate Controlling zurück ins Familienunternehmen, das seine Mutter Heidegunde Senger-Weiss bis 2005 40 Jahre lang geführt hatte. Heute erwirtschaftet Gebrüder Weiss 1,7 Milliarden Euro Umsatz (2019). Zukäufe und neue Standorte Anstatt sich auf seinem Erbe auszuruhen, macht Senger-Weiss, der bei Gebrüder Weiss auch den Landverkehr und Vertrieb verantwortet, mächtig Tempo. Alle Neugründungen, Ausbaumaßnahmen und Transaktionen aufzulisten, die allein unter seiner Ägide in den letzten zwei Jahren erfolgten, würde den Artikel sprengen. So eröffnete der 49-Jährige in dieser Zeit unter anderem jeweils einen neuen Standort in Kalifornien, Korea und aktuell in Neuseeland, außerdem entlang der Seidenstraße wie in Georgien und Usbekistan und schloss eine Exklusivpartnerschaft in Russland mit der russischen Stückgutspedition JDE, die mit über 2400 Standorten in diesem Markt präsent ist. Jüngster Coup von Senger-Weiss: die Übernahme der See- und Luftfracht-Aktivitäten der Bremer Traditionsspedition Ipsen Logistics, die im Oktober von den Kartellbehörden genehmigt wurde. Der Kauf umfasst einen Asset-Deal für das operative See- und Luftfrachtgeschäft in Deutschland sowie die Ipsen-Gesellschaftsanteile an den Landesgesellschaften in Belgien, Polen und Malaysia. Hinweis: In den drei letztgenannten Ländern ist das Management jeweils noch mit einer Minderheit an der Gesellschaft beteiligt. Spannend an dem Deal ist vor allem eines: Gebrüder Weiss erhöht damit seine Deutschland-Aktivitäten um weitere acht Air- und Sea-Standorte in großen Städten (siehe Seite 16). Bislang hatte sich das österreichische Unternehmen, das Gesellschafter der Stückgutkooperation System Alliance Europe (SAE) ist, mit eigenen Standorten in Esslingen, Aldingen, Lindau, Memmingen, Passau und Nürnberg nur auf Süddeutschland fokussiert. Gebrüder Weiss breitet sich in Deutschland also aus, wenngleich bislang ausschließlich im See- und Luftfrachtbereich und aufgrund seiner SyA-Partnerschaft nicht im Landverkehr. Inklusive des Ipsen-Geschäfts macht das Unternehmen 300 Millionen Umsatz hierzulande. Wachstumsstrategie in Deutschland Und Senger-Weiss will mehr. "Unser Ziel ist es, in Deutschland weiter zu wachsen", kündigt er an (siehe Seite 16). "Wenn wir in den nächsten Jahren die 500 Millionen Euro erreichen, wäre das schon ein großer Erfolg." Auf die Frage, ob er dieses Wachstum rein organisch erreichen wolle, sagt er: "Unsere Entwicklung wird sich aus organischem Wachstum und Akquisitionen im Bereich Landverkehr zusammensetzen." Sprich: Gebrüder Weiss wird weiter vorpreschen - auch in Deutschland, auch über mögliche Zukäufe. Branchenkenner Jochen Eschborn, Vorstand der Elvis AG, erklärt die Ambitionen des Österreichers in Deutschland so: "Gebrüder Weiss ist in Österreich Marktführer. Und als Marktführer ist es für dieses Unternehmen extrem wichtig, auch in Deutschland, dem wichtigsten Markt Europas, in irgendeiner Form etabliert zu sein." Noch vor wenigen Jahren hätten dafür Partnerschaften mit regionalen Platzhirschen gereicht. Heute braucht es mehr. "Die Kooperationswelt hat sich verändert. Das ist nicht mehr so stabil wie vor zehn, 15 Jahren." Selbst für namhafte Allianzen und Kooperationen bestehe die Gefahr des Auseinanderbrechens", warnt Eschborn. Einer der maßgeblichen Treiber sei da möglicherweise der dänische Transport- und Logistikkonzern DSV, der dem Elvis-Vorstand zufolge keine Angst vor großen Schritten hat, also stets wieder auch große Zukäufe gewagt hat. "Für einen großen Mittelständler wie Gebrüder Weiss ist es daher sehr schwierig, die richtige Zukunftsstrategie zu entwickeln", vermutet Eschborn. "Das Unternehmen wird aus meiner Sicht entweder eigene Niederlassungen in Deutschland gründen oder gezielt zukaufen." Die Kraft dazu habe es. Denn Gebrüder Weiss sei sehr gut aufgestellt und könnte auch in Deutschland in Zukunft eine wichtige Rolle einnehmen, so Eschborn. Konsolidierung im Markt geht weiter "Das könnte durchaus den Wettbewerb verschärfen", kommentiert Steffen Wagner, weltweiter Leiter Transport & Leisure der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Zumal die Konsolidierung im Markt weitergehen werde. Grund sei, dass viele geplante Transaktionen durch die Corona-Krise in diesem Jahr erst mal gestoppt worden seien, nun aber fortgesetzt und gegebenenfalls auch vollzogen würden. Zudem seien durch die Krise einzelne Betriebe in Schieflage geraten, die nun unter Umständen über einen Verkauf nachdenken. Und es gebe durchaus auch kaufwillige Unternehmen. "Alles das wird das Thema Mergers & Acquisitions im Markt weiter befeuern", betont Wagner. "Spätestens zum Jahresende oder am Jahresanfang 2021 werden wir die eine oder andere spannende Transaktion erleben. Sprich: Große und mittlere Unternehmen werden weiter wachsen, und einige kleinere Betriebe werden wegfallen - gerade in der Luft- und Seefracht." Mehr zum Thema finden Sie unter #Gebrüder Weiss www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag "Korrektur: Der Artikel wurde nachträglich geändert. Lauterach befindet sich in Vorarlberg und nicht in Tirol, Berndorf AG statt Berstadt AG, System Alliance Europe (SAE) statt System Alliance (SyA)." Interview mit Wolfram Senger-Weiss, Vorsitzender Geschäftsleitung Gebrüder Weiss „Unser Ziel ist es, in Deutschland weiter zu wachsen“ Sie haben soeben die See- und Luftfrachtaktivitäten von Ipsen Logistics übernommen.An welchen Standorten ist Gebrüder Weiss nun in Deutschland präsent? Die acht Ipsen-Logistics-Standorte in Deutschland befinden sich in Bremen, Bremerhaven, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt/Main und München. Zusätzlich unterhalten wir im süddeutschen Raum Landverkehrsstandorte in Esslingen, Aldingen, Lindau, Memmingen, Passau und Nürnberg. Wo sehen Sie Synergien zu Speditionen wie Diehl und DTC, die Sie vor Jahren kauften? Wir betreiben eine Gebrüder Weiss GmbH, in der wir alle unsere speditionellen Aktivitäten für Deutschland bündeln. In der operativen Verantwortung sind wir jedoch sehr dezentral organisiert. Direkte Synergien gibt es dort, wo Ipsen und Gebrüder Weiss Büros in derselben Stadt haben. Diese werden nun möglichst rasch an einem Standort zusammengeführt. Wichtig ist uns, die Teams zu stärken. Unser Ziel ist es, in Deutschland weiter zu wachsen. Wie sieht Ihre Wachstumsstrategie für den deutschen Markt aus? Deutschland ist der stärkste Logistikmarkt Europas. Hier wollen wir im Bereich Luft- und Seefracht für unsere Übersee-Häuser eine leistungsfähige Organisation und ein starker Partner sein. Und dafür benötigen wir eine entsprechende Marktpräsenz. Zusammen mit Ipsen Logistics haben wir nun eine solide Basis, die wir sukzessive weiterentwickeln wollen. Was planen Sie im deutschen Landverkehr? Deutschland ist für unsere gesamte Landverkehr-Organisation ein äußerst wichtiger Markt. Ausgehend von Lindau und Memmingen haben wir begonnen, den Süden auch mit eigenen Standorten zu entwickeln. Zwei der größeren Schritte haben Sie genannt. Hier wollen wir uns durchaus weiter verstärken und eine noch bessere Abdeckung erreichen. Wir konzentrieren uns aber rein auf die Länder Bayern und Baden-Württemberg. Wenn sich da Opportunitäten ergeben, also Unternehmen verkaufen wollen, werden wir das prüfen. Das klingt erstaunlich bescheiden. Wie gesagt, wir können uns im Landverkehr in Deutschland eine weitere Entwicklung gut vorstellen – und auch die eine oder andere Akquisition. Eine Strategie, ein eigenes Stückgutnetz in Deutschland aufzubauen, verfolgen wir aber nicht. Wir fokussieren uns auf Süddeutschland und arbeiten in anderen Teilen Deutschlands mit langjährigen starken Partnern. Das funktioniert seit vielen Jahren. Bis wann wollen Sie in Deutschland eine Milliarde Euro geknackt haben? 2021 kommen wir durch Ipsen auf über 300 Millionen Euro, davon 40 Prozent aus dem Bereich Air & Sea. Unsere Entwicklung wird sich aus organischem Wachstum und Akquisitionen im Bereich Landverkehr zusammensetzen. Wenn wir in den nächsten Jahren die 500 Millionen erreichen, wäre das ein großer Erfolg. eh In Kürze Die Traditionsspedition Ipsen Logistics, Bremen, hat ihre See- und Luftfracht-Aktivitäten an das österreichische Speditions- und Logistikunternehmen Gebrüder Weiss (GW) verkauft. Branchenkenner vermuten, dass das nicht der letzte Zukauf der Österreicher in Deutschland war. Daten + Fakten - Gebrüder Weiss Mit über 7300 Mitarbeitern, 150 firmeneigenen Standorten und einem Jahresumsatz von 1,7 Milliarden Euro (2019) zählt Gebrüder Weiss mit Sitz in Lauterach/Österreich nach eigenen Angaben zu den führenden Transport- und Logistikunternehmen Europas. Das Unternehmen bietet Landtransporte, Luft- und Seefracht, Logistik sowie spezialisierte Branchenlösungen. Gebrüder Weiss hat zudem diverse Tochterunternehmen wie Rail Cargo (Bahntransporte) und Gebrüder Weiss Paketdienst, Mitgesellschafter des österreichischen DPD. Die Geschichte des Familienunternehmens im Transportwesen reicht nach Angaben von Gebrüder Weiss über 500 Jahre zurück. eh

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