ZF steuert in Richtung Zukunft

Für etwa sechs Milliarden Euro hat die Zahnradfabrik Friedrichshafen im Mai 2020 den US-amerikanischen Nutzfahrzeugtechnik-Lieferanten Wabco gekauft. Jetzt präsentieren die Bodensee-Anrainer erste aus der Übernahme hervorgegangene Ergebnisse, mit denen sie nach eigenen Angaben auf Trends und gesetzliche Vorgaben in der Welt der Nutzfahrzeuge reagieren: autonomes Fahren, Dieselsparen und elektrische Antriebe. So hat ZF einen neuen Assistenten entwickelt, den "Advanced Reversing Assist". Er unterstützt den Fahrer beim Rückwärtsfahren mit dem Lastzug. Dazu verfügt das System über ein Steuergerät, einen Knickwinkelsensor, und eine am Anhänger montierte Rückfahrkamera, die den toten Winkel hinter dem Lkw beobachtet. Ein 3D-Bildverarbeitungs-Algorithmus ermöglicht es, die Umgebung ohne weitere Sensoren zu überwachen und bei Hindernissen oder Personen im Fahrweg rechtzeitig anzuhalten. System zeigt den Weg, Fahrer lenkt Allerdings steuert das System nicht selbst, sondern zeigt dem Fahrer auf einem Display geführte Rückfahrwege an, ähnlich denen einer Rückfahrkamera im Pkw. Lenken, bremsen und gegebenenfalls blinken muss der Fahrer selbst. Noch nie war Aufsatteln so einfach Die nächste ZF-Neuheit geht einen Schritt weiter. Der "Automated Coupling Assist" ist ein Assistenzsystem, mit dem Zugmaschinen vollautomatisch einen bestimmten Auflieger erkennen und diesen aufsatteln können. Der Assistent steuert dazu die Zugmaschine in Längs-, Quer- und Vertikalrichtung. Der Fahrer bleibt beim Aufsatteln sitzen und überwacht das Tun der Maschine. Damit das gelingt, fährt der Chauffeur, nachdem er die Nummer des gewünschten Trailers in das System eingegeben hat, an den abgestellten Aufliegern vorbei. Über eine 180-Grad-Kamera an der Fahrerhausrückseite und auf der Stirnwand der Auflieger angebrachte Markierungen erkennt die Steuereinheit die Trailer. Identifiziert sie den gesuchten Auflieger, zeigt sie dies im Display an. Daraufhin stoppt der Fahrer knapp zehn Meter entfernt die Sattelzugmaschine und drückt den Aufsattel-Knopf. Jetzt hat er seinen Job gemacht. Der Assistent übernimmt den Volant und rangiert die Zugmaschine rückwärts unter den Königszapfen. Dabei hilft wieder eine Kamera mit ihren Algorithmen. Angekommen am Königszapfen, hebt die Luftfederung der Hinterachse die Zugmaschine wieder an - eingerastet. Es folgt eine elektronische Prüfroutine. Das Klettern und Gefummel mit den Steckern für Strom und Druckluft entfallen, da der Auflieger über den Königszapfen versorgt wird, so ZF. Nach einer guten halben Minute ist alles erledigt. Der neue "E-Trailer", ein Auflieger mit integriertem Elektromotor an der mittleren der drei Trailerachsen, macht aus einem Diesel-Lkw einen Hybrid. Der verbraucht so laut ZF bis zu 16 Prozent weniger Diesel. Darüber hinaus würden sich Traktion und Beschleunigung verbessern, während Geräuschniveau und Bremsenverschleiß sinken. Mittels Rekuperation im elektrischen Antrieb des E-Trailers werden die Betriebsbremsen von Zugmaschine und Trailer geschont. Maximal leistet der E-Trailer knapp 370 PS. Die elektrische Energie des Systems sorgt nicht nur für Anschub, beispielsweise als Unterstützung beim Anfahren, sondern fließt auch in andere Verbraucher wie die Kühlung. Der E-Trailer ist nicht als Plug-in-Hybrid konzipiert, das heißt, die Batterie lässt sich nicht an der Steckdose aufladen. Die Ladung erfolgt aus überschüssiger Bewegungsenergie bei Verzögerungen und Bergabfahrten. Zum Mehrgewicht der elektrisch angetriebenen Achse und den eventuellen Nutzlastverlust durch das zusätzliche System gibt sich ZF vage: "Es ist unser Ziel, das erforderliche Zusatzgewicht durch einen Hybrid-Bonus für den E-Trailer zu kompensieren, sodass keine Nutzlasteinbußen vorliegen. Für Motorwagen existiert die entsprechende Regelung bereits", heißt es aus Friedrichshafen. Trailer schiebt die Zugmaschine an Damit die laut ZF um 80 Prozent höhere Traktion des Zuges auf die Bahn gebracht wird, kommunizieren Zugmaschine und Trailer über das elektronische Bremssystem (EBS). Drehen die Antriebsräder der Zugmaschine mangels Grip durch, schiebt die Trailerachse mit ihrer E-Power die Fuhre an. Das Mehr an Traktion hat einen noch anderen Vorteil: Die Beschleunigungszeit verkürzt sich den Angaben nach um die Hälfte. Gleich eine komplette Fuhre und nicht nur Teile präsentiert die Zahnradfabrik mit ihrem sogenannten hocheffizienten Sattelzug. Basis für den Umbau bilden eine MAN-TGX-Zugmaschine und ein Krone-Gardinenauflieger. An den Fahrzeugen haben sich die Ingenieure der Themen Gewicht und Luftwiderstand angenommen. Herausgekommen sind die Kombination aus einer Zugmaschine mit bauraumoptimiertem Leichtbau-Fahrwerk und ein windschlüpfrigerer Trailer. Dazu erhielt die Zugmaschine einen Vier-Punkt-Lenker aus CFK, eine GFK-Achsstrebe und Einzelradaufhängung an der Vorderachse. Dem Trailer verpassten die Entwickler aerodynamische Heckflügel und Seitenverkleidungen. Beides zusammen soll Einsparungen von bis zu 2,2 l/100 km bringen. Die klappbaren Flaps am Heck des Trailers stammen von Wabco und heißen Optiflow. Sie schmiegen sich, wenn sie nicht gebraucht werden, an die beiden Hecktüren des Aufliegers. Ihr automatisches Aufklappen dauert etwa zehn Sekunden und soll alleine eine Dieselersparnis von 1,1 Litern auf 100 Kilometer bringen. Die Verkleidung des unteren Trailer-Bereichs mit Fahrwerk, Stütze und Palettenkasten sollen für sich genommen 1,5 Liter Einsparung bringen. In der Aerodynamik zeigt die Physik ihre ganze Tücke. Für die Gesamtersparnis des Zuges lassen sich die Einzelwerte der Maßnahmen nicht einfach addieren. Zum Mehrgewicht durch die Anbauteile hüllt sich ZF in Schweigen. Dazu heißt es nur, die automatisch klappbaren Heckflügel des Trailers bestünden aus Leichtbauverbundwerkstoffen. Die gehen in der Praxis beim Verladen an der Rampe gerne mal kaputt, weswegen sie fast nicht zum Einsatz kommen. Der verringerte Luftwiderstand des Sattelzugs kann den Verbrauch um bis zu sieben Prozent senken, teilt ZF mit. Das getunte Lkw-Fahrwerk spart etwa 150 Kilogramm. Die neuen Komponenten in der Zugmaschine schaffen außerdem mehr Bauraum - das sei wichtig für elektrische Fahrzeugplattformen mit Batterie oder Brennstoffzelle, heißt es weiter. Wer jetzt Lust hat, das Fahrzeug für seinen Fuhrpark zu beschaffen, hat allerdings Pech. ZF hat das Fahrzeug nur als unverkäuflichen Demonstrator aufgebaut, um die Effizienzpotenziale im Gesamtsystem Sattelzug aufzuzeigen. Mehr zum Thema finden Sie unter #autonomesFahren www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die aus der Übernahme von Wabco durch ZF hervorgegangenen Neuheiten des Nutzfahrzeugtechnik-Lieferanten streben in Richtung autonomes Fahren, E-Antrieb, Gewichtsabnahme und Aerodynamik. Vor allem der Rückwärtsgang spielt bei einigen Innovationen eine wichtige Rolle.

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