Zur Moral verpflichtet

An der Grenze wechseln ein paar Scheine den Besitzer, damit der Grenzbeamte etwas schneller arbeitet. Der Disponent beschimpft den Fahrer, weil er spät dran ist und der Subunternehmer lässt seine Angestellten für einen Hungerlohn zwölf Stunden am Tag schuften. "Bei uns kommt so etwas nicht vor", werden viele Unternehmer von ihrem Betrieb behaupten. Vielleicht ein wenig vorschnell? Denn wie können sie sicher sein, dass sich ihre Mitarbeiter, Führungskräfte oder Geschäftspartner immer moralisch korrekt und gesetzeskonform verhalten? Schmuddelecken kann es in jedem Unternehmen geben. Der eine oder andere Angestellte oder leitende Mitarbeiter glaubt sogar, das Richtige zu tun, weil er zum Vorteil des Unternehmens handelt - wenn auch fallweise nicht ganz legal. Transport- und Speditionsdienstleister sollten daher klare Leitlinien in einem Verhaltenskodex festhalten, den sie als Grundlage von Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten, Kunden und Subunternehmern nutzen (siehe Kasten Seite 57). Darin verpflichten sie sich selbst und ihre Mitarbeiter, sich rechtstreu und moralisch korrekt zu verhalten. "Es geht darum, konkret zu formulieren, welche Verhaltensweisen erwünscht oder unerwünscht sind", erklärt Frank Rösch, Pressereferent des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). Der Verband hat einen branchenübergreifenden Verhaltenskodex für Unternehmen erarbeitet, den auch Transportund Logistikfirmen nutzen können. "Die Unterzeichnenden verpflichten sich darin, zum Beispiel das Kartellrecht einzuhalten und Korruption in jeglicher Form abzulehnen", erklärt Rösch. "Es ist aber auch geregelt, wie man mit Konfliktsituationen sinnvoll umgeht und soziale Themen wie Arbeitsbedingungen oder Gesundheitsschutz tauchen darin auf". Es stellt sich allerdings die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, einen so weit gefassten, allgemeinen Kodex zu verwenden. Sind individuelle, speziell auf die Verhältnisse im eigenen Unternehmen zugeschnittene Leitlinien nicht zweckmäßiger? "Vor allem Mittelständler haben Schwierigkeiten, Unternehmensgrundsätze selbst aufzusetzen", sagt Rösch. Ihnen bleibe die Möglichkeit, sich Hilfe bei Beratungsfirmen zu holen oder eben auf vorformulierte Kodizes von Verbänden zurückzugreifen. Dem Kodex des BME kann jeder beitreten, unabhängig davon, ob er Mitglied in dem Verband ist. Rund 250 Euro Selbstkostenbeitrag verlangt der Verband dafür. "Das einzelne Unternehmen kann dann in eigenen Richtlinien noch individuelle Werte formulieren", erklärt der Experte vom BME. Dabei kann es sich auf Inhalte konzentrieren, die im Tagesgeschäft passieren und die die eigene Unternehmenskultur widerspiegeln. Schlechte Presse durch Dumpinglöhne Kurier- und Expressdienste haben es einfacher: Sie können seit 2013 den Fair-KEP-Kodex des Bundesverbands der Kurier-Express-Post-Dienste (BdKEP) nutzen. Darin hat der Verband Verhaltensrichtlinien speziell für die KEP-Branche formuliert. Auslöser dafür waren Medienberichte über Dumpinglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen, vor allem im Zusammenhang mit Subunternehmern. "Unsere Mitglieder wurden angesprochen, ob auch sie Mitarbeiter und Subunternehmer unfair behandeln", sagt Hansgeorg Lohl, der beim BdKEP für den Verhaltenskodex zuständig ist. "Mit dem Kodex wollten wir zeigen, dass es sehr viele Betriebe in der Branche gibt, die bessere Standards haben." "Wenn ein Unternehmen einen Verhaltenskodex implementieren will, reicht es aber nicht aus, einen schönen Text zu formulieren, der dann unterschrieben in der Schublade liegt", warnt Rösch. Ein Verhaltenskodex muss im Betrieb auch gelebt werden. Das heißt, dass in irgendeiner Form überprüft werden muss, ob das Unternehmen sich auch an die selbst auferlegten Leitlinien hält. Und das ist aufwendig. Der BME löst das über ein sogenanntes Selbstauskünfteverfahren. Einmal im Jahr verschickt er einen 12- bis 15-seitigen Fragenkatalog an die Unternehmen, die sich auf den Kodex berufen. Darin wird zum Beispiel nach konkreten Compliance-Programmen gefragt, aber auch danach, wie die Mitarbeiter dabei mit ins Boot geholt werden. "Das Unternehmen muss sich also regelmäßig mit dem Thema beschäftigten", sagt Rösch. Der BME überprüft anhand dieses Fragebogens, ob die Leitlinien des Kodex auch eingehalten werden. Der BdKEP geht in seinem Kodex für die Paketbranche noch einen Schritt weiter: Wer beitreten will, muss zunächst auch einen Fragebogen ausfüllen. Fällt der positiv aus, begutachtet der Verband gemeinsam mit dem akkreditierten Zertifizierungsunternehmen Quality Service (QS) Hanseatic, einem Lizenzpartner des akkreditierten Zertifizierungsunternehmens Quality Service Zürich AG, das Unternehmen vor Ort. "Wir interviewen Geschäftsführer und Mitarbeiter und nehmen den Betrieb genau unter die Lupe", erklärt Auditor und Geschäftsführer Rainer König. Anhand von 82 Aspekten, die jeweils mit einem bis zu zehn Punkten bewertet werden, machen sie sich ein Bild vom Unternehmen. Angefangen damit, ob den Mitarbeitern Sozialräume zur Verfügung stehen bis hin zum umweltfreundlichen Fuhrpark arbeiten sie Punkt für Punkt ab. 75 Prozent der Gesamtpunktzahl muss das Unternehmen erreichen, um zu bestehen. Großes Augenmerk legen die Auditoren auf die Subunternehmerverhältnisse. "Da geht es in erster Linie um faire Bezahlung, guten Umgang miteinander und darum, ob auch im Verhältnis zu den Subunternehmen die Leitlinien eingehalten werden", sagt König. "Die Unternehmer sind dabei offen und zeigen uns Musterverträge". Preis für das fairste Unternehmen Dieses aufwendige Prüfverfahren des BdKEP hat aber seinen Preis. Mitgliedsfirmen des Verbandes mit weniger als 100 Beschäftigten zahlen 400 Euro für die Anmeldung und den Fragebogen, Nicht-Mitglieder 700 Euro. Für das Audit sind dann noch einmal 2000 bis 2800 Euro fällig. Besteht das Unternehmen das Prüfungsverfahren, darf es für drei Jahre das Fair-KEP-Siegel tragen. Dann gibt es ein Folgeaudit. Um das Engagement der teilnehmenden Betriebe zu belohnen, verleiht der BdKEP jedes Jahr den Fair-KEP-Award. Alle Firmen, die das Siegel tragen dürfen, kommen in einen Topf. "Eine Jury kürt dann das fairste", erklärt Lohl. Dieses erhält die Auszeichnung. Bei einem Verhaltenskodex geht es aber nicht darum, einen schönen Text zu formulieren, um eine gute Außenwirkung zu erzielen. Er soll Mitarbeitern und leitenden Angestellten zeigen, wie sie sich als Vertreter des Unternehmens verhalten sollen. "Gerade bei Mittelständlern ist eine persönliche Ansprache durch den Chef der beste Weg", erklärt Rösch. Er sollte den Kodex persönlich vorstellen und den Angestellten ein gedrucktes Exemplar aushändigen. Mitarbeiter sollten wissen, dass sie ihn ansprechen können, wenn sie nicht sicher sind, ob sie etwa ein Geschenk annehmen dürfen, rät Rösch. Zudem sollte er mögliche Sanktionen ansprechen, falls jemand gegen die Leitlinien verstößt. Denn einen fairen Betrieb zeichnet auch aus, wie er mit Verstößen umgeht. Den Mitarbeiter, der Schmiergeld angenommen hat, lediglich zu ermahnen, er solle sich beim nächsten Mal nicht erwischen lassen, ist sicher nicht das richtige Mittel. "Da muss das Unternehmen konsequent durchgreifen", sagt Rösch. "Ansonsten kann es auch von unserer Seite zum Ausschluss aus dem BME-Kodex kommen". Dieses Recht nimmt sich auch der BdKEP. "Wenn uns etwas zu Ohren kommt, hat der Betrieb drei Monate Zeit, nachzubessern", sagt Lohl. "Bei Bedarf bieten wir dabei auch unsere Hilfe an". Ändert sich nichts, wird das Siegel nicht nur entzogen, sondern der Firma eine Sperrfrist von drei Jahren auferlegt. In diesem Zeitraum kann sie sich nicht neu bewerben. Diese Maßnahme ist aber der letzte Ausweg. "Die Idee ist nicht, Betriebe an den Pranger zu stellen, sondern ihnen Hilfestellung zu geben", sagt Rösch. Auch der BdKEP musste noch nie zu diesen Mitteln greifen. "Das Fair-KEP-Siegel ist noch ein junges Projekt. Bisher haben alle sechs Firmen, die wir getestet haben, das Audit bestanden", sagt König. "Unternehmen, die sich hier bewerben, setzen sich ohnehin stark mit dem Thema auseinander", sagt König. Generell glaubt er, dass das Bewusstsein für das Thema immer größer wird. "Solche Siegel werden in Zukunft eine immer größere Rolle spielen." König befürchtet aber, "dass die Diskrepanz zwischen denen, die was machen und denen, die das nicht interessiert, immer größer wird." Letztere könnten dann das Nachsehen haben: "Potenzielle Auftraggeber, gerade Konzerne, achten verstärkt darauf, dass ihre Geschäftspartner sauber sind", erklärt Rösch. Im Zweifelsfall erhält dann nicht der billigste Wettbewerber mit Schmiergeldskandal den Zuschlag, sondern der mit wasserdichtem Verhaltenskodex. Verhaltenskodex Regelwerk für UnternehmenEin Verhaltenskodex (englisch: code of conduct) ist eine Sammlung von Verhaltensweisen, zu denen sich ein Unternehmen verpflichtet. Diese Unternehmensgrundsätze sollen Mitarbeitern, häufig aber auch Subunternehmern, zeigen, welches Verhalten im Unternehmen erwünscht ist und welches sie vermeiden sollen. Inhaltlich kann ein solches Regelwerk von Korruption über den Umgang mit Kunden bis hin zur Arbeitszeitregelung ein großes Spektrum abdecken. ks Aus der Praxis Partner auf Augenhöhe: Transcoop 09 Einem fairen Umgang unter ehrbaren Kaufleuten hat sich die Transcoop 09 verschrieben. Schon in der Geburtsstunde der Transportunternehmer-Kooperation im Jahr 2009 haben die Partner diesen Grundsatz in einem Verhaltenskodex verankert. Wer der Kooperation beitreten will, muss das Schriftstück unterzeichnen."Unser Kodex ist ein Kodex unter Unternehmern", sagt Transcoop-09-Vorsitzender Josef Perisa. Das heißt, er regelt nicht vorrangig den Umgang mit Angestellten oder Subunternehmern, sondern den der Kooperationspartner untereinander."Wir begegnen uns auf Augenhöhe, unabhängig von der Größe des Unternehmens", erklärt Perisa die Philosophie der Kooperation, die im Verhaltenskodex festgehalten ist."Wir wollen keine Spediteur-Frachtführer-Verhältnisse, sondern sehen uns alle als Kollegen", so der Vorsitzende.Grundlage der Zusammenarbeit sei, dass jeder ein ordentliches Unternehmen führe, das zum Beispiel Versicherungsschutz, entsprechende Lizenzen und geschultes Personal habe. Die Partner haben sich aber bewusst gegen ein großes Vertragswerk entschieden, in dem alle Rechte und Pflichten und Sanktionen kleinteilig aufgeführt sind."Als gestandene Geschäftsleute wollen wir bei Problemen offen miteinander sprechen", erklärt Perisa. Verstößt ein Unternehmer gegen Gesetze oder verhält sich den Partnern gegenüber nicht fair, kann das laut dem Kodex allerdings zum Rauswurf führen. ks

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